Polizisten setzen Tränengas gegen Demonstranten ein. Foto: dpa

Die Regierungschefin der Stadt Hongkong spricht von Aufruhr, die Polizei setzt Gummigeschosse gegen Demonstranten ein. Wir erklären, worum es bei dem Aufstand geht.

Hongkong - Seit Wochen gehen Menschen in Hongkong gegen die Stadtregierung auf die Straße. Sie wollen in der seit 1997 wieder zu China gehörenden Stadt, die einen autonomen Status besitzt, ein Gesetz verhindern, das die Auslieferung von Straftätern in die Volksrepublik China ermöglicht. Ein Überblick über die Lage:

Was sind die aktuellen Entwicklungen?

Bei erneuten Massenprotesten in Hongkong war es am Mittwoch zu Ausschreitungen gekommen. Polizisten setzten neben Tränengas erstmals seit Jahrzehnten in der Stadt Gummigeschosse gegen Demonstranten ein und versuchten sie aus dem Regierungsviertel zu vertreiben. Bei den Auseinandersetzungen seien mehr als zehn Menschen verletzt worden, berichtete ein TV-Sender. Hunderte bewaffnete Bereitschaftspolizisten waren im Einsatz. Ein Zeuge berichtete, es sei Panik ausgebrochen, als Menschen vor dem Tränengas fliehen wollten. Einzelne Demonstranten seien gejagt worden. Eine Hilfsorganisation warf der Polizei vor, unnötig Gewalt einzusetzen. Die Vertagung der für Mittwoch geplanten Abstimmung des Auslieferungsgesetzes im Legislativrat – Hongkongs Parlament – hat den Protest nicht zum Erliegen gebracht.

Was bedeutet Hongkongs Status als Sonderverwaltungszone?

Die Sieben-Millionen-Einwohner-Stadt an der Mündung des Perlflusses ins Südchinesische Meer gilt als Chinas „Tor zur Welt“, ist ein bedeutendes Finanz- und Wirtschaftszentrum, das nach marktwirtschaftlichen Regeln funktioniert. Sie war britische Kronkolonie seit 1841 und wurde China erst 1997 unter Auflagen zurückgegeben. Vereinbart wurde für 50 Jahre ein Sonderstatus: eigenes Parlament, eigenes Rechtssystem, Freiheitsrechte wie Presse-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Außenpolitisch vertreten wird Hongkong von Peking. Die Kooperation läuft nach dem Prinzip: ein Land, zwei Systeme.

Warum sind die Widerstände gegen das geplante Gesetz so groß?

Die sich Peking gegenüber loyal verhaltende Regierungschefin Hongkongs, Carrie Lam, sagt, es gehe darum, eine Rechtslücke zu schließen. Sie betont, dass nur Straftäter, die zu mehr als sieben Jahren verurteilt worden sind – ursprünglich war von drei Jahren die Rede – für eine Auslieferung an die Volksrepublik oder andere Länder, etwa Taiwan, infrage kämen. Die Demonstranten aber befürchten, dass missliebige Politiker, Journalisten und Bürgerrechtler unter einem Vorwand verurteilt und nach China ausgeliefert werden könnten. Dort drohe ihnen die Willkür des Justizsystems der Volksrepublik. Wegen Chinas schlechter Menschenrechtslage und seiner unfreien Justiz war die Auslieferungsfrage 1997 bei den Hongkong-Gesprächen ausgeklammert worden.

Könnten Ausländer auch betroffen sein?

Ja. Der China-Experte und Jurist Jerome Cohen schreibt in seinem Blog: „Jeder, der über den Hongkonger Flughafen kommt, könnte festgenommen und nach China geschickt werden.“ Ähnlich äußerte sich eine Sprecherin der US-Regierung: „Wir sind besorgt, dass die Gesetzesänderungen das wirtschaftliche Umfeld Hongkongs schädigen und unsere Staatsbürger, die in Hongkong wohnen oder es besuchen, dem unberechenbaren Justizsystem Chinas aussetzen könnten.“

Was haben frühere Proteste in Hongkong gebracht?

Mit den sogenannten Regenschirmprotesten von 2014 wehrten sich Hunderttausende von Bürgern dagegen, dass Peking mithilfe eines Komitees die Kandidaten für die Parlamentswahlen in Hongkong vorsortiert. Der Protest blieb ohne Erfolg, es gab später Verurteilungen von Demonstranten zu Haftstrafen.

Wie reagiert die Volksrepublik China auf die Unruhen in Hongkong?

In Festlandchina werden Berichte über die Proteste zensiert. Das Staatsblatt „China Daily“ berichtete, dass „ausländische Mächte“ verantwortlich seien, die Chaos säen wollten. Hongkongs Regierungschefin Lam verurteilte am Mittwoch die Demonstrationen scharf als „Aufruhr“. Auf Facebook sagte sie, die Proteste seien „eindeutig organisiert“. Lam ergänzte: „Wenn jemand denkt, er könne Gewalt und Chaos einsetzen, um zu erreichen, was er will, wird es schlimmer und Hongkong schaden.“

Wie reagieren London und Berlin?

Großbritannien forderte die Regierung in Hongkong dazu auf, „innezuhalten und nachzudenken“. Eine Sprecherin des Außenministeriums sagte in Berlin, die Lage werde beobachtet. Deutschland prüfe, ob das bilaterale Auslieferungsabkommen mit Hongkong geändert werden müsse. Die Demonstrationen zeigten, dass weite Teile der Bevölkerung die Gesetzesänderung ablehnten und eine Erosion der Rechtsstaatlichkeit befürchteten.