Am Rotebühlplatz fand eine Kundgebung zur aktuellen Situation in Afghanistan statt. Foto: Lichtgut/Julian Rettig

Dramatische Appelle zur Rettung bedrohter Afghanen auf der Kundgebung „Solidarität mit dem afghanischen Volk“ auf dem Rotebühlplatz: Besonders starken Beifall bekam die 15-jährige Faeza Ebrahimi, die 2015 geflüchtet war.

Stuttgart -

Mehrere hundert Menschen hatten sich zur Demonstration versammelt, wobei die Reihen vor der Redner-Tribüne dicht standen wie bei einem Schulterschluss in höchster Not.

Jama Maqsudi vom Deutsch-afghanischen Verein kennt viele von ihnen: „Hier stehen unterschiedliche Konfessionen und ethnische Gruppierungen der afghanischen Community nebeneinander, es ist fast wie ein Querschnitt durch die afghanische Gesellschaft. Sie sind sonst nicht leicht auf die Straße zu bekommen. Aber das hier zeigt, wie tief die Betroffenheit ist über das, was in Afghanistan passiert“, erklärte Maqsudi, der vor fast einem halben Jahrhundert selbst geflüchtet war. Er fügte hinzu: „Aber wir sehen hier auch eine große Solidarität der deutschen Bevölkerung.“

„Das sind Wölfe im Schafspelz“

Angesichts von Angst, Wut, Schmerz und Verzweiflung, wie sie auch das Banner: „20 Jahre Kampf um Freiheit – und jetzt: Scharia“ ausdrückte, gelte es, „unseren Mut nicht aufzugeben“, rief er der Versammlung zu: „Menschenrechte gibt es nicht ein bisschen, Menschenrechte sind nicht relativierbar. Wir müssen für Gerechtigkeit kämpfen, weltweit. Das afghanische Volk braucht internationale Solidarität, mehr denn je!“ Auf die Versprechen der Taliban gebe er keinen Cent: „Das sind Wölfe im Schafspelz. Wir müssen höllisch aufpassen, dass wir nicht darauf hereinfallen.“

Die hoch emotionale Stimmung fasste der Sänger Shekib Mosadeq in ein leidvolles Lied, in dem ein geflüchteter Junge einen Brief an seine Familie in der „verlorenen Heimat“ schreibt, mit der flehentlichen Zeile: „Sag’ nicht, dass wir verloren haben!“ Eine Lage, aus der eine Rednerin eine Anklage machte: „Seid verdammt für diese Politik, mit der ihr uns das angetan habt! Ihr habt uns Freiheit gegeben und dann in einer Nacht alles kaputt gemacht!“ Mehrfach wurde von der Menge „Shame Biden! Shame Nato!“ skandiert. Deren Schande bedeute „Folter, Unterdrückung, Mord“. Und am meisten zu leiden hätten Kinder, Mädchen, Frauen.

Starken Beifall für die 15-jährige Faeza Ebrahimi

Schier unerträglich sei die Angst beim Gedanken an Sohn, Bruder, Schwester mit Kindern, berichtet Qadarye Maryam von Verein Afghanische Frauen Stuttgart, die vor ihrer Flucht vor sieben Jahren in Kabul Chemie und Biologie unterrichtet hatte: „Europäische Länder, Nato, helfen Sie den Menschen in Afghanistan!“, flehte sie und schloss mit dem bei der Demo vielfach erhobenen Kampfruf: „Hoch die internationale Solidarität!“

Für Ronja Narr von der Seebrücke Stuttgart, die die Kundgebung mit dem Flüchtlingsrat Baden-Württemberg organisiert hatte, mündete das in die Forderung: „Wir brauchen eine Luftbrücke nach Kabul, und zwar jetzt!“ Sie forderte von der Stadt und vom Land, „jetzt mehr Menschen aufzunehmen. Als Zeichen, dass es Euch nicht egal ist, was mit den Menschen in Afghanistan passiert“. Auch Stuttgarts OB Frank Nopper müsse sich dazu äußern.

Besonders starken Beifall bekam die 15-jährige Faeza Ebrahimi, die 2015 geflüchtet war. Sie beklagte, dass „wir jetzt um 100 Jahre zurückgeworfen werden“. Am meisten hätten darunter Frauen und Mädchen zu leiden. Der Klage schloss sie eine Hoffnung an: „Dass wir eines Tages nach Afghanistan zurückkehren und dort in Frieden und Freiheit leben können.“