Demonstration gegen Freihandelsabkommen in Berlin. Foto: dpa

Eine linke Lobbygruppe macht Kampagne gegen TTIP: Die 25 Mann starke Truppe von Campact lehrt gestandenen Umweltorganisationen wie Greenpeace das Fürchten. Dabei setzt Campact auf dubiose Methoden und Halbwahrheiten.

Berlin - Die EU hat über 160 Freihandelsabkommen geschlossen. Der Bundestag hat immer mit großen Mehrheiten zugestimmt, meist irgendwann abends, ohne dass kontroverse Reden gehalten worden wären. Warum nun die Aufregung um das transatlantische Handelsabkommen TTIP, das die EU-Kommission und die USA seit 2013 verhandeln?

 

Ein Grund dafür ist, dass die USA in einer anderen Liga spielen als Handelspartner wie etwa Korea, Albanien oder Algerien. Amerika mobilisiert in vielen Köpfen mehr negative Gefühle als ein Schwellenland. Ein anderer wichtiger Grund, warum gerade in Deutschland so viele Menschen dagegen sind, ist Campact.

Campact konzentriert sich nur auf eines: Kampagnen

Campact? Ein Blick auf die Organisation lohnt sich. Hinter Campact steht eine kleine Truppe von Politaktivisten, die von ihren Überzeugungen her im Umfeld der Grünen zu Hause sind und derzeit etablierten Lobbygruppen wie Greenpeace das Fürchten lehren. Während der Nabu sich auch um den Schutz des Habichts kümmert, konzentriert sich Campact nur auf eines: Kampagnen. Im Vergleich zu Parteien, wo vor jeder politischen Aktion koordiniert, eingebunden und abgesprochen werden muss, kann Campact blitzschnell Kampagnen hochfahren. Kampagnen gegen Gentechnik, gegen die Kohle, vor allem gegen TTIP.

Mit TTIP ist Campact zu einer ganz großen Nummer im Lager der Politaktivisten geworden. Ein Manager einer im Bundestag vertretenen Partei erinnert sich an den Winter 2013/2014: „Alle waren ausgelaugt vom Bundestagswahlkampf und haben nicht erkannt, welches Potenzial in TTIP steckt.“ Die drei Chefs von Campact aber, Felix Kolb, Günter Metzges-Diez und Christoph Bautz, sahen die Chance und nutzten sie. Bis zur Europawahl im Frühjahr waren sie so weit, dass TTIP als Thema hochgezogen und bei Grünen-Wählern, Gewerkschaftern und Mitgliedern kirchlicher Organisationen emotional und negativ besetzt wurde.

Campact arbeitete anfangs fast nur im Netz

Unbeachtet von der Öffentlichkeit gelang Campact etwas, das professionellen Strategen im linken Protestlager höchsten Respekt abnötigt. Campact war bis dahin vor allem durch sein Engagement im Netz bekannt. Die Lobby-Firma verfügt über eine Datenbank mit 1,7 Millionen aktiven Mailadressen. Parteien können von solchen Zahlen nur träumen. Ein hochrangiger Sozialdemokrat zollt Respekt: „Der Laden genießt hohe Glaubwürdigkeit bei Menschen, die über das Netz Politik wahr nehmen.“ Campact versteht es, politisch Interessierte dazu zu bringen, im Netz Resolutionen zu zeichnen, per Maus-Click Kampagnen zu unterstützen. So weit nötigt diese Form politischen Engagements ja vergleichsweise geringen Einsatz und Zivilcourage ab. Aber mit der TTIP-Kampagne gelang es Campact, Leute auf die Straße zu bringen.

Die Empörung der Unterstützer war so groß, dass Tausende Bürger bereit waren – Campact selbst nennt die Zahl 24 000 – durch ihre Nachbarschaft von Tür zu Tür zu tingeln und TTIP-„Denkzettel“ zu verteilen.

Campact: Mit TTIP drohen „demokratiefeindliche Deals“

Heute ist Campact ein wichtiger Spieler im globalisierungskritischen Lager. Derzeit trommelt es für die große Anti-TTIP-Demo am 10. Oktober in Berlin, bei der der rasant wachsende Verein Mitorganisator ist.

Die Methoden, mit denen Campact arbeitet, sind allerdings nicht immer sauber. Das beginnt schon bei der Auswahl der Argumente. Zwei Beispiele: Bis heute behauptet Campact pauschal, mit TTIP drohten „demokratiefeindliche Deals“.

Dabei ist längst klar, dass auch ein Freihandelsabkommen mit den USA von den Parlamenten abgesegnet werden muss – von Bundestag und Europa-Parlament. Campact ignoriert dies. Angesprochen auf diesen Widerspruch sagt Campact-Co-Gründer Felix Kolb im Gespräch mit unserer Zeitung nur: „Wir kommen da zu einer anderer Einschätzung.“

Zweites Beispiel: Im Juni, kurz vor dem SPD-Parteikonvent, bei dem es um die umstrittene Vorratsdatenspeicherung ging, versendet Campact eine Sammelmail, die den Teilnehmern – alles hochrangige Genossen – ins Gewissen reden will und sie auffordert, der Linie von Parteichef Sigmar Gabriel zu widersprechen. Der Ton der Mail von Günter Metzges-Diez lässt erkennen, dass Campact einen hohen moralischen Anspruch erhebt. „Unsere Vorratsdaten verraten, wem wir vertrauen, wen wir lieben, mit wem wir politisch zusammen arbeiten und wo wir uns aufhalten.“ Vermeintlich harmlose Informationen könnten Aufschluss über Krankheiten, politisches Engagement und intime Details des Privatlebens geben.

Tatsache ist aber: Die große Koalition will die Speicherung nur unter strengen Auflagen erlauben. Gegenüber früheren Plänen sollen nun weit weniger Daten für einen kürzeren Zeitraum gespeichert werden. Sie sind zudem besser gegen Missbrauch gesichert und können nur zur Aufklärung schwerer Straftaten abgerufen werden. Es kann also keine Rede davon sein, dass „die Verbindungsdaten von 80 Millionen Bürgern anlasslos gespeichert werden sollen“, wie Metzges-Diez an die Genossen schreibt.

Bundesratsminister aus dem Südwesten wehrt sich gegen Campact

Einer von ihnen wehrt sich. Peter Friedrich, Bundesratsminister aus dem Südwesten, schreibt empört zurück: „Von einer Rundum-Überwachung zu schreiben lässt mich sehr daran zweifeln, dass Sie an einer ernsthaften Debatte interessiert sind.“ Und weiter: Auch bei den Kampagnen gegen die Freihandelsabkommen und Fracking sei ihm aufgefallen, dass Campact es mit den Tatsachen nicht so genau nehme, sondern versuche, „mit kontrafaktischen Behauptungen und Zuspitzungen Stimmung zu erzeugen. “ Mit „Aufklärung und demokratischer Auseinandersetzung hat es leider nichts zu tun.“

Nach Recherchen unserer Zeitung ergeben sich zudem massive Zweifel, ob Campact den hehren Ansprüche, die die Organisation an andere stellt, selbst gerecht wird. Beim Beispiel Vorratsdaten wird deutlich, dass Campact eine Doppelmoral pflegt: Da schreibt Metzges-Diez an Peter Friedrich in anklagendem Ton im Hinblick auf die Vorratsdatenspeicherung: „Eine derartig große Sammlung sensibler Daten setzt Bürger und Unternehmen neuen Risiken aus.“

Und was macht Campact? Das Kapital, mit dem Campact wuchert, ist die riesige Datenbank mit 1,7 Millionen aktiven Mailadressen. Campact ist sehr stolz darauf. Allein nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima seien binnen einer Woche 150 000 neue Adressen hinzugekommen.

Was bislang nicht bekannt ist: Campact wendet beim Sammeln der Daten auch Methoden an, die wohl rechtswidrig sein dürften. Nach Informationen unserer Zeitung sammelt Campact seit Jahren über das Internet politische Meinungen von Unterstützern. Ein Beispiel: Aktuell sucht die Organisation Unterstützer für die Resolution „Schluss mit dem Hass“. Der Aufruf im Netz lautet: „Stellen Sie sich dem Rassismus entgegen und unterzeichnen Sie den Appell“. Das Engagement ist dann recht niedrigschwellig, ein rein virtueller Art: Man füllt das Formular im Netz aus, nennt Vorname, Name, Postleitzahl und E-Mail-Adresse und klickt mit der Maus weiter. Das war’ s für den User.

Campact-Unterstützer sollten das Kleingedruckte lesen

Für Campact geht es nun erst richtig los: Die Organisation arbeitet weiter mit den Daten, die nun gespeichert sind. Da auf der Campact-Seite das Häkchen bereits in der Voreinstellung im Kleingedruckten bei „Bitte informieren Sie mich über den Fortgang dieser und weiterer Aktionen“ gesetzt ist, ist man nach einer weiteren Bestätigung Teil der Campact-Gemeinde.

Wenn ein Konzern diese Methoden anwendet, gibt es jedes Mal Klagen, dass Verbraucher- und Datenschutzrechte verletzt würden. Zu Recht: Es ist nicht in Ordnung, dass ein Nutzer im Internet sich bei einem Unternehmen oder einer Organisation verfängt, nur weil er übersehen hat, dass ein Häkchen im Kleingedruckten bereits gesetzt ist.

Wenn man so will, ist diese Methode des Sammelns von Mailadressen das Geschäftsmodell von Campact. Die Chefs ficht Kritik indes nicht an. Metzges-Diez teilt unserer Zeitung mit: Campact gehe weiter davon aus, dass „eine Aktionsteilnahme über die Campact-Seite nicht dem deutschen Datenschutzrecht widerspricht“.

Und weiter: Paragrafen des Bundesdatenschutzgesetzes, die dem Vorgehen von Campact widersprechen könnten, „sind bei unseren Aktionsseiten nicht zur Anwendung zu bringen.“ Nanu, diese Paragrafen des Bundesdatenschutzgesetz sollen nicht für Campact gelten?

Campact droht ein Bußgeldverfahren

Die Behörde der Beauftragten für den Datenschutz in Niedersachsen, Barbara Thiel, sieht es anders. Ihre Beamten sind zuständig, da Campact einen Sitz im niedersächsischen Verden hat. Ein Sprecher macht erhebliche Bedenken gegen das Gebaren von Campact geltend: „Politische Meinungen gehören gemäß Bundesdatenschutzgesetz zu den besonderen Arten personenbezogener Daten und dürfen deshalb ohne ausdrückliche Einwilligung, die sich auch ausdrücklich auf diese Daten beziehen muss, nicht erhoben, verarbeitet oder genutzt werden.“

Die Behörde hat eine Untersuchung in der Sache eingeleitet und Campact um eine Stellungnahme gebeten. Campact drohen nun ein Bußgeldverfahren und, wenn es nicht einsichtig ist, Zwangsgelder.