Die Zelle, im Fischaugenfoto fast so verzerrt wie in der Realität demoliert. Foto: Jürgen Brand

Der Apparat in dem demolierten Telefonhäuschen an der Schönbühlstraße ist hörerlos und dauergestört, hat aber immerhin einen Strichcode-Aufkleber samt Nummer, wie es sich gehört.

S-Ost - Dies ist die Geschichte einer Telefonzelle. Natürlich nicht irgendeiner Zelle, sondern die eines Münzfernsprechers, wie es früher hieß, der seit Monaten schon in gewisser Weise Aufsehen erregt. Die Apparatur samt Häuschen, die im Gegensatz zu Smartphones tatsächlich nur einen einzigen Zweck hat, nämlich das Telefonieren zu ermöglichen (und den Gewinn der Telekom zu steigern), steht an einem Platz, der viel frequentiert ist, was sicher ein entscheidendes Kriterium bei der Standortauswahl war. Man könnte auch einfach sagen: An der Stelle ist viel los, dort kommen viele Menschen vorbei.

Das Telefonhäuschen, knapp unter der Decke in einer Ecke ordnungsgemäß mit Aufkleber samt Strichcode und Nummer versehen, steht an der Schönbühlstraße direkt bei der Raichberg-Realschule. Zu der gehört auch die Turn- und Versammlungshalle Ost, die demnächst bei der Bürgerversammlung mit dem Oberbürgermeister vermutlich wieder einmal bis auf den letzten Platz gefüllt sein wird. Gegenüber sind auf dem Concordia-Areal ziemlich viele Büros von ziemlich kreativen Unternehmen. Ein paar Meter weiter ist die beliebte Stadtteilbibliothek, schräg gegenüber das noch beliebtere Leo-Vetter-Bad. Und immer freitags ist hier der nicht minder gut besuchte Wochenmarkt.

Ohne Scheibe, ohne Hörer, ohne Notruf

Genug zu tun also eigentlich für so einen Fernsprecher. Aber eben nur eigentlich. Wann es los ging, weiß heute vermutlich niemand mehr so ganz genau. Erst war wohl das Licht innen kaputt. Dann die erste Scheibe beschmiert, später verkratzt. Drinnen roch es manchmal mehr nach Toilette als nach öffentlichem Fernsprecher (ja, die hatten auch ihren eigenen Geruch). Später hing der Hörer eigentlich immer herunter, statt auf der Gabel zu liegen. Eines Nachts lag die erste Scheibe in Tausenden Splittern über den Gehweg verstreut.

Heute gibt es gar keine Scheiben mehr. Immerhin hat jemand die Splitter fein säuberlich zusammengekehrt und weggeschafft. Der Hörer ist längst verschwunden. Das Kabel dazu schwingt nutzlos im Wind, der durch die scheibenlose Zelle bläst, hin und her. Den Notrufmelder drinnen gibt es nicht mehr, ein Telefonbuch auch nicht. Warum auch. Stockdunkel ist es drinnen trotzdem auch in der düstersten Novembernacht nicht. „Entschuldigung, zur Zeit gestört“ schimmert auf dem längst nicht mehr zeitgemäßen gelben Mini-Display über der Tastatur. Dem kann man nicht widersprechen.

„Da hab ich auch schon telefoniert“

Ein Foto der demolierten Fernsprecheinrichtung, über soziale Netzwerke im Osten verbreitet, führt zu nostalgischen Resonanzen. „Da hab ich auch schon telefoniert“, kommentiert ein Nutzer das Foto. Das muss – ohne demjenigen zu nahe treten zu wollen – auch schon ein paar Jahre her sein. „Braucht man eh nicht mehr“, schreibt eine andere Ost-Einwohnerin eher kühl. Um dann aber doch anzufügen: „Weckt aber Erinnerungen an die Zeit, wo sie überall standen.“ Ein Dritter schließlich wollte sich das Elend schon vor Monaten nicht mehr mit anschauen: „Hatte den unzumutbaren Zustand schon im Juni bei der Telekom gemeldet, aber wird sich scheinbar nicht drum gekümmert.“

Jetzt ist November und die fernkommunikative Tristesse ist von Dauer. Die Stadt kann weder zur Zahl der noch real existierenden Münzfernsprecher im Stadtgebiet noch zu deren Zustand etwas sagen, ist schließlich Sache der Telekom. Und der seit Jahren auch vom Münzfernsprecher-Abbau geprägte Telekommunikationskonzern muss erst einmal die zuständige Abteilung ausfindig machen. Das geht überraschenderweise dann doch von heut auf morgen, obwohl solche Apparate fast schon Raritäten sind. Doch dann kam die wirklich unerwartete Nachricht: „Wir haben die Instandsetzung in Auftrag gegeben. Der Standort wird bestehen bleiben.“ Wir sind gespannt!