Joachim Gauck begeisterte seine Zuhörer in Fellbach. Foto: Gottfried Stoppel

In der Schwabenlandhalle zeigt der Ex-Bundespräsident Joachim Gauck, wie man Vertrauen zurückgewinnt. Ein Abend voller Tiefe – mit einer Botschaft, die nachwirkt.

Ein Abend, der in Erinnerung bleibt: Joachim Gauck, elfter Bundespräsident der Bundesrepublik, hat in der Schwabenlandhalle in Fellbach eindrucksvoll demonstriert, wie man Menschen erreicht – mit Klarheit, mit Haltung, mit Herz.

 

Rund 900 Gäste erleben den 85-Jährigen im Gespräch mit der ZDF-Journalistin Gundula Gause. Die Kreissparkasse Waiblingen hatte eingeladen, der Anlass war Gaucks Buch „Erschütterungen: Was unsere Demokratie von außen und innen bedroht“. Doch bevor überhaupt ein Wort gewechselt ist, zeigt Gauck, worauf es ihm ankommt. Er bittet um mehr Licht im Saal – er wolle Gesichter sehen, nicht nur reden, sondern in Beziehung treten.

Joachim Gauck war von 2012 bis 2017 Bundespräsident. Foto: Gottfried Stoppel

„Vertrauen durch Haltung“

Nach außenpolitischen Themen wendet sich Joachim Gauck der Demokratie auf kommunaler Ebene zu und greift dabei auf das Beispiel Vereinigten Staaten zurück: Wenn Teile der Gesellschaft das Gefühl haben, dass etwas grundsätzlich schiefläuft, suchen sie Zuflucht bei einem „starken Mann“, der die Dinge für sie richten soll. In manchen Bevölkerungsschichten gebe es eine tiefsitzende psychische Prägung – eine Angst vor Wandel und Veränderung.

In der Regel wählten solche Menschen eher gemäßigt konservative Parteien. Doch wenn diese keine überzeugenden Lösungen mehr anbieten könnten, folge oft die politische Flucht nach rechtsaußen. In Europa hätten populistische Bewegungen besonders in der Flüchtlingsdebatte einen Auslöser („Trigger“) gefunden. Fehle es an politischer Handlungsfähigkeit, gehe damit ein schleichender Vertrauensverlust einher.

Merkels „Wir schaffen das“: Gauck fordert klare Wege

Damals, als Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte: „Wir schaffen das“, habe ihm persönlich eine wichtige Ergänzung gefehlt: nämlich der Hinweis, wie genau dieses Ziel erreicht werden solle. Die Botschaft selbst habe er jedoch grundsätzlich für richtig gehalten.

Ein aktuelles Beispiel für gelungenes politisches Auftreten sieht Gauck in Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius, der laut Umfragen zu den beliebtesten Politikerinnen und Politikern des Landes gehört. Die Bevölkerung spüre hier, dass jemand wirklich wolle – das Stichwort laute: „Vertrauen durch Haltung“.

„Ich wollte einmal Ur-Deutsch sein“

Ein solcher Vertrauensaufbau sei jedoch nicht zu verwechseln mit den einfachen und radikalen Rezepten der Alternative für Deutschland (AfD). Gauck bezeichnet deren politische Vorstellungen abwertend als „irgendso Zeug“. Diese Menschen würden nicht einfach verschwinden. Aber: „Es ist ja nicht unmöglich, einen Stimmungswechsel herzuführen.“

Obwohl Gauck „hier noch vier Stunden sitzen“ könne, kommt nach etwa einer Stunde die Schlussfrage von Moderatorin Gause: Was sei sein positiver Ausblick?

In seiner Botschaft aus Fellbach beginnt Gauck mit einer ironischen Zuspitzung klassischer Klagen: „Ich wollte einmal Ur-Deutsch sein.“ Alles sei verloren – die Bahn sei unpünktlich, die Deutsche Post verachte ihre Kundschaft. Dafür gibt es viel Applaus und herzhaftes Lachen im Saal.

Doch dann die Kehrtwende: „Das Merkwürdige ist, dass Millionen von Menschen gerne in diesem Land wohnen möchten.“

Gaucks Geschenkkorb für Deutschland

Der von 2012 bis 2017 amtierende Bundespräsident erzählt, wie er zum ersten Mal im Jahr 1990 gewählt hatte. „Ich kam aus dem Wahllokal raus und mir kullerten die Tränen über die Backen“. Er war nicht traurig, er war überglücklich, er hatte gewählt. Er musste 50 Jahre warten, um als freier Mensch in freien Wahlen ein Bürger sein zu können.

Für sein positives Fazit zum Ende des Abends stand Gauck auf. Foto: Gottfried Stoppel

Mittlerweile steht Gauck und sagt, was er den Zuschauern zum Abschied gerne in einem Geschenkkorb auf die Bühne stellen würde:

  • Ich lebe in einem Land, in dem ich frei, gleich und geheim wählen kann.
  • Ich kann frei und offen meine Meinung sagen und weiterverbreiten.
  • Ich kann mich mit anderen Menschen verbünden, in Vereinen oder gar Parteien.
  • Ich darf mich informieren, ganz weitläufig, ohne Zensur und mit einem Reichtum an Meinung.
  • Ich lebe in einem Land, wo das Recht seinen Raum gewinnt, mit einer rechtstreuen Bevölkerung.
  • Ich lebe in einem Land ohne kriegslüsterne Generäle oder Minister, einem Land des Friedens, das mit anderen befreundet ist.
  • Das Land gibt einen Riesenanteil für einen Sozialstaat aus, der diesen Namen verdient und den Millionen andere Menschen auf der Welt gerne hätten.
  • Ich darf frei glauben oder nicht glauben.
  • Ich habe das Recht, dieses Land zu verlassen, wenn ich das möchte - ohne, dass mich jemand hindern kann.

„Sie waren und sind eine Wohltat für unser Land“

All diese Dinge hielten manche von uns für selbstverständlich. Gauck findet es erinnerungswürdig, dass wir das alles haben. Nicht als Traum, sondern als ganz reale politische Wirklichkeit. Er möchte die Menschen erinnern, an das, was an Kraft in ihnen steckt als Gestaltungsmacht. „Und deshalb bin ich dann doch am Schluss zuversichtlich“, schließt der Bundespräsident a.D. ab.

Die Kombination hat gepasst: Moderatorin Gundula Gause und Joachim Gauck. Foto: Gottfried Stoppel

Am Ende gibt es stehende Ovationen. Gauck strahlt, wirkt gerührt. Als Dank bekommt er Fellbacher Wein – und große Worte von Gundula Gause: „Sie waren und sind eine Wohltat für unser Land.“ Ein Satz, der noch nachhallt, als sich die Gäste am Büchertisch versammeln.