Experten reden nicht lange drum herum. Die Beiträge zur Gesetzlichen Rentenversicherung werden bereits in absehbarer Zeit steigen. Damit die Altersversorgung auf soliden Füßen steht, müssen die Beitragszahler länger einzahlen.

Stuttgart - Experten reden nicht lange drum herum. Die Beiträge zur Gesetzlichen Rentenversicherung werden bereits in absehbarer Zeit steigen. Damit die Altersversorgung auf soliden Füßen steht, müssen die Beitragszahler länger einzahlen.

Herr Börsch-Supan, die Zweifel an der Sicherheit der gesetzlichen Rentewachsen ...

Der Bestand der gesetzlichen Rente ist sicher und auch durch die demografische Entwicklung nicht im Kern bedroht. Die einzige Einschränkung ist, dass die Renten nicht mehr ganz so üppig ausfallen. Junge Leute werden etwas mehr einzahlen müssen, und die Älteren bekommen etwas weniger. Aber das hält sich in Grenzen. Die Einschnitte bei der gesetzlichen Rente gegenüber dem Jahr 2000 liegen in der Größenordnung zwischen 15 und 18 Prozent.

Werden die Rentenbeiträge steigen?

Ja, sie werden wohl schon vom nächsten Jahr an um zwei bis drei Prozent steigen. Das hat aber konjunkturtechnische Gründe, denn bis dahin wird die Krise auch auf die Beiträge durchschlagen.

Der Aufschrei wird aber groß sein ...

Aber so ist die Rechnung. Im Gesetz steht, wie die Rentenbeiträge berechnet werden, dass sie von den Löhnen abhängen und von den eingesammelten Beiträgen. Wenn die nicht ausreichen, um die Zahlungen zu tätigen, wenn auch die Nachhaltigkeitsreserve aufgebraucht ist, dann müssen die Beiträge erhöht werden. Das ist keine politische Entscheidung, sondern eine finanzwirtschaftliche. Leider fallen die Renten nicht wie Manna vom Himmel, sondern die Erwerbstätigen müssen sie im laufenden Jahr erwirtschaften. Wenn weniger arbeiten, diese weniger verdienen oder mehr kurzarbeiten, haben wir ein Finanzierungsproblem. Dem können wir durch drei Mechanismen gegensteuern: Wir lassen die Leute länger arbeiten. Oder die Rentner kriegen weniger. Oder die Beitragszahler müssen mehr bezahlen. Generationengerecht ist, wenn man sich das zwischen allen teilt. Ohne diese Kompromisse geht es nicht.

Was läuft in Deutschland noch falsch?

Erstens müssen wir einsehen, dass alle länger leben und deshalb auch länger arbeiten müssen. Grob gesagt beginnen zurzeit die meisten mit 20 Jahren zu arbeiten, gehen mit 60 in die Rente, und mit 80 hört die Rentenbezugszeit auf. Man arbeitet ungefähr doppelt so lange, wie man Rente bezieht. Wenn wir durch die höhere Lebenserwartung drei Jahre älter werden, muss man diese zusätzlichen Jahre ebenfalls im Verhältnis 2:1 aufteilen. Man bezieht ein Jahr länger Rente und muss dafür zwei Jahre länger arbeiten. Das ist die Rente mit 67. Die Bevölkerung glaubt, es würden ihr zwei Jahre weggenommen von ihrer Rente. Aber das stimmt nicht. Von drei zusätzlichen Lebensjahren gehen zwei von der Rente weg, eins kommt dazu. Auch die Rentengarantie vor der Bundestagswahl 2009 war ein großer Fehler. Die müssen nämlich die jungen Leute erwirtschaften. Irgendwann muss man diese Rentengarantie brechen. Andernfalls gaukelt man den Rentnern wie zu Blüms Zeiten vor, sie hätten eine Rentensicherheit, die so eben nicht da ist.

Welche vergleichbaren Länder machen es besser?

In Schweden sind Renteneintrittsalter und Höhe der Rentenauszahlungen an die wirtschaftliche und demografische Entwicklung gekoppelt. Da gibt es keine Diskussion über die Rente mit 67, jeder kann in Rente gehen, wann er möchte. Geht er früher, fällt die Rente um etwa 6,5 Prozent jährlich niedriger aus, geht er später, ist sie höher. Das funktioniert sehr gut. Der zweite Punkt ist: Wenn weniger junge Leute einzahlen, sinkt automatisch die Rentenzahlung, man macht es aber nicht zum Politikum.

In welchen Branchen ist eine längere Lebensarbeitszeit möglich, ohne dass die Jobs für die Jüngeren knapp werden?

Querbeet in allen. Selbstverständlich können Branchen, die ohnehin schrumpfen, weder ältere noch jüngere Mitarbeiter neu einstellen. Doch da kursieren zwei wichtige Missverständnisse. Zum einen stimmt es einfach nicht, dass Ältere weniger produktiv seien als Jüngere. Ältere mögen etwas langsamer sein, brauchen eine Lesebrille oder ein Hörgerät. Jüngere mögen zwar fixer sein, aber sie haben weniger Menschenkenntnis, sie überreagieren leichter in kritischen Situationen und haben weniger Organisationstalent. Ältere und Jüngere sind eben verschieden, und alle haben ihre Qualitäten. Sie werden keine wissenschaftliche Untersuchung finden, die belegt, dass die Produktivität mit dem Alter systematisch nachlässt. Gerade in einer Gesellschaft, in der die körperliche Anstrengung am Arbeitsplatz kaum eine Rolle spielt, haben Ältere ein leichteres Spiel. Dass ich eine Lesebrille brauche, hindert nicht meine Fähigkeit zu lesen. Allerdings muss man sich immer wieder weiterbilden. Das andere Missverständnis ist, dass Ältere den Jüngeren die Jobs wegnähmen. In Schweden ist das mittlere Rentenalter ungefähr zwei Jahre höher als in Deutschland, in der Schweiz fast drei Jahre höher. Und trotzdem arbeiten in beiden Ländern - prozentual auf die Bevölkerung bezogen - mehr Jüngere.

Wie kann man das erklären?

Wenn man Leute mit 60 in die Frührente schickt, muss jemand diese zahlen. Das sind die jüngeren Arbeitnehmer. Das macht die wiederum teurer, weshalb die Arbeitgeber sie ungern einstellen. Höhere Arbeitskosten, verursacht durch die Frührente, schaffen Arbeitslosigkeit und nicht umgekehrt. Deshalb findet man in Ländern mit hohem Frühverrentungsanteil auch eine hohe Arbeitslosigkeit und umgekehrt.

Unabhängig vom Renteneintrittsalter: Die Durchschnittsrente liegt derzeit bei 1200 Euro. Rentner brauchen aber viel mehr, denken Sie an die teuren Gesundheitsleistungen. Wer kann das auffangen?

Deswegen haben wir ja eine Kranken- und eine Pflegeversicherung, die zumindest einen Teil der signifikanten Pflegekosten abdeckt. Aber wir müssen mit allen Kräften verhindern, dass die Kosten im Gesundheitssystem weiter explodieren. Wenn das der Fall ist, haben wir ein echtes Problem.

Im Zuge der Finanzkrise haben Sparer viel Geld verloren. Was ist sicherer: die gesetzliche oder die private Altersvorsorge?

Zunächst muss man sich klarmachen, dass von einer Wirtschaftskrise beide betroffen sind. Die gesetzliche Altersvorsorge, weil durch höhere Arbeitslosigkeit, niedrige Löhne und Kurzarbeit Einschnitte da sind. Privatanleger sind etwas besser durch die Krise gekommen. Das liegt daran, dass sie weniger in Aktien investiert haben. Letztlich kommt es auf das Portefeuille an, in das investiert wurde. So ernüchternd das ist: Ultimative Sicherheit kann keines der beiden Systeme geben. Beide funktionieren gut im Tandem. Wir werden in 20, 30 Jahren immer noch ein Rentensystem haben, bei dem ungefähr zwei Drittel aus der gesetzlichen kommen, und ein Drittel aus der privaten. Das ist eine vernünftige Mischung. Ein Problem ist freilich, dass sich die weniger gut bezahlten Schichten die private Vorsorge nicht leisten können. Wir müssen deutlicher machen, dass schon geringe Sparbeträge im Zusammenhang mit den staatlichen Zuschüssen bei der Riester-Rente eine gute Ergänzung zur gesetzlichen Rente sind.