Baden-Württemberg hat den höchsten Anteil minderjähriger Bürger. Foto: dpa

Nirgendwo in Deutschland leben so viele unter 18-Jährige wie in Baden-Württemberg. Eine der Hauptursachen dafür sehen Wissenschaftler in der guten Arbeitsmarktsituation.

Stuttgart - 143 Minderjährige wohnen in der Gemeinde Fleischwangen im Kreis Ravensburg – bei insgesamt 653 Einwohnern ist der Anteil junger Menschen folglich relativ hoch. Fleischwangen gehört damit gemeinsam mit dem nicht weit entfernten Ort Boms zu den jüngsten Gemeinden in ganz Baden-Württemberg: 37,8 Jahre alt sind die Bürger dort im Schnitt, teilte das Statistische Landesamt vor kurzem mit.

Warum ist das so? Bürgermeister Timo Egger, selbst erst 25 Jahre alt, sieht den Grund dafür vor allem darin, dass Fleischwangen einen eigenen Kindergarten und eine eigene Grundschule hat. „Ansonsten sähe es anders aus“, glaubt er. So aber fänden junge Familien alles, was sie brauchten. Das Betreuungsangebot solle noch zur Krippe ausgebaut werden, sagt der Bürgermeister. „Wir tun alles, was im Rahmen des Möglichen ist, um Familien zu unterstützen.“ Doch das ist Egger zufolge nicht alles: „Die Menschen hier sind sehr heimatverbunden. Es herrscht ein gutes Gemeinschaftsgefühl. Ich kenne keinen, der sagt: ‚Ich muss hier weg.‘“ Auch das Vereinsleben sei stark ausgeprägt. Eine weitere Erklärung für das niedrige Durchschnittsalter liefert das Statistische Landesamt: „Je kleiner Gebietseinheiten werden, umso stärker wirken sich auch Wanderungsbewegungen aus“, so die Behörde.

Das gilt auch in Boms, wo zwei Großfamilien wesentlich zum niedrigen Altersdurchschnitt beitragen, wie Bürgermeister Peter Wetzel erklärt. Nach Boms zögen bewusst Familien von außerhalb. „Wir haben Glück, dass wir durch die B 32 sehr gut angebunden sind“, erklärt er. Eine regelmäßige Busanbindung, gut ausgebautes Internet und ein umfangreiches Ferienprogramm für Kinder im Sommer machten Boms attraktiv. „In den angrenzenden Orten gibt es Seniorenheime, so dass ältere Menschen ihre Häuser verlassen und dadurch neuen Wohnraum für junge Familien schaffen.“ Der wird dringend gebraucht: „Wir sind gerade an einem großen Baugebiet dran“, sagt Wetzel.

Verglichen mit anderen Bundesländern hat Baden-Württemberg laut den jüngsten Zahlen des Statistischen Landesamts den höchsten Anteil an unter 18-Jährigen: 17,1 Prozent der Bevölkerung sind minderjährig, ein Prozent mehr als im Bundesdurchschnitt.

Eine wesentliche Ursache dafür sieht Rembrandt Scholz, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für demografische Forschung in Rostock, in der guten wirtschaftlichen Situation im Land. „Es gibt viele Arbeitsplätze in Baden-Württemberg.“ Das begünstige Zuwanderung. „Das geht mit der Ausbildungswanderung los – im Alter von 20 bis 35 wandern Menschen am häufigsten. Man geht dahin, wo es Arbeit gibt, und gründet dort eine Familie“, erklärt der Wissenschaftler. Dabei sei Baden-Württemberg für Deutsche aus anderen Bundesländern wie auch für Ausländer, vor allem aus Südeuropa, attraktiv. „Diese Zuwanderer werden aber vermutlich wieder in ihre Heimatstaaten zurückkehren, wenn sich die wirtschaftliche Situation dort verbessert“, prognostiziert Scholz. „Der Arbeitsmarkt erfordert eine hohe räumliche Mobilität, und die Bevölkerung reagiert darauf.“

Neben vielen jungen Leuten leben rund 2,1 Millionen Männer und Frauen über 65 im Südwesten – 19,6 Prozent der Bevölkerung. Im Bundesdurchschnitt sind es 20,8 Prozent. Den höchsten Altersdurchschnitt hat mit 52 Jahren die Gemeinde Untermarchtal im Alb-Donau-Kreis. Das liegt insbesondere am Kloster der Barmherzigen Schwestern vom heiligen Vinzenz von Paul sowie am Alten- und Pflegeheim des Ortes. Laut Bürgermeister Bernhard Ritzler stehen dort 160 Plätze für Senioren zur Verfügung – und 230 Arbeitsplätze. „Derzeit kämpfen wir um eine Wiederbelebung des Bahnhofs“, sagt Ritzler. Dadurch soll der Ort für Touristen und Besucher des zum Kloster gehörenden Bildungshauses besser erreichbar werden. Gemeinsam mit dem Kloster hat die Gemeinde den „Garten Eden“ eingerichtet – „ein Generationenpark mit Tieren, Sinnes- und Therapiegarten, der das Miteinander von Alt und Jung fördern soll“, so Ritzler.

Das Statistische Landesamt geht davon aus, dass sich der Anteil der über 65-Jährigen im Südwesten bis 2030 auf 25 Prozent erhöht. Dass die Menschen immer älter werden, lässt sich Wissenschaftler Scholz zufolge seit über 100 Jahren beobachten. „Der medizinische Fortschritt, ein höheres Lebensniveau und bessere Arbeitsbedingungen tragen zu einer höheren Lebenserwartung bei“, sagt er. Das fordert das Rentensystem heraus, auch wenn die Statistiker davon ausgehen, dass die Belastungen durch eine zunehmende Zahl erwerbstätiger Frauen und älterer Erwerbstätiger abgemildert werden. „Unsere Gesellschaft war noch nie so reich wie heute, es ist nicht so, dass wir uns eine ältere Bevölkerung nicht leisten könnten“, sagt Demografieforscher Scholz. „Allerdings nicht mit dem bisherigen Rentensystem – das muss geändert werden.“