Das Olgäle-Areal bietet Gelegenheit für die Quartiersentwicklung und Platz für neue Lebensformen. Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

Gearbeitet, Kinder erzogen, Mutter gepflegt und später knapp bei Kasse – dieses Schicksal droht einem Viertel der Frauen, die noch zehn, 15 Jahre bis zur Rente haben. Die Stadtverwaltung ist einer der größten Arbeitgeber in Stuttgart und will künftig auf familiäre Belastungen Rücksicht nehmen.

Stuttgart - Soziologen, Personal- und Sozialplaner haben die Unterschiedlichkeit als Forschungsfeld entdeckt. Die Ergebnisse lassen aufhorchen, denn Folgen, wie zum Beispiel die der Altersarmut, tragen auch die Jungen. berichtete jüngst im Rathaus vom Armutsrisiko für Frauen.

Erich Stutzer vom Statistischen Landesamt berichtete jüngst im Rathaus und war schnell mittendrin im Thema Unterschiedlichkeit: Das Armutsrisiko von Männern ist wesentlich kleiner als das bei Frauen. Landesweit seien 15,8 Prozent der Frauen von Armut bedroht, und das Risiko nehme im Alter zu, referierte er. Insbesondere Alleinerziehende, „fast ausschließlich Frauen“, seien mit 45,8 Prozent besonders betroffen. Die Altersarmut werde steigen, sobald die heutigen Geringverdienerinnen in Rente kommen. Angela Riße, Vorsitzende des Sozialdienstes Katholischer Frauen, ist seit 25 Jahren in der Arbeit mit Frauen berufstätig. Sie sagt: „Diese Erkenntnisse sind nicht neu. Aber es mangelt an Schlussfolgerungen. Wir müssen über Maßnahmen und politische Konsequenzen nachdenken.“

Familienarbeit kostet Rentenansprüche

Eine davon ist die Dienstvereinbarung Chancengleichheit. Denn darin ist für städtische Mitarbeiter unter anderem ab sofort geregelt, dass besondere Belastungen zu berücksichtigen sind. Zum einen die der jungen Eltern, „jetzt aber auch die der Pflegenden“, sagt Ursula Matschke, die städtische Beauftragte für Chancengleichheit. Sie befasst sich seit zehn Jahren mit dem Thema, denn gerade bei der Stadt, einem der größten Arbeitgeber Stuttgarts, arbeiten überdurchschnittlich viele Frauen und viele in Teilzeit. Künftig also haben Beschäftigte beispielsweise Anspruch auf zehn bezahlte Pflegetage für Angehörige oder auch auf eine bezahlte Freistellung für die Begleitung von Familienangehörigen zum Arzt. „Wir sind außerdem im Gespräch darüber, wie wir eine interne Beratung für Pflegende schaffen können“, sagt sie, ähnlich der für die Vermittlung von Mitarbeiterkindern in Betriebs-Kitas. Dahinter steckt unter anderem die Hoffnung, dass pflegende Mitarbeiter nicht auf einen schlechter bezahlten Teilzeitjob umschwenken oder gar ganz zu Hause bleiben und damit spätere Rentenansprüche einbüßen.

Denn zunehmende Altersarmut hat Folgen für das Gemeinwesen. Sabrina Pott vom Sozialamt zitiert Ergebnisse des Alterssurveys, einer Befragung von über 50-Jährigen in Stuttgart: „Zwölf Prozent von ihnen haben kein soziales Netz, 14 Prozent besuchen nie jemanden und 44 Prozent treiben keinen Sport“, so Pott. Das Risiko bei zurückgezogen lebenden älteren Menschen ist hoch, dass niemand bemerkt, wenn sie Hilfe brauchen – auch wenn es diese in der Nachbarschaft gäbe.

In der Quartiersentwicklung steckt Potenzial

Für Angela Riße vom SkF leitet sich aus den Umfrageergebnissen ein Arbeitsauftrag für Stadt und freie Träger ab: „Wir müssen die Anonymisierung der Großstadt verhindern und die Arbeit der Institutionen verbessern. Zum Beispiel sollten wir die Leute wieder mehr aufsuchen, statt darauf zu warten, dass sie zu uns kommen. In der Quartiersentwicklung steckt dafür viel Potenzial.“

Mit der Quartiersentwicklung sollen Wohnumfeld und Lebenssituation soll so gestaltet werden, dass ältere Menschen möglichst lange selbstständig in ihrer Wohnung leben können. Die Bewohner werden an der Entwicklung des Quartiers beteiligt, soziale Dienstleister, Initiativen, Vereine, Kirchen und die Wohnungswirtschaft mit einbezogen. In Heslach, im Raitelsberg und in der Neckarvorstadt gibt es solche Quartiersentwicklungen schon, nun kann auch im Norden und in Wangen damit begonnen werden. Jeweils 7000 Euro stehen zur Verfügung.

Der Norden wurde ausgewählt, weil beim Alterssurvey „überdurchschnittlich oft fehlende Beteiligungsmöglichkeiten“ und eine „wenig zufriedenstellende Infrastruktur“ bemängelt worden sind. In Stuttgart-Wangen fehlen den Befragten Freizeitmöglichkeiten, außerdem sind sie unzufrieden mit der Wohngegend. In beiden Bezirken werden noch in diesem November Bewohner aller Altersgruppen zu einer Expertenrunde eingeladen. Sie sollen die für sie wichtigen Themen auf den Tisch bringen und weiterverfolgen.

Baubeginn nach zehn Jahren Planung

Der Paritätische Wohlfahrtsverband des Landes hat bei einem Fachkongress im Oktober erste Forderungen aufgestellt, die Städten eine Quartiersentwicklung erleichtern könnten. Dazu brauche es eine bürgerfreundliche Verwaltung, Beteiligungsformen und integrierte Planungsprozesse und Konzepte. Noch werde zu häufig in zu vielen Zuständigkeiten gedacht, weshalb viele Projekte nur langsam vorankämen. Um sozialraumorientiert planen zu können, brauchen die Kommunen allerdings entsprechende Landesgesetze, regionale Pflegekonferenzen und eine kommunale Pflegestruktur, fordert der Paritätische Wohlfahrtsverband.

Mitten drin in der Entwicklung ist die Projektgruppe Olgäle 2012. Die Stuttgarter Wohnungs- und Städtebaugesellschaft (SWSG), sieben Baugemeinschaften und private Investoren werden auf dem ehemaligen Areal der Kinderklinik circa 220 Wohnungen, eine Kindertagesstätte, ein Familien- und Nachbarschaftszentrum, einen Spielplatz, vier Tiefgaragen sowie Gewerberäume errichten. „Wichtige Aspekte sind der Mix von jung und alt, Familien und Singles, die Nachhaltigkeit des Planungsprozesses, eine ökologische Bauweise sowie eine Staffelung von öffentlichen, halbprivaten und privaten Bereichen“, heißt es in der Präsentation der Bürgerinitiative, die seit bald zehn Jahren aktiv ist. In den nächsten Monaten soll mit dem Bau begonnen werden

Info

Die Ausstellung:

Im Mercedes-Benz-Museum in Bad Cannstatt ist die interaktive Präsentation „Ey Alter“ zu sehen. Sie beleuchtet die positiven Seiten des Alterns und erläutert wissenschaftliche Erkenntnisse darüber, was sich verjüngend auf Menschen auswirkt. Die Ausstellung stellt ferner die Chancen vom Arbeiten im altersgemischten Team dar und ist deshalb auch als Schulungsangebot für Führungskräfte aus dem Daimler-Benz-Konzern gedacht.

Die Öffnungszeiten:

Geöffnet ist die Ausstellung Dienstag bis Sonntag täglich zwischen 9 und 18 Uhr. Die Eintrittskarte berechtigt auch zum Besuch der regulären Ausstellung im Automuseum.

Der demografische Wandel:

In Stuttgart wirkt sich der demografische Wandel unter anderem auf das soziale Miteinander, das Arbeiten und das Wohnen aus. Anlässlich der Ausstellung berichten wir in loser Folge, wie sich die Stadt in diesen Bereichen auf den höheren Anteil Älterer einstellt. In diesem Beitrag geht es um Chancen und Lebensräume für alle Generationen.