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Zehntausende fordern Rücktritt von Mappus - Irritationen um angebliches Todesopfer.

Stuttgart - Mehrere Zehntausend Menschen haben am Freitagabend im Schlossgarten erneut gegen das Projekt Stuttgart 21 protestiert. Fassungslosigkeit über den Polizeieinsatz vom Vortag herrschte vor. Die Demonstration blieb friedlich. Irritationen lösten allerdings Gerüchte um ein angebliches Todesopfer aus.

Es ist kurz nach 19 Uhr, als im Mittleren Schlossgarten großes Entsetzen aufkommt. Auf der Bühne wird von Parkschützern von "Gerüchten" berichtet, eine 60 Jahre alte Frau sei am Vortag von Polizisten niedergeschlagen worden und wenig später verstorben. Die Demonstranten werden aufgefordert, nach Zeugen für den Vorfall zu suchen, denn offizielle Informationen würden von den Behörden blockiert.

Später aber wird relativiert. "Wir haben keine direkte Quelle für dieses Gerücht", sagt Carola Eckstein, Sprecherin der Parkschützer, "die Behauptung ist nicht erwiesen." Gangolf Stocker, Sprecher des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21, möchte das Thema nicht kommentieren, und Werner Wölfle, Grünen-Sprecher im Gemeinderat, sagt zu der Durchsage auf der Bühne: "Ich fand das mehr als schlecht. Es war aber nichts anderes, als wenn der Innenminister behauptet, es seien Steine geflogen." Die Polizei bestreitet die Vorwürfe vehement. "Wir haben das mehrfach überprüft. Es gab definitiv kein Todesopfer nach dem Polizeieinsatz. Das haben die Rettungsleitstellen bestätigt", sagt Sprecher Stefan Keilbach.

Auf der Bühne wird derweil ein Brief verlesen. Er soll vom Eisenbahn-Bundesamt (Eba), der der Bahn vorgesetzten Genehmigungsbehörde, stammen und trägt das Datum 30.September. Es soll am Donnerstag noch vor den Baumfällungen im Park ans Regierungspräsidium und an die DB Projektbau gegangen sein. In dem Schreiben wird die Bahn aufgefordert, "rechtzeitig vor Aufnahme der Bauarbeiten" weitere "landschaftspflegerische Ausführungsunterlagen" bis zum 8. Oktober einzureichen. Vorher dürfe nicht mit dem Fällen begonnen werden. Woher das Schreiben stammt, will Projektgegner Fritz Mielert nicht preisgeben, es handle sich jedoch "um eine Quelle, der man vertrauen kann".

Zu der Frage eines Verbots der Fällarbeiten äußerte sich das Eba in Bonn gegenüber unserer Zeitung auf Anfrage am Freitag schriftlich so: "Das Eba hat keinen Stopp der Fällarbeiten verfügt." Allerdings gab es Auflagen: "Das Eba hat die ökologische Bauüberwachung der Vorhabenträgerin (die Bahn a.d.R.) aufgefordert, die Fällarbeiten auf potenzielle artenschutzrechtliche Beeinträchtigungen zu prüfen und während der Arbeiten zu überwachen." Ergebnisse würden bewertet. Weitere Nachfragen unserer Zeitung zu diesem Sachverhalt beantwortete das Eba am Abend nicht.

Begonnen hatte der Abend mit einer Schweigeminute. Sie galt den Ereignissen vom Vortag, als zahlreiche Menschen beim Polizeieinsatz verletzt worden sind. Was folgte, war umso lauter. Innenminister Heribert Rech und Ministerpräsident Stefan Mappus bekamen die Leviten gelesen. "Wir spüren ohnmächtige Wut und großes Entsetzen", rief Regisseur Volker Lösch auf der Bühne, "die Gewalt ist ausschließlich von der Polizei ausgegangen." Der Einsatz sei mit Absicht und Kalkül erfolgt: "Mappus will mit prügelnden Polizisten und Kettensägen Fakten schaffen." Gangolf Stocker forderte den Rücktritt von OB Wolfgang Schuster und legte nach: "Gestern haben wir die ausgestreckte Hand von Herrn Mappus zu spüren bekommen." Die Menge skandierte "Mappus raus!".

Nach der Kundgebung ziehen die Demonstranten lautstark über den City-Ring und dann zurück zum Schlossgarten. Wo Bäume standen, klafft eine Lücke, wo noch vor kurzem Wiese war, findet sich jetzt eine große Schlammpfütze. Der Abend verläuft weitgehend friedlich und ist noch lange nicht zu Ende. Tausende bleiben bis in die Nacht. Die zahlreichen Polizisten bleiben zumeist beschäftigungslos.

Zuvor hatten alle Beteiligten vor einer weiteren Eskalation gewarnt. Die Demonstranten fordern sich immer wieder gegenseitig zur Friedfertigkeit auf. Am Abend bestätigt Polizeisprecher Keilbach, dass die Lage ruhig geblieben sei: "Es hat keine Gewalt gegeben." Sowohl Polizei als auch Veranstalter sprechen von der bisher höchsten Beteiligung an einer Demonstration gegen Stuttgart 21 - die Zahlen schwanken zwischen 50000 und bis zu 100000 Teilnehmern.