Im Schaufenster der Boutique Abseits von Winni Klenk stehen Transparente und Protestplakate Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Im 30. Jahr ihres Bestehen sorgt die Boutique Abseits am Kleinen Schlossplatz mit einer Modepuppen-Demo für Aufsehen.

Stuttgart - Dank Daimler, Bosch und Porsche zählt Stuttgart zu den wichtigsten Autostädten der Welt. Doch mitunter dreht sich bei uns kein Rad mehr, weil sich die Stadt, vor allem durch hartnäckiges Aufbegehren an jedem ersten Werktag einer Woche, ein weiteres Prädikat erworben hat: Stuttgart, die Demo-Metropole.

Wo der bürgerliche Ungehorsam nicht erst seit einem Tiefbahnhofprojekt eine Tradition hat, wo der Bauernkrieger Jörg Ratgeb und Widerstandskämpfer Eugen Bolz gelebt haben, ist es nur folgerichtig, wenn sich nun schick (oder gar nicht) gekleidete Rebellen im Schaufenster formieren. Der Kreis der Unzufriedenen wird immer größer. Eine Demo der Modepuppen ist so neu, dass das, was bei der Boutique Abseits auf dem Kleinen Schlossplatz im 30. Jahr ihres Bestehens geschieht, für großen Gesprächsstoff sorgt.

„Mode muss man sehen“, steht auf einem der Protestplakate. Außerdem prangern die Schaufensterpuppen an: „Dreiste 11 Monate Baustelle – nichts passiert.“ Und es kommt noch dicker: „Stadt belügt Einzelhandel.“

Natürlich will Abseits-Chef Winni Klenk damit ausdrücken, was er von der Dauerbaustelle hält, die ihm seit gut einem Jahr vor dem Eingang wie eine Mauer das Licht und die Kunden nimmt. Die Sanierung des Decken-Lichtbandes des Kunstmuseums scheint zu einer unendlichen Geschichte zu werden. Klenk beklagt zeitweise Umsatzrückgänge von 15 bis 30 Prozent. Bei der viel beachteten Demo-Szene seines Schaufensters geht es Klenk, der einst eine Fleischerei-Fachlehre gemacht hat, bevor er beschloss, Mode abseits des Mainstreams nach Stuttgart zu holen, freilich um mehr. Die Präsentation seiner Winter-Mode ist eine Hommage an einen Meister. Bei der Fashion Week in Paris hatte Karl Lagerfeld mit einer gefakten Demonstration für Aufsehen gesorgt. Seine Models erschienen bei der Chanel-Show lärmend und pfeifend, trugen Protestplakate mit Slogans wie „Make Fashion Not War“ und „Boys Should Get Pregant Too“ (Auch Jungs sollten schwanger werden).

Dass die Mode sich mit Demo-Szenen schmückt, ist kein Zufall, wie Abseits-Chef Klenk meint. Fürs nächste Jahr prophezeit er die modische Rückkehr der 1970er, als Hippies und Studenten die Welt verändern wollten, als junge Menschen auf Demos sozialisiert worden sind.

Wenn das Abseits in wenigen Wochen sein Schaufenster weihnachtlich umdekoriert, müsste sich das Haus der Geschichte Klenks demonstrierende Puppen sichern. Schon jetzt hat der Modemann, der einst für seine Rasa-Locken bekannt war und heute eine blondierte Kurzhaarfrisur trägt, Stadt-Szene-Geschichte geschrieben. Vor 30 Jahren, als er dem Wunsch seiner Eltern widersprach, die Metzgerei der Familie zu übernehmen und mit Mode auf dem Flohmarkt begann, trauten ihm nur wenige zu, dass er es mal so weit bringen würde – bis zu einem eigenen Geschäft auf dem Kleinen Schlossplatz mit viel Promi-Kundschaft etwa vom VfB. Außerdem hat sich Klenk für drei Monate im Fluxus, in der neuen, etwas anderen Temporary Mall der Calwer Passage eingemietet. Eine Stadt, sagt er, brauche mehr als die uniformierte Einrichtung großer Ketten, die in allen Metropolen gleich ist. Stuttgart hat in der Tat mehr zu bieten – mehr Baustellen und Demonstranten als andere. Und jetzt kommt das Ganze auch noch in Mode.