Stadtdekan Søren Schwesig will die Besuche in den Gemeinden vor Ort ausweiten, um „Kontakt zu halten“. Foto: Caroline Holowiecki

„Kirche heute: Wo drückt der Schuh?“: Dieser Frage ist der Stadtdekan Søren Schwesig in Sillenbuch nachgegangen. Er warb für eine unbequeme, aber notwendige Öffnung.

„Das Image der Kirche ist nicht gut. Wir strampeln uns ab.“ Mit derart klaren Worten hat Søren Schwesig, der evangelische Stadtdekan in Stuttgart, am Donnerstagmorgen Besucher einer Gesprächsrunde in Sillenbuch konfrontiert. Der 60-Jährige war zu Gast in der Reihe „Begegnung am Vormittag“ bei der Sarahkirchengemeinde. Das Thema: „Kirche heute: Wo drückt der Schuh?“

Die Antwort auf diese Frage gab Friedrich July, Pfarrer in Sillenbuch, selbst, bevor die Diskussion überhaupt begonnen hatte: „Es gibt jede Menge, wo er drücken könnte.“ Er sprach von Baustellen auf mehreren Ebenen. Zum einen sind da strukturelle Veränderungen. Die Sarahkirchengemeinde selbst ist das Ergebnis der jüngsten Fusion von Sillenbuch, Alt-Heumaden und Heumaden-Süd. Zum anderen, und das ist das weitaus größere Problem, wenden sich immer mehr Menschen von der Kirche ab. Laut Søren Schwesig sind in vielen Schulklassen drei Viertel der Kinder heute nicht getauft, die religiöse Erziehung in den Familien bricht weg. Die evangelische Landeskirche in Württemberg hat 2021 einen Mitgliederrückgang um 2,4 Prozent verzeichnet. Zum Stichtag 31. Dezember 2021 zählte sie 1,87 Millionen Mitglieder; mehr als 45 000 weniger als im Jahr zuvor.

Wie der Veränderungsprozess gelingen kann

Da lag es wohl in der Natur der Sache – und auch am morgendlichen Termin –, dass unter den gut 25 Zuhörern in Sillenbuch fast nur Senioren waren. Dass der Stadtdekan sich in so einem Rahmen der Basis stellt: außergewöhnlich, wie er selbst einräumte. Er wolle solche Besuche verstärken, es sei ihm wichtig, „Kontakt zu halten“: „Es geht nicht anders. Der Veränderungsprozess, unter dem wir stehen, gelingt nur, wenn er mitgetragen wird von vielen.“ Ganz von ungefähr kam sein Besuch in Sillenbuch dennoch nicht. Friedrich July ist nicht nur Gemeindepfarrer vor Ort, er ist auch einstiger Religionsschüler Schwesigs und seit diesem September ebenfalls dessen Referent.

Die Einstellung beider Männer ist klar: Wenn die Kirche nicht weiter Mitglieder verlieren will, muss sie alte Zöpfe abschneiden und sich mehr an den Bedürfnissen der Menschen orientieren. „Unsere Trauordnung bildet die Wirklichkeit nicht mehr ab“, stellte Søren Schwesig beispielsweise klar. So müsse etwa Heiratswilligen ermöglicht werden, den kirchlichen Segen auch an unkonventionellen Orten zu empfangen. Friedrich July betonte: „Wir müssen mehr Dienstleistung reinbringen. Wir sind nicht der einzige Player auf dem Markt.“ Auch eine Öffnung in Richtung anderer Konfessionen sei notwendig. „Wir müssen viel mehr Ermutigung ausstrahlen. Wir müssen viel mehr diese Haltung haben“, sagte Søren Schwesig und breitete demonstrativ die Arme.

Wie ein Umzug in ein kleineres Gebäude

Verkrustete Strukturen, Missbrauchsfälle, die dringend aufgeklärt werden müssen, der immer unattraktiver werdende Pfarrberuf – der Dekan zeigte sich durchaus kritisch. Trotz aller bitteren Wahrheiten betonte er aber auch, nicht unverzagt zu sein. Stattdessen sei er „hoffnungslos hoffnungsvoll“ in Bezug auf die Kirche. „Ich empfinde die Kirche nicht in der Krise“, sagte er, vielmehr müsse man sie in einem Prozess der ständigen Erneuerung sehen. Dennoch: Leicht sei das indes nicht. Søren Schwesig verglich den aktuellen Vorgang mit einem Umzug in ein anderes, kleines Gebäude. „Wir müssen uns trennen von Liebgewonnenem.“