Dehnungsstreifen entstehen durch eine plötzliche Dehnung der Haut. Foto: aikatu/Adobe Stock

Für viele Menschen sind sie ein Schönheitsmakel, auf Fotos werden sie gerne wegretuschiert: Dehnungsstreifen. Doch im Netz gibt es auch eine Gegenbewegung. Was Sie über die kleinen Risse wissen müssen.

Stuttgart - Vor ein paar Jahren riefen zwei Amerikanerinnen einen Hashtag ins Leben: Mit #loveyourlines (Liebe deine Linien) wollten sie zeigen, dass die vermeintlichen Schönheitsmakel eigentlich keine sind – und inszenierten die kleinen Hautrisse in Schwarz-Weiß-Bildern. Immer wieder folgten seither Kampagnen im Netz mit einem ganz ähnlichen Anliegen. In den vergangenen Wochen machten mehrere Influencer und Prominente mit unretuschierten Bildern auf sich aufmerksam.

Was sind Dehnungsstreifen überhaupt – und wie entstehen sie?

Am Anfang sind sie oft rötlich und leicht erhaben, später eher weiß: Dehnungsstreifen sind kleine Risse in der zweiten Hautschicht. Diese sogenannte Unterhaut sorgt mit den Bindegewebsfasern Kollagen und Elastin für die Festigkeit und die Elastizität der Haut, erklärt Jens Tesmann, leitender Arzt am Stuttgarter Hautzentrum. Wird die Haut recht plötzlich gedehnt, entstehen in dieser Kollagenschicht Risse. „Dehnungsstreifen sind im Grunde nichts anderes als kleine Narben der Haut.“

Meist entstehen die Streifen dann, wenn die Haut überstrapaziert wird – also beispielsweise in Wachstumsphasen, während der Schwangerschaft, beim Muskelaufbau oder bei Gewichtsveränderungen. Häufig erscheinen die kleinen Risse vor allem am Bauch, den Oberschenkeln oder am Po. Hormonelle Veränderungen im Körper, die Einnahme von Cortison oder von Mitteln zum Muskelaufbau können das noch fördern, genauso wie bestimmte Krankheiten, bei denen der Körper viel Wasser verliert. Dazu kommt, dass manche Menschen einfach ein schwächeres Bindegewebe haben als andere: „Diese Veranlagung wird vererbt“, sagt Tesmann.

Ist das ein reines Frauenthema?

Dehnungsstreifen werden auch als Schwangerschaftsstreifen bezeichnet, aber das trifft es nicht ganz. Denn grundsätzlich kann jeder betroffen sein – auch Jungs oder Männer. Allerdings erleben Frauen eben häufiger hormonelle Veränderungen im Körper, sagt Hautarzt Tesmann. Durch diese monatliche Hormonveränderung sei das weibliche Bindegewebe stärker belastet. Tesmann sagt aber auch: „Bei Männern fallen solche Streifen häufig einfach nicht so sehr auf, weil sie mehr Haare haben oder selbst nicht so kritisch danach gucken.“

Dehnungsstreifen tun nicht weh und sind medizinisch gesehen überhaupt kein Problem. Trotzdem sind sie für viele ein Thema.

Viele seiner Patienten, sagt Dermatologe Tesmann, erleben Dehnungsstreifen tatsächlich als Schönheitsmakel – und leiden darunter. „Die Selbstwahrnehmung ist in den letzten Jahren sehr viel kritischer geworden“, sagt er. „Das wird gefördert durch die permanente Selbstoptimierung und die vermeintliche Makellosigkeit, die in den sozialen Netzwerken herrscht.“ Dabei sei es wichtig, nicht so streng mit sich selbst zu sein – und das „Normale“ als gut zu empfinden. Auch wenn Dehnungsstreifen auf Bildern von Prominenten häufig wegretuschiert würden, seien sie „völlig natürlich“.

Kann man trotzdem etwas gegen Dehnungsstreifen tun – oder ihnen vorbeugen?

Experten empfehlen, auf gesunde Ernährung zu achten, genug zu Trinken und Sport zu machen – insbesondere dann, wenn man merkt, dass der Körper sich verändert. Durch Bewegung oder warm-kalte Wechselduschen werden die Durchblutung und der Stoffwechsel angeregt, was auch dem Gewebe zugutekommen kann.

Empfohlen werden immer wieder auch Massagen mit weichen Bürsten oder sogenannte Zupfmassagen, die ebenfalls die Durchblutung anregen sollen – bei Frauen beispielsweise schon während einer Schwangerschaft. Helfen sollen außerdem Cremes und Öle: Zum Beispiel Retinol, eine Form von Vitamin A, Cremes mit Kakaobutter, Rizinusöl, Rosen- oder Lavendelöl. Besonders gut wirken solche Mittel, wenn die Risse noch relativ frisch sind – und rosafarben oder rötlich.

Welche medizinischen Behandlungen gibt es?

Man kann Dehnungsstreifen nicht vollständig beseitigen, aber es gibt Methoden, mit denen man sie mildern kann. „Je nach dem, wie sehr Patienten unter Dehnungsstreifen leiden, kann man mit dem sogenannten Mikroneedling die Bildung von neuem Kollagen in der Haut anregen“, sagt Dermatologe Jens Tesmann. Dabei werden sehr feinen, sterile Nadeln in die Haut gestempelt. Ziel ist es, dass die Haut durch diese minimalen Verletzungen die Kollagenstruktur selbst repariert und das Bindegewebe so gestrafft wird. Diese medizinische Behandlung beim Hautarzt muss selbst bezahlt werden und kostet zwischen 80 und 450 Euro – je nach dem, welche Körperregion behandelt wird und wie viele Sitzungen nötig sind. Laut Tesmann sei dies aber momentan die am meisten empfohlene medizinische Behandlung von Dehnungsstreifen.

Ein ähnliches Ziel hat auch die Behandlung der Haut mit dem Fraxel-Laser, die in der Regel noch deutlich teurer ist als das Mikroneedling. Neu und vielversprechend sei laut Tesmann auch eine Methode aus der Sportmedizin, bei der Microneedling mit der sogenannten PRP-Eigenbluttherapie kombiniert wird.

Was sind Beispiele für einen positiven Umgang mit den kleinen Hautrissen?

Die Pforzheimer Instergrammerin Patrizia Palme hat kürzlich ein Foto geposted, auf dem ihre Dehnungsstreifen zu sehen sind – und damit ein Statement gegen den Perfektionswahn auf der Plattform gesetzt. „Ja, auch ich habe Dehnungsstreifen und Pigmentstörungen. Das ist ganz natürlich“, schrieb sie dazu. Auf Instagram sehe immer alles so perfekt aus. „Auch ich erwische mich oftmals dabei, wie ich mich vergleiche und dabei unzufrieden werde.“

Unter den Hashtags #loveyourlines (Liebe deine Streifen), #stretchmarks, #bodylove oder #bodypositivity posten tausende Menschen unretuschierte Fotos und schreiben darüber, warum sie ihre Dehnungsstreifen und andere vermeintliche Schönheitsmakel an sich mögen. Andere Kampagnen folgten, zum Beispiel jene, die unter dem Hashtag #takebackpostpartum zeigen möchten, wie der Körper von Müttern sich durch eine Schwangerschaft verändert.

Auch einige Modeunternehmen verzichten inzwischen auf Foto-Retusche. Im vergangenen Sommer bekamen H&M, Asos, Desigual und Missguided viel Zuspruch für Bademode-Kampagnen, auf denen Models mit Dehnungsstreifen, Dellen, Narben oder Haaren an den Armen und unter den Achseln zu sehen waren. Auf Instagram schreiben viele Userinnen und User, dass sie sich über „mehr Realität“ bei den Kampagnen freuen: