Die Historikerin Claudia Weinschenk (Mitte) erzählte den Teilnehmern des Caritas-Stadtteilspaziergangs vor der Michaelskirche von der Geschichte Degerlochs. Auch über den Fasanenhof berichtete die Historikerin. Foto: Malte Klein

Eine Historikerin zeigt Mitarbeitern der Mobilen Jugendarbeit die Besonderheiten der Quartiere.

Degerloch/Fasanenhof - Sonst kümmern sich die Mitarbeiter der Mobilen Jugendarbeit um die Probleme der Jugendlichen – vergangene Woche aber gab die Historikerin Claudia Weinschenk ihnen und Mitarbeitern des Jugendamts bei einem Rundgang vor Ort einen Einblick in die Geschichte Degerlochs und des Fasanenhofs. „Sie sollen sehen, wie Degerloch und der Fasanenhof zu dem wurden, was sie jetzt sind“, erläuterte Jutta Jung, die Fachdienstleiterin für die Mobile Jugend- und Schulsozialarbeit der Caritas Stuttgart, den Zweck des Spaziergangs.

Die Caritas beschäftigt bei der Mobilen Jugendarbeit in Degerloch zwei und auf dem Fasanenhof drei Mitarbeiter. Die Frauen und Männer gehen dorthin, wo sich Jugendliche treffen und bieten ihnen Hilfe an. „Die beiden Standorte sind sehr unterschiedlich“, sagte Jung. „In Degerloch wohnt eine eher wohlhabende Bevölkerung, auf dem Fasanenhof leben viele sozial schwächere Menschen.“

Am Bettelplatz stand das Armenhaus

„Degerloch war lange Zeit ein Dorf“

Die Tour begann in Degerloch. Vor der evangelischen Michaelskirche erläuterte Claudia Weinschenk, warum es dort einen Bettelplatz gibt. „Die Stelle, wo die Kleine in die Große Falterstraße mündet, wird von den Degerlochern so genannt, weil dort einmal das Armenhaus stand.“ An der Pilsstube Ritter neben der Stadtbahn-Station Degerloch war der nächste Halt. „Der Ritter wurde schon sehr früh erwähnt“, erzählte Weinschenk. Das Haus sei stadtgeschichtlich interessant, weil dort im April 1945 der damalige Stuttgarter Oberbürgermeister Karl Strölin die Stadt an die französische Armee übergeben hatte.

Weinschenk berichtete weiter: „Degerloch war lange Zeit ein Dorf. Erst, als die Verkehrsanbindung mit dem Bau der Neuen Weinsteige und der Zahnradbahn besser wurde, zogen mehr Menschen hierher.“ Seit 1908 gehört Degerloch zu Stuttgart. Im Gegensatz zu anderen Stadtbezirken habe sich in dem Fildervorort aber kaum Industrie angesiedelt, so die Historikerin. Der Grund dafür sei gewesen, dass es nicht genug Wasser gegeben und der Anschluss an die Eisenbahn gefehlt habe.

Eine ganz neue Sichtweise

Für Zuhörer wie Anischa Mast, die Teamleiterin der Mobilen Jugendarbeit der Caritas in Degerloch, war der Rundgang interessant. Die tägliche Arbeit der Sozialarbeiter habe sonst einen anderen Schwerpunkt, erklärte sie: „Wir kümmern uns um die Probleme, aber nicht darum, wie sie entstanden sind.“ Bei dem Rundgang habe sie deshalb eine ganz neue Sichtweise auf den Stadtbezirk bekommen. Auf das, was Degerloch über die Jahre geprägt habe.

Mit der Stadtbahn fuhr die Gruppe hernach zum Fasanenhof. Die Großsiedlung wurde von 1960 an gebaut, 1961 zogen die ersten Bewohner ein. Die Bevölkerungszahl, berichtete Weinschenk, sei über die Jahre kontinuierlich zurückgegangen: Einst sei der Fasanenhof für 10.000 Leute geplant worden. 1965 hätten annähernd so viele dort gelebt, Ende 2011 seien es hingegen nur noch 6445 Personen gewesen.

Fasanenhof: ein sozialer Brennpunkt?

„Die Jugendlichen sind nicht auffälliger als anderswo“

Annemarie Deisenberger leitet seit einem Jahr die Caritasstelle der Mobilen Jugend- und Schulsozialarbeit auf dem Fasanenhof. Sie hat erfahren, dass der Möhringer Stadtteil als sozialer Brennpunkt wahrgenommen wird. „Die Menschen hier sehen das nicht so“, sagte Deisenberger. „Die Jugendlichen sind nicht auffälliger als anderswo.“

Am 17. Oktober werden viele der Sozialarbeiter wieder vor Ort sein. Dann findet eine Caritas-Tagung zur aktuellen Entwicklung auf dem Fasanenhof und in Degerloch statt. Jutta Jung schätzt, dass es dann zu Veränderungen kommen wird. „Mobile Jugendarbeit ist immer dort, wo die Jugendlichen sind.“