Als Bundestagsabgeordneter nutzt Tobias Bacherle (Grüne) Medien für seine Anliegen und zugleich benötigt er sie als Informationsquelle.
Keine Frage: „Die Öffentlichkeit ist aufmerksamkeitsgetrieben“, sagt Tobias Bacherle. Der Bundestagsabgeordnete der Grünen für den Wahlkreis Böblingen hat ein griffiges Beispiel parat: Das Bundesverfassungsgericht kippte im vorigen Herbst den Nachtragshaushalt der Koalition – und plötzlich klaffte ein Milliardenloch im Etat der Bundesregierung. Um 10 Uhr habe das Gericht das Urteil verkündet, für 12 Uhr habe die Regierung eine Pressekonferenz einberufen. „Wo bleibt da die Zeit zum Ausarbeiten einer Lösung“, fragt der gebürtige Sindelfinger. Man könne nicht für jede Eventualität eine Antwort haben.
„Die Newszyklen sind extrem schnell geworden“, sagt Bacherle. Das gehe wiederum auf Kosten der Genauigkeit und „wird nicht jeder komplexen Situation gerecht“. In den vergangenen zehn, 15 Jahren habe das Tempo zugenommen, auch seien viele Kanäle wie Instagram, Snapchat und Tiktok hinzugekommen, über die Politiker ihre Botschaften versenden können.
Nur die knackigsten Zitate werden mit Aufmerksamkeit belohnt
Ein Dilemma. Das weiß auch der Politikwissenschaftler, der im Nebenfach Medienwissenschaften in Tübingen studiert hat. Nur das markanteste und knackigste Zitat werde mit Aufmerksamkeit belohnt, sagt der 29-Jährige, der mit 20 Jahren für die Grünen in den Sindelfinger Gemeinderat einzog und seit 2021 im Bundestag sitzt. Er muss sich also entscheiden, wenn er Nachrichten über Kanäle wie X, vormals Twitter, oder Facebook verschickt: Will er Klicks für möglichst markige Sätze, oder will er lieber informieren und politische Zusammenhänge erklären.
„Alle Politiker suchen Reichweite“, so Bacherle. Und die Frage ist, wen will er mit Kurzvideos auf Facebook oder Instagram erreichen? Will er andere Menschen mit den Reels von seinen Anliegen überzeugen? Oder sucht er die Selbstvergewisserung bei seinen eigenen Leuten? Das birgt ein Problem für die Debattenkultur in einer Demokratie. Bewege man sich nur in der eigenen Blase und stoße erst, wenn die eigene Meinung schon gefestigt sei, auf andere Ansichten, sei das schlecht für die politische Diskussion, so Bacherle, und die Neigung, seine Position aufzugeben, eher gering. Dabei brauche es den Mut zur Diskussion und zum Verhandeln. „Das macht Demokratie aus.“
Konsument und Medienschaffender zugleich
Politiker sind nicht nur so etwas wie Medienschaffende, um ihre Anliegen zu streuen, sondern auch rege Medienkonsumenten. Um sich etwa regelmäßig die „Tagesschau“ anzusehen, fehle ihm schlicht und ergreifend die Zeit, gibt Bacherle zu. Für seine parlamentarische Arbeit als Obmann im Ausschuss Digitales und als Mitglied im Auswärtigen Ausschuss informiert er sich vor allem über verschiedene (Fach-)Newsletter. Daneben sei er viel auf X unterwegs, weil Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen dort über ihre Arbeit berichten, lese Pressespiegel und Online-Ausgaben verschiedener überregionaler Tageszeitungen.
Tiktok und Instagram etwa nutze er, um aktuelle Trends zu erkennen und „ein Gefühl für verschiedene Bubbles zu bekommen“. Und um „die Narrative der politischen Gegner zu verstehen“. Da denkt er an die Sache mit den Radwegen und Bussen in Peru, für die die Bundesregierung 315 Millionen Euro ausgegeben haben soll. Die Summe soll als erster ein AfD-Abgeordneter in einer Sitzung des Haushaltsausschusses Ende vergangenen Jahres haben. Sie machte die Runde – am Ende ging das Ressort Faktenfinder der „Tagesschau“ der Sache auf den Grund und klärte die Öffentlichkeit auf.
Der dreistellige Millionenbetrag für Radwege in dem südamerikanischen Land macht noch immer die Runde. Die Korrektur hat offensichtlich deutlich weniger Mediennutzer erreicht als die Meldung. So etwas setze Qualitätsmedien unter Druck. Debatten könnten erst recht manipuliert werden, wenn bei einem x-beliebigen Tweet der Absender nicht mehr nachzuverfolgen sei, so Bacherle. „Das bereitet mir große Sorgen.“
Da heißt es wachsam sein. Auf die Frage, ob er schon mal Fake News, also bewusst verbreiteten Falschnachrichten, aufgesessen sei, verneint der Parlamentarier. Bei Webseiten, die ihm „komisch vorkommen“, überprüfe er beispielsweise die sogenannte URL, also die Adresse einer Datei auf einem Server. „Ich checke sogar Webseiten, die echt sind“, gibt Tobias Bacherle zu und lacht. Sicher ist sicher.
Mittel gegen Desinformationen
Fake News
Mit dem Begriff sind – wörtlich übersetzt – gefälschte Nachrichten gemeint. Er kann sich auf Texte, Videos und Bilder beziehen, die vor allem über soziale Medien und übers Internet verbreitet werden. Die Texte enthalten unbewiesene Behauptungen, die sich nicht überprüfen lassen, weil Quellenangaben fehlen, und sind reißerisch aufgemacht.
Konkreter Fall
Es liegt erst ein paar Wochen zurück, dass ein 17-Jähriger im englischen Southport drei Mädchen, die an einem Taylor-Swift-Tanzkurs teilnehmen, ersticht und weitere Kinder und Erwachsene schwer verletzt. Über Social Media wird verbreitet, dass der mutmaßliche Täter ein Asylbewerber sein soll. Tagelang kommt es daraufhin zu rechtsextremen Ausschreitungen in Großbritannien und Nordirland, bei denen auch antimuslimische Parolen skandiert werden. Tatsächlich ist der verdächtige Jugendliche aber in Großbritannien geboren, seine Eltern sollen aus Ruanda stammen.
Informationsquellen Das Institut für Demoskopie Allensbach hat im Jahr 2023 fast 23 500 Bürgerinnen und Bürger ab 14 Jahre nach ihren meistgenutzten Informationsquellen gefragt. Ganz oben stehen mit 79,4 Prozent Verwandte, Freunde und Bekannte. Am zweithäufigsten wurde die Suche im Internet (77,6 Prozent) genannt. An dritter Stelle rangiert die Zeitungslektüre (50,9), auf Platz vier kommen Fernsehberichte (48).
Prüfen Nachrichtenagenturen, Fernsehsender und Rechercheportale beantworten Falsch- und Desinformationen mit Faktenchecks. Hier eine Auswahl des Angebots: correctiv.org/faktencheck/ und tagesschau.de/faktenfinder. Die Nachrichtenagentur dpa unterhält eine 30-köpfige Redaktion, die sich die Arbeit macht, Texte und Bilder auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu untersuchen (dpa.com/de/faktencheck). Wer daran Zweifel hat oder die Echtheit eins Bildes anzweifelt, kann sich per WhatsApp an die Redaktion wenden. Bei Google gibt es speziell für Bilder die Rückwärtssuche.
bik