Die Geste ist die gleiche, die Bedeutung aber komplett unterschiedlich. Können Kinder zwischen dem Wolfsgruß und dem sogenannten Leise- oder Schweigefuchs unterscheiden? Oder sollte die Geste als Ruhezeichen nicht mehr verwendet werden?
Für Generationen von Kindern ist es schlicht ein Zeichen gewesen, mit dem Erwachsene in der Kita oder der Grundschule Ruhe eingefordert haben. Wenn Daumen, Ring- und Mittelfinger zusammengeführt sowie Zeigefinger und kleiner Finger nach oben gestreckt werden, bildet die Hand den sogenannten Leise- oder Schweigefuchs. Doch diese Geste ist auch der Wolfsgruß, ein Erkennungszeichen der „Grauen Wölfe“, einer rechtsnationalistischen Gruppierung aus der Türkei. Dass der türkische Innenverteidiger Merih Demiral bei seinem zweiten Tor im Achtelfinale gegen Österreich diesen zeigte, hat eine Kontroverse ausgelöst.
Auch in Kindergärten und Schulen wird das Thema nun erneut diskutiert. Ein Grundschullehrer berichtet, er sei von der Schulleitung gerügt worden, nachdem er den Leisefuchs gezeigt habe. Die Geste habe er spontan und vielleicht etwas unbedacht gemacht, weil es früher so Usus gewesen sei.
Kultusministerium sieht kein Problem
Das Kultusministerium beschäftigt sich derzeit nicht mit der Frage, ob der Leisefuchs noch zeitgemäß ist. „Diese Diskussion spielt im Augenblick keine Rolle an den Schulen“, heißt es in einer Stellungnahme. Gesten und ihre Bedeutung würden sich immer aus dem jeweiligen Kontext erschließen. Und so, wie ein Sportler, der eine bestimmte Höhe übersprungen habe und anschließend freudig die gestreckten Zeige- und Mittelfinger in V-Form in Richtung Publikum recke, eindeutig das Victory-Zeichen zeige, und sicher nicht seine Zuschauer zum Cannabis-Konsum auffordern wolle, so eindeutig sei es auch, wenn im Klassenzimmer der Leisefuchs gezeigt werde. „Insofern sehen wir hier kein Problem“, schreibt das Ministerium.
In den Stuttgarter Schulen ist man da zumindest teilweise anderer Meinung. Viertklässler mit türkischen Wurzeln würden sehr wohl wissen, dass die Geste auch von den „Grauen Wölfe“ verwendet werde. Vor diesem Hintergrund sei es schwierig, das Zeichen weiterhin zu benutzen, heißt es in einer Stellungnahme am Telefon.
Ein indiskutables Zeichen
Damaris Scholler, die Rektorin der Elise-von-König-Gemeinschaftsschule in Stuttgart-Münster, sagt: „Wir wissen schon lange, dass der Schweigefuchs ein indiskutables Zeichen ist.“ Dieser werde an ihrer Schule, die auch eine Primarstufe hat, nicht praktiziert. Stattdessen würde zum Beispiel die Brezel verwendet, bei der die Arme verschränkt auf den Tisch gelegt werden, oder die Lehrkräfte halten als Ruhezeichen einfach die Hand nach oben. Auch bei den Jugendlichen an ihrer Schule sei der Wolfsgruß kein Thema, sagt Damaris Scholler und ergänzt: Sie habe nicht beobachtet, dass dieser auf dem Schulhof gezeigt worden wäre.
„Wir haben das Thema bereits vor einigen Jahren kontrovers diskutiert“, sagt Annemarie Raab, die Rektorin der Falkertschule in S-West. Damals sei man übereingekommen, dass der Leisefuchs missverstanden werden könnte. Stattdessen gebe es Klatschsignale, und die erhobene Hand als Ruhezeichen. „Das ist ohnehin viel sichtbarer und hörbarer und damit wesentlich deutlicher und passt besser zu unserem pädagogischen Konzept“, sagt die Rektorin. Prinzipiell sei sie aber der Meinung, dass Gesten immer in einem Kontext zu verstehen seien, und dass Kinder lernen müssen, zu differenzieren.
Evangelische Kirche sucht für ihre Kitas nach einer „wertfreien“ Alternative
Bei der Evangelischen Kirche in Stuttgart, die Träger etlicher Kitas ist, treibt der Leisefuchs aktuell die Fachberatungsebene um. Wenn ein Teil der Kinder wisse, dass das Zeichen auch noch eine andere Bedeutung habe, komme es zu einer Verschränkung. „Eine solche darf es nicht geben, denn ab dem Moment verlieren wir die Kontrolle“, sagt Jörg Schulze-Gronemeyer, der Leiter der Abteilung Jugend und Soziales. Darum sei man auf der Suche nach einer wertfreien Alternative.