Vor wenigen Tagen haben Atomkraftgegner vor dem AKW in Neckarwestheim demonstriert. Foto: Julian Rettig

Bei der jüngsten Revision sind 17 neue Risse gefunden worden – die Sicherheit der Anlage sei aber gewährleistet, betont das Umweltministerium. Atomkraftgegner halten dagegen ein Abschalten des Reaktors für notwendig. Selbst eine Kernschmelze sei nicht auszuschließen.

Stuttgart/Neckarwestheim - Das letzte Atomkraftwerk Baden-Württembergs, das GKN II in Neckarwestheim, ist nach der jüngsten Revision vom Umweltministerium als sicher bezeichnet worden. Seit 2018 schwelt dort ein Streit um damals 300 entdeckte Risse in den Rohren der vier Dampferzeuger. Die Prüfergebnisse zeigten aber nun, heißt es in einer Mitteilung des Ministeriums, dass „die ergriffenen Maßnahmen, um Risse zu verhindern beziehungsweise frühzeitig zu erkennen, wirken.“ Zu undichten Stellen an Heizrohren sei es in der gesamten Betriebszeit der Anlage noch nie gekommen. Die Sicherheit sei deshalb gewährleistet.

Allerdings sind in der jetzigen Überprüfung 17 neue Risse festgestellt worden; bei der Revision im Vorjahr waren es sieben gewesen. Dennoch lasse sich aus den Ergebnissen ablesen, dass sich der Trend „hin zu deutlich kürzeren und weniger tiefen Wanddickenschwächungen“ fortsetze, schreibt das Ministerium. Die EnBW als Betreiberin des Kernkraftwerks habe die betroffenen Heizrohre verschlossen und damit außer Betrieb gesetzt.

Ein schwerer Störfall sei möglich, sagen Atomkraftgegner

Die Rohre dienen der Kühlung des Reaktors. Die vier Dampferzeuger mit zusammen 16 400 Rohren bilden einen Sekundärkreislauf, der dem radioaktiven heißen Wasser aus dem Primärkreislauf die Hitze entzieht. Die Rohrwände müssen dabei extrem hohen Druck aushalten, zugleich aber müssen sie sehr dünn sein, damit die Hitze gut aufgenommen werden kann. Entstanden sind die Risse, weil nach einem Leck in einem Kondensator Wasser in die Rohre der Dampferzeuger gekommen ist, das eine andere chemische Zusammensetzung besaß und die Rohre angegriffen hat.

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Der Verein Ausgestrahlt sowie der Bund der Bürgerinitiativen Mittlerer Neckar (BBMN) schätzen die Situation dagegen völlig anders ein. „Im AKW Neckarwestheim 2 besteht weiterhin die akute Gefahr, dass Rohre des Reaktorkreislaufs bersten, was ein schwerer Störfall ist“, betonte BBMN-Sprecher Franz Wagner. Selbst eine Kernschmelze sei nicht auszuschließen.

Aktivisten fordern sofortiges Runterfahren des AKW

Die erneuten Rissfunde würden belegen, so Armin Simon von Ausgestrahlt, dass die korrosiven Bedingungen in den Rohren weiter existierten – das sei das Entscheidende. Die Atomkraftgegner behaupten, dass auch Gutachter des Umweltministeriums inzwischen eingeräumt hätten, dass die Geschwindigkeit und die Form, in der die Risse in Neckarwestheim wachsen, nicht vorhersehbar seien. Deshalb liege auch kein Nachweis vor, der den Bruch von Reaktor-Rohren sicher ausschließe.

Daneben werfen die Aktivisten der EnBW als Betreiberin und dem Umweltministerium vor, die Ergebnisse verfälscht zu haben, weil die früher gemessenen Risse „über den gesamten Rohrumfang gemittelt und somit unzulässig flachgerechnet“ worden seien. Grundsätzlich sei die Gefahr für die Bevölkerung deshalb erst beseitigt, wenn es keine korrosiven Bedingungen mehr in den Dampferzeugern gebe. Dies könne etwa über einen Austausch der Anlagen geschehen: „Bis dahin muss der Reaktor ohne Wenn und Aber vom Netz bleiben“, sagte Franz Wagner.

Die Anlage in Neckarwestheim geht Ende 2022 vom Netz

Im Juni hatten die Initiativen deshalb einen Eilantrag beim Verwaltungsgerichtshof Mannheim gestellt, den Betrieb des Reaktors bis auf Weiteres zu untersagen. Erst wenige Tage vor der Bekanntgabe der Revisionsergebnisse 2021 hatten die Atomkraftgegner auch wieder vor dem Kraftwerk demonstriert. Der BUND Baden-Württemberg unterstützt die Forderungen der Vereine.

Derzeit sind in Deutschland noch sechs Kernkraftwerke in Betrieb. Drei davon werden Ende dieses Jahres abgeschaltet, die restlichen drei dann Ende nächsten Jahres. Auch das Kernkraftwerk Neckarwestheim II geht Ende 2022 vom Netz. Der Atommüll aber wird noch lange bleiben – ein Endlager wird derzeit gesucht.