Auf Facebook und in anderen sozialen Netzwerken ändern derzeit Hunderttausende ihre Profilbilder. Sie ergänzen sie durch den Hashtag #wirsindmehr, der sich gegen Fremdenfeindlichkeit richtet. Was das bringt? Nichts.

Stuttgart - Morgens fährt der Rechner am Arbeitsplatz hoch, auf dem Schreibtisch steht eine Tasse Kaffee, es bleibt noch ein Moment, bevor einen der Alltag endgültig einholt. Und mehr als einen Augenblick Zeit benötigt auch niemand, um im sozialen Netzwerk Facebook allen zu zeigen, wie korrekt seine Haltung ist: Mit zwei Mausklicks verwandelt sich das persönliche Profilbild, auf dem nun der Hashtag „wirsindmehr“ auftaucht. Mit „wirsindmehr“ kann sich in diesen Tagen jeder gegen fremdenfeindliche und rassistische Vorfälle positionieren – die auch, aber nicht nur, in Chemnitz stattfinden.

Die Frage ist nur, ob sie oder er mit diesem aktualisierten Profilbild tatsächlich Position bezieht? In Wahrheit ist das Posting „wirsindmehr“ in den meisten Fällen nicht viel mehr als eine Entlastung der eigenen Psyche, ein Akt der Verdrängung: Seht her, ich stehe auf der richtigen Seite – nur leider habe ich gerade wirklich keine Zeit, um auf die Straße zu gehen oder in einem Jugendklub zu diskutieren oder irgendetwas anderes Handfestes zu unternehmen, das Mühe bereitet und bei dem ich möglicherweise auf Widerstand stoße.

Vermeintlich politische Kampagnen wie #wirsindmehr sind in Wahrheit nur dort wirklich politisch, wo sie konkret werden, auf der Straße oder in der Wahlkabine oder in einer anderen Aktion. Im Netz allerdings wirkt die Flut an neuen Profilbildern eher wie eine Vermarktung der eigenen Person – man beklebt sein Profilbild – und damit jenes aufgehübschte Bild, das man seinen Facebook-Freunden von sich selbst vermitteln will, mit einem modischen Label.

Die Wirkung dieser Aktion ist gleich Null. Facebook und andere soziale Netzwerke funktionieren bekanntermaßen weitgehend wie abgeschottete Echokammern, in denen man selbst mit Menschen kommuniziert, die in vielen Punkten ähnlich gestrickt sind. So funktioniert #wirsindmehr also keinesfalls als tausendfacher Fingerzeig an jene, die er vorgibt, erreichen zu wollen. An jene, die sich auf welche Weise auch immer radikalisiert haben. Man bleibt mit seiner Haltung stattdessen unter sich, sammelt „Gefällt-mir-Daumen“ und respektvolle Kommentare ein.

Der Hashtag #wirsindmehr ist nicht mehr als eine digitale Beruhigungstablette, die man sich selbst verabreicht und deren Wirkung trügerisch ist. Man hat ja vermeintlich schon gehandelt, also ist es damit getan, man selbst ist raus aus der Nummer, man hat ja schon Position bezogen.

Hat man nicht.