Wegen drohender Knappheiten fordern Umweltverbände eine reduzierte Tierhaltung in Deutschland. Denn: Aktuell wird ein großer Teil des hier angebauten Getreides an Tiere verfüttert. Auch der Bundesagrarminister sieht ein Ungleichgewicht.
Angesichts des Kriegs in der Ukraine wächst die Sorge vor Lebensmittelknappheiten und weiter steigenden Preisen. Umweltschutzverbände fordern deshalb, Tierbestände in Deutschland zu reduzieren, um Flächen für den Anbau von pflanzlichen Lebensmitteln freizumachen: „Etwa 60 Prozent der Getreideproduktion in Deutschland gehen in die Herstellung von Futtermitteln für die Tierhaltung“, sagte Lavinia Roveran vom Deutschen Naturschutzring, dem Dachverband deutscher Natur- und Tierschutzorganisationen. „Nur 20 Prozent des produzierten Getreides werden tatsächlich unmittelbar für die Lebensmittelproduktion verwendet.“ Daran müsse sich etwas ändern – nicht nur wegen steigender Getreidepreise, sondern auch aus Erwägungen des Klima- und Umweltschutzes. Christian Rehmer vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) forderte: „Wir müssen darüber reden, wie viele Tiere wir hier halten.“
Bestimmte Speisepläne will Cem Özdemir nicht vorschreiben
Mögliche Maßnahmen wären aus Sicht der Verbände die Einführung einer flächengebundenen Tierhaltung oder temporäre Prämien für die Reduktion von Tierbeständen. Zudem wären steuerliche Anreize für Änderungen beim Konsum nötig – etwa ein vorübergehendes Aussetzen der Mehrwertsteuer auf Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte oder eine Erhöhung der reduzierten Mehrwertsteuer für tierische Produkte. Insgesamt ist in Deutschland der Konsum von Fleisch und Fleischprodukten in den vergangenen Jahren schon zurückgegangen.
Ein Ungleichgewicht beim Einsatz von in Deutschland angebautem Getreide sieht auch der Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, Cem Özdemir: „Wer darüber diskutiert, wie wir den Hunger in der Welt abmildern, muss auch zur Kenntnis nehmen, dass wir in Deutschland 60 Prozent des Getreides an Tiere verfüttern.“ Putin nutze die Verknappung des Getreides und der Düngemittel als Waffe, sagte Özdemir unserer Zeitung: „Putin will, dass bei uns die Preise steigen und sich der Hunger in den ärmsten Ländern der Welt weiter verschlimmert.“ Mit Blick auf die Debatte ums Essen riet er dennoch zu Sachlichkeit. „Ich schreibe bestimmt keine Speisepläne vor.“ Zugleich sagte er mit Blick auf die vorrangige Nutzung des hiesigen Getreides: „Bei der Frage, Trog, Tank oder Teller, sage ich: Teller zuerst.“
Nicht alle Ackerflächen eignen sich für den Anbau von Brotgetreide
Beim Deutschen Bauernverband hält man Ideen zur Reduktion von Futtermittelanbau und Tierhaltung für „plakative Vorschläge“, die keine echten Lösungen brächten. „Ein Teil unserer Ackerflächen eignet sich nicht für den Anbau von Brotgetreide“, sagte Bauernpräsident Joachim Rukwied. Die Getreideversorgung sei hierzulande bis ins nächste Frühjahr gesichert. „Für 2023 ist entscheidend, dass wir ausreichend bezahlbaren Stickstoffdünger einkaufen können.“
Rückgang beim Konsum tierischer Produkte
Fleisch
Der Konsum von Fleisch und Fleischprodukten ist in den vergangenen Jahren bereits zurückgegangen. Im Vergleich zu 2020 sank der Pro-Kopf-Verbrauch von Fleisch nach Angaben der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung zuletzt um 2,1 auf insgesamt 55 Kilogramm im Jahr 2021. Vegetarische und vegane Gerichte lägen vor allem bei jüngeren Menschen im Trend, sagte Bauernpräsident Joachim Ruckwied dazu.