Diskutieren Sie mit - Der Streit im Nahverkehrsbetrieb der Landeshauptstadt hat einen neuen Höhepunkt erreicht. Der dreiköpfige SSB-Vorstand hat allen Fahrern die Dienstkleidung gestrichen.
Stuttgart - Die Stuttgarter Straßenbahnen AG gilt als beliebter, weil angeblich vorbildlicher Arbeitgeber mit großem Zusammenhalt der Belegschaft. In diesem Jahr hat das strahlende Image Kratzer bekommen. Der Betriebsrat und die Arbeitgeberseite haben sich in 70 Verfahren vor dem Arbeitsgericht zum Thema Dienstpläne beharkt. Dabei ging die Hälfte der Verfahren vom Unternehmen aus, weil es den Honoraranspruch des Arbeitnehmer-Anwalts bestreitet.
Obwohl zum Thema Dienstpläne und den für diese anzusetzenden Parameter eine Einigungsstelle installiert wurde, hat der Streit einem neuen Höhepunkt erreicht. Die Einigungsstelle hat am Mittwoch die Jahres-Dienstpläne für 2016 genehmigt. Allerdings saß dabei gar kein Arbeitnehmer-Vertreter mit am Tisch. Der Termin sei zu kurzfristig angesetzt worden, der Betriebsrat habe die Pläne nicht mehr prüfen können, sagt ein Mitglied der Mitarbeitervertretung. Die Dienstpläne beschreiben nicht nur den Personaleinsatz für den am 17. Mai 2016 in Kraft tretenden Regelfahrplan, sondern auch für rund 600 Sonderfahrpläne, die für Messen und andere Veranstaltungen oder einen Baustellenbetrieb gelten. Die Aktenordner füllen mehr als einen Schreibtisch.
Jahresfahrplan auf „wackeligen Beinen“
„Wir werden den Spruch der Einigungsstelle anfechten, denn er regelt Dinge, die ohne die Zustimmung des Betriebsrats nicht geregelt werden dürfen“, sagt dessen Vorsitzender Klaus Felsmann auf Anfrage. Felsmann sieht den Jahresfahrplan „auf sehr wackeligen Beinen“. Das Bahnprojekt Stuttgart 21 bringt für die SSB den Neubau ihrer Haltestelle Staatsgalerie und damit die knifflige Unterbrechung und Neukonzeption von Stadtbahnlinien.
Die Atmosphäre im Betrieb sieht Felsmann inzwischen als „nachhaltig gestört“ an. Mit dem Vorstand und den Bereichsleitern sei daher am Mittwoch beim Weihnachts-Kaffee eine Mediation vereinbart worden. Sie soll im Januar beginnen. Bisher, so Betriebsräte, habe der Vorstand den Dienstplan-Zwist, bei dem es um ausreichende Pausen und die Dauer von Fahrzeigen geht, „laufen lassen“.
Bundesarbeitsgericht hat entschieden
Vor wenigen Tagen kippten die Vorstände Wolfgang Arnold (Technik), Sabine Groner-Weber (Personal) und Stefanie Haaks (Finanzen) Öl ins Feuer. Sie kündigten eine Betriebsvereinbarung zur Dienstkleidung im Fahrdienst, die seit 2011 besteht. „Aufgrund der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts“ sehe man derzeit keine Möglichkeit „auch künftig Dienstkleidung als solche oder in der bisherigen Form zur Verfügung stellen zu können“, schrieben die Chefs an den Großteil der 3000 Beschäftigten.
Was sich anhört wie eine Posse hat einen ernsten Hintergrund. Die Vorstandsmitteilung 20/2015 enthalte „viel Potenzial zur Richtigstellung“, schrieb der Betriebsrat am 7. Dezember an die Belegschaft. Die Dienstkleidung sei nie Thema bei Gericht gewesen, sondern die seit 1996 unbezahlten Wegezeiten. Weil das Urteil erst in etwa sechs Wochen schriftlich vorliege, verbiete sich ein Schnellschuss. Der Betriebsrat sieht sich auf der Gewinnerseite und fordert eine Entlastung für die Mitarbeiter. Das würde in dem defizitären und auf eisernes Sparen ausgerichteten Betrieb zusätzliche Stellen nötig machen.