Der Leutenbacher Geschichtslehrer Dominic Allerborn unter dem Schild, das an den Heimatdichter August Lämmle erinnert Foto: Gottfried Stoppel

Kurz vor dem 90. Jahrestag der Machtergreifung der Nazis am 30. Januar plädiert die SPD in Leutenbach für eine Änderung des Namens. Ähnliche Diskussionen gab es schon in etlichen Kommunen des Rems-Murr-Kreises – etwa in Fellbach, Kernen und Weinstadt.

Andernorts gab es die Diskussionen schon, mit unterschiedlichen Resultaten: Mal wurde das Problem zügig geklärt, mal wollte man es aussitzen oder gar nicht als solches erkennen. Teils wurde die August-Lämmle-Straße umbenannt, teils insbesondere der Anwohnerprotest so groß, dass das entsprechende Schild bis heute den ortsunkundigen Autofahrern oder auch Fußgängern Orientierung gibt.

Auslöser: 90. Jahrestag der Machtergreifung der Nazis

Demnächst steht wohl auch Leutenbach vor dieser wegweisenden Entscheidung. Forciert wird diese Debatte durch die Sozialdemokraten in der Gemeinde mit ihren knapp 12 000 Einwohnern. Bei Minusgraden hat sich Dominic Allerborn an der Kreuzung der August-Lämmle-Straße mit der Theodor-Heuss-Straße postiert, um seinen Standpunkt zu erläutern. Während es an dem einen Namen auf dem Schild, das an den einstigen liberalen Politiker und ersten Bundespräsidenten erinnert (die älteren Zeitgenossen dürften auch seinen Necknamen „Papa Heuss“ denken) kaum etwas zu kritteln gibt, sieht es bei Lämmle doch deutlich anders aus.

Allerborn ist Studienrat, zu seinen Fächern während des Lehramtsstudiums in Konstanz gehörte neben Deutsch und Politikwissenschaft auch Geschichte. Deshalb hat er auch eine Sensibilität für Namen im öffentlichen Straßenbild, die dort eigentlich nicht unbedingt hingehören. Intensiver damit beschäftigt hat sich der zum örtlichen SPD-Vorstand gehörende Historiker gemeinsam mit dem Vorsitzenden Pierre Orthen anlässlich des 90. Jahrestags der Machtergreifung der Nationalsozialisten am 30. Januar 2023.

Der Lehrer an der Alexander-Fleming-Schule in Stuttgart regt einen kritischeren Umgang mit Personen an, die in Verbindung mit dem NS-Regime standen oder gar mit ihm sympathisiert haben. Konkret geht es dem 34-Jährigen um die direkt an der Gemeinschaftsschule Leutenbach gelegenen Straße, die nach dem Ludwigsburger Heimatdichter August Lämmle benannt ist. Allerborn beruft sich auf eine Forschungsarbeit des Historikers Peter Poguntke, die dieser im Jahr 2020 im Auftrag der Stadt Leonberg erstellt hat. Demnach war Lämmle nicht nur, wie bis dahin angenommen, Mitläufer während der NS-Zeit, sondern Verehrer und aktiver Unterstützer der Nazis. Lämmles Texte zeugten „von einer geradezu peinlichen Verklärung der NS-Ideologie und Verherrlichung Hitlers“, urteilt Poguntke.

So habe Lämmle in einem Vorwort geschrieben: „Und da Gott den Mutigen hilft, gab er uns den Führer, den gläubigsten und mutigsten Mann in der Geschichte der Deutschen!“. Als Reaktion auf dieses Gutachten, weiß Allerborn, wurden beispielsweise in Leonberg und einigen anderen Städten in der Region Stuttgart Straßen oder Schulen umbenannt oder das zumindest diskutiert.

Es müsse, sagt Allerborn, „konstatiert werden, dass vielerorts und auch in Leutenbach noch nicht hinreichend kritisch auf das Wirken einzelner Akteure zur NS-Zeit eingegangen wird“. Ihm persönlich, so der Geschichtslehrer, gehe es „nicht darum, August Lämmle zur Persona non grata zu erklären, sondern um die Frage, ob die Zivilgesellschaft Verehrer und Kollaborateure der Nationalsozialisten wirklich dadurch ehren möchte, dass Straßen, Plätze oder Schulen nach ihnen benannt werden“. Sofern die Umbenennung der Straße nicht möglich sei, solle zumindest ein Hinweis in Form einer Infotafel zu den NS-Verbindungen des Heimatdichters angebracht werden. Bei Bürgermeister Jürgen Kiesl sei man bereits vorstellig geworden, der habe auf den Gemeinderat als Entscheidungsgremium verwiesen, weshalb die SPD-Fraktion den Fall Lämmle nun ins Lokalparlament bringen will.

Ein Komponistenname könnte passen

Ob der Bauhof in Leutenbach tatsächlich irgendwann das Straßenschild abschraubt und austauscht – in dem betreffenden Viertel wird mit Haydn-, Mozart- oder Richard-Wagner-Straße an Komponisten erinnert, und es gäbe womöglich noch nicht berücksichtigte Koryphäen – steht mit Blick auf ähnliche Debatten in anderen Kommunen aber längst nicht fest. In Fellbach etwa stand 2015 gleich ein Namenstrio mit zwielichtiger Vergangenheit zur Entscheidung an: Neben Lämmle sollten auch Hindenburg und Ernst Heinkel von den Straßenschildern verschwinden. Die Mehrheit im Gemeinderat votierte indes dagegen, stattdessen begnügte man sich mit ergänzenden Erläuterungen. So steht unter dem Lämmle-Schild beispielsweise: „Ließ sich zeitweise von der Nazi-Ideologie mitreißen.“

In Kernen-Stetten gibt es weiterhin in Erinnerung an den einstigen Reichspräsidenten eine Hindenburgstraße. „Nach einem solchen Kriegsverbrecher sollte eigentlich keine Straße benannt sein“, forderte Heimatforscher Eberhard Kögel die Umbenennung in die frühere Bezeichnung Obergaß, aber letztlich vergeblich. In Waiblingen wiederum entschied der Gemeinderat im Jahr 2020, Karl Ostertag, Mitglied der NSDAP, die Ehrenbürgerwürde abzuerkennen und sein Ehrengrab auf dem Friedhof abzuräumen.