Das Rathaus Hechingen um 1958. Foto: Deutsches Architekturmuseum Frankfurt

In Hechingen wird über die zukünftige Gestalt des Stadtzentrums diskutiert und dabei der Wert des Bedeutsamen übersehen.

Das Rathaus der Stadt Hechingen soll nach dem Willen der Bürgermeisterin Dorothea Bachmann durch Umbau und Erweiterung in eine Einkaufsmeile verwandelt werden. An diesem Mittwoch soll im Hechinger Gemeinderat über das Vorhaben  beraten werden.

Das Rathaus Hechingen ist ein Solitär in mehrfacher Hinsicht. Erbaut wurde es 1958 nach einer Planung von Paul Schmitthenner, dem führenden Kopf der konservativen „Stuttgarter Schule“. Dieser Bau markiert den Ausklang, die Verabschiedung dieser Schule. Das Rathaus Hechingen ist eines von Schmitthenners letzten und eines seiner besten Projekte.

Zu finden ist es im Zentrum der Altstadt, am historischen Standort der früheren Rathäuser – frei stehend, allseits orientiert, baulich und räumlich verklammert es die Unterstadt mit der Oberstadt. Zugleich ist der Bau zurückhaltend, bescheiden, angemessen, von unübertroffener Kargheit, mit hervorragenden Proportionen im Inneren und Äußeren. Mit dieser zeitunabhängigen Grundhaltung wird das Thema Rathaus unverwechselbar zum Ausdruck gebracht.

Wir Menschen sind deutende Wesen. Uns bedeutet Welt nur dadurch etwas, dass sie gedeutet werden kann. Um solch einen Sinn geht es auch in der Frage des Rathauses Hechingen. Dieser Sinn würde durch die Opferung des Rathauses zugunsten der puren Bedürfnisbefriedigung, der Beschlagnahme dieses Teils der historischen, der kulturellen Stadt, durch den Kommerz, verloren gehen. Der beabsichtigte Um- und Erweiterungsbau würde das bestehende Rathaus außen und innen seiner Qualitäten berauben. Dieser Bau wäre, dann nicht mehr frei stehend und durch die Erweiterung in die Nachbarbebauung eingreifend, seiner einmaligen städtebaulichen und historischen Qualitäten beraubt.

Es gibt nicht nur eine menschliche Würde, sondern auch eine gesellschaftliche, eine politische, eine städtische Würde. Hechingen ist eine der ältesten Städte Südwestdeutschlands. Seit dem 15. Jahrhundert Mittelpunkt der Grafschaft, des Fürstentums Hohenzollern, gegründet an einem einmaligen Standort, weit ins Land grüßend. Hechingen ist eine Stadt mit Würde, festgemacht an seiner Geschichte, seiner Lage, seiner Atmosphäre. Sie war ihr nicht gegeben, sie hat sie sich erarbeitet, erkämpft. Ihre historischen Räume und Raumfolgen, ihre Kirchen – das Franziskanerkloster mit Kirche, die Stiftskirche St. Jakob, die neugotische Pfarrkirche – und das Rathaus haben wesentlichen Anteil an dieser Würde, als Wahrzeichen, als Gedächtnis, als Teil des Lesebuchs der Stadt. In diesem Zusammenklang erzählen sie Geschichte.

Die Einkaufsmeile an der Stelle des Schmitthenner-Rathauses würde nur eine Funktion erfüllen – außer seinen Verkaufsflächen keine „Bedeutung“ besitzen. Es wäre Persiflierung auf allen Ebenen der Idee und des Themas Rathaus. Dieser „ungewöhnliche moderne Weg in die Zukunft unserer Stadt“, als den ihn die Bürgermeisterin Dorothea Bachmann sieht, wäre in Wahrheit ein unendlicher Fortschritt in den Verlust – in den Verlust von Sein, von Zukunft.

Dieser Fortschritt würde die Stadt Hechingen beleidigen, ihrer Geschichte, ihres Gedächtnis, ihrer Einmaligkeit, ihrer Würde berauben. Wohl kann offenbar die Situation nicht so belassen werden. Doch mit dieser eindimensionalen „Idee“ kann die durch Vernachlässigung in den vergangenen Jahrzehnten entstandene problematische Situation an dieser Stelle der Stadt nicht gelöst werden.

Die Stadt sollte mit Sensibilität sowie Erinnerungs- und Zukunftsbewusstsein eine Alternative suchen. Eine Alternative, welche die Wünsche der Bürgermeisterin wie der Bürgerinnen und Bürger berücksichtigt. Eine Alternative, die Bedeutung schafft.