Auch in diesem Jahr hat in Stuttgart wieder ein Global Marijuana March stattgefunden. Die teilnehmer demonstrieren für einen liberaleren Umgang mit der Rauschdroge. Foto: 7aktuell.de/Gerlach

Soll Stuttgart einen Modellversuch für die legale Abgabe von Cannabis beantragen? Eine Debatte im Gemeinderat über das Für und Wider , über Gefahren und Vorteile ergab kein klares Bild. Außer der Linken will vorerst aber niemand aktiv werden.

Stuttgart - Der Umgang mit Cannabis wird seit Langem diskutiert, vor allem seit einige US-Bundesstaaten ihren Bürgern einen leichten Zugriff zu dem berauschenden Kraut ermöglichen. „Etwa 100 Millionen Amerikaner haben heute einen legalen Zugang zu Cannabis“, sagt Heino Stöver. Das hält der Professor für sozialwissenschaftliche Suchtforschung in Frankfurt am Main für bedenkenswert, schon wegen des „notorischen Scheiterns der Prohibition“.

Auch hierzulande sei Cannabis „leichter zugänglich denn je“, so Stöver. „Die Verbreitung ist relativ stabil, mit leicht steigendem Trend.“ Gleichzeitig würden die Konsumenten kriminalisiert, kämen zwangsläufig mit der „staatlich geduldeten organisierten Kriminalität in Kontakt“. Dies führe zu einer „massiven Glaubwürdigkeitslücke“, so Stöver. Der Suchtforscher plädiert für einen regulierten, weniger restriktiven Umgang mit dem Rauschmittel. So hätten Städte wie Berlin, Münster und Düsseldorf Anträge auf Modellprojekte für legale Cannabis-Abgabestellen beim Bund gestellt, der Antrag aus Münster ist aber schon abgelehnt worden.

Zahl der Delikte steigt

Die 330 000 Rauschgiftdelikte 2017 in der Republik, von denen „mehr als 60 Prozent“ auf das Konto von Cannabis-Konsumenten gehen, liegen weit über den Werten früherer Jahre, 2010 waren es noch 231 000. Es handelt sich aber um sogenannte Holkriminalität: je höher die Aktivität der Polizei, desto höher die Zahlen. In Stuttgart standen im Vorjahr von 4469 Drogendelikten 3205 im Zusammenhang mit Cannabis, zwei Drittel wegen Konsums oder Erwerbs, sagte Hendrik Weiß, der Leiter des Rauschgiftdezernats der Polizei.

Benedikt Bloching, Leitender Oberarzt für Suchtmedizin in der Psychiatrie in Bad Cannstatt, erklärte, das Auftreten von Psychosen steige bei gelegentlichem Cannabis-Konsum bis zum Zweifachen, bei hohem Konsum bis zum 3,4-Fachen. Psychosen treten bei Kiffern 2,7 Jahre früher auf als bei anderen Personen, die Krankheitsverläufe seien ungünstig, so Bloching. Ähnliches gilt für Angststörungen und manisch-depressive Erkrankungen. Abhängigkeitsmuster zeigten sich im Schnitt bei neun Prozent der Konsumenten.

Psychosen treten bei Kiffern früher auf

Michael Günter, Ärztlicher Direktor der Kinder- und Jugendpsychiatrie, hält zwar nichts von Alarmismus, ist aber „besorgt über die Vorverlagerung von Psychosen“ durch Cannabis-Konsum. Die als Regulierungen bezeichneten Abgabemodelle für Erwachsene, die mit einem stärkeren Jugendschutz einhergehen sollen, betrachtet Günter skeptisch. Er sagt: „Eine Regulierung bei Jugendlichen ist eine Illusion.“ Schon beim Alkohol klappe das nicht. Der Jugendpsychiater hält es für wichtig, Kampagnen zu starten zu Cannabis und Alkohol, wie dies beim Tabak erfolgreich gewesen sei.

Die Debatte im Sozialausschuss ergab kein klares Bild. Beate Bulle-Schmid (CDU) fürchtet, ein lockerer Umgang mit Cannabis hätte bei Jugendlichen negative Folgen. Bei den Grünen sieht Petra Rühle in einem anderen Umgang den Vorzug, dass die Inhaltsstoffe durch eine „Kontrolle der Qualität“ weniger schädlich wären. Clarissa Seitz aber macht sich Sorgen „wegen des Jugendschutzes“. Hans-Peter Ehrlich (SPD) sagt, man stehe am Anfang einer Debatte. Bei SÖS/Linke-plus distanzierte sich Laura Halding-Hoppenheit von ihrer Fraktion, sie will keinen liberaleren Umgang mit Cannabis, sondern „eine bessere Prävention“. Stefan Urbat, der die Piratenpartei in der Linksfraktion vertritt, ist für einen wissenschaftlich begleiteten Modellversuch mit dem Cannabis Social Club (CSC) . Die Fraktion werde einen Antrag stellen. Auch Ulrich Binder, Geschäftsführer der Suchtberatungsstelle Release, plädiert dafür, „mal einen anderen Weg auszuprobieren“.

Sozialbürgermeister sucht Kontakt zu anderen Städten

Der Zweite Vorsitzende des CSC, Christian Brugger-Burg, sagt, der Verein, in dem 60 Personen aktiv seien, strebe ein wissenschaftlich und von Release begleitetes Modellprojekt für den „Anbau zum legalen Eigenbedarf“ von Cannabis an. Durch den Club bestehe eine soziale Kontrolle, um zu verhindern, dass jemand abstürze. Nach Schätzungen konsumierten rund zehn Prozent der Bevölkerung Cannabis. Ein Modellversuch wäre für Heinrich Fiechtner (früher AfD, jetzt Bündnis Zukunft Stuttgart 23) gar nicht nötig. Er glaubt, der Mensch habe „ein Recht auf Rausch“. Fichtner versteht nicht, warum ein Stoff, „der weniger schädlich ist als Alkohol, trotzdem verboten ist“.

Sozialbürgermeister Werner Wölfle (Grüne) lobte die offene Debatte. „Jeder hat auf seine Weise ein bisschen recht.“ Man sei von Düsseldorf angeschrieben worden, so Wölfle, und werde zu dem entstehenden Netzwerk von Städten Kontakt aufnehmen.