David Bowie im Jahr 1977 auf dem Cover des Albums „Heroes“ , das „The Next Day“ zur Leerstelle macht. Foto: promo

Er war Alien, Astronaut, Verkleidungskünstler, Geschmackspolizist. Er hat den Glamrock, Berlin und sich selbst erfunden. Auf seinem neuen Popmeisterwerk „The Next Day“ spielt David Bowie nun den Rentner, der mit Wehmut, Grandezza und Popkunst zusammenfasst, was bisher geschah.

Nie war ein Astronaut einsamer als David Bowies Major Tom, der in dem Lied „Space Oddity“ schwere- und ziellos in seiner Blechbüchse durchs All treibt, runter auf den traurig-blauen Planeten Erde blickt und weiß, dass er nichts an der Ausweglosigkeit ändern kann. Die Gitarrenakkorde, mit denen Bowie das Raumfahrerlamento verzierte, klangen schrammelig-betrübt, das Mellotron, das Rick Wakeman beisteuerte, der später bei Yes in buntere Fantasiewelten fliehen sollte, übersetzt unendliche Weite, unerträgliche Leere in träges Brummen.

Nun lebt dieser Major Tom zwar in einer Vorstadtsiedlung, in einer Stadt aus grauem Beton, sitzt stöhnend in seinem Zimmer oder trottet durch den Park. Doch geblieben ist die unerträgliche Leere des Raums. Er dreht sich nun nicht mehr um die Erde, sondern zu einem langsamen, traurigen Walzertakt um sich selbst: Nur noch der Tod könne diesem Menschen Liebe schenken, der so sterbenseinsam ist, textet David Bowie, verarbeitet Frust, Trauer und Elvis Presleys „Heartbreak Hotel“ zu einem verstörend schönen Traumtanz namens „You Feel So Lonely You Could Die“, der sich weit hinten auf dem neuen Album „The Next Day“ versteckt.

Seit er 2004 auf der Bühne des Hurrican-Festivals einen Herzanfall hatte, schien Bowie irgendwie verschollen, mischte sich zwar immer wieder stilsicher ins Popgeschäft ein, trat mit Arcade Fire auf, half 2006 bei TV On The Radio und 2008 bei Scarlett Johanssons Tom-Waits-Platte aus. Doch neues eigenes Material gab es seit zehn Jahren nicht mehr von ihm zu hören. Jetzt endlich hat er sich überraschend doch wieder zurückgemeldet. Erst tauchte am Morgen des 8. Januar, am Tag von David Bowies 66. Geburtstags, der Song „Where Are We Now?“ im Internet auf. Und nun ist das neue Album da, das „The Next Day“ heißt und zurück in die Zukunft reist.

Fremdartiges nach wie vor stilprägendes Element

Tatsächlich wirkte David Bowie, der bisher rund 140 Millionen verkauft hat, irgendwie immer wie ein Mann aus der Zukunft oder wie ein Mann von einem anderen Stern – androgyn, alterslos, unnahbar, cool, irgendwie weltfremd und ein wenig unheimlich. Wie der Mann, der vom Himmel fiel, den er im gleichnamigen Science-Fiction-Film von Nicolas Roeg im Jahr 1976 spielte.

Egal ob er sich im Lauf der Jahre hinter Psychedelic Folk oder Glamrock, hinter New-Wave-Minimalismus, souligem Pop, knurrigem Rock, hypernervösen Elektrobeats oder neoklassizistischen Epen versteckte – die Aura des Fremdartigen hat David Bowie stets kultiviert.

Wie Science-Fiction, wie Geschichten von einem anderen Planeten wirken David-Bowie-Songs nach wie vor – auch oder gerade dann, wenn er sich in den Videos zu „Where Are We Now“ und „The Stars (Are Out Tonight)“ mal ins alte Berlin und mal in die Beschaulichkeit der amerikanischen Vorstädte verirrt, um vom Rentnerdasein zu träumen. Das Fremdartige ist nach wie vor das stilprägende Element in der Musik David Bowies, auch auf „The Next Day“, bei dem wie eigentlich immer Tony Visconti am Mischpult saß.

Die Berlin-Reminiszenz „Where Are We Now“, die hochempfindlich den Bogen spannt zwischen den 1970er Jahren, als Bowie Berlin zur Hauptstadt des Pop machte, bis zum Berlin von heute, bleibt in ihrer Zartheit eher eine Ausnahme. Die neue Platte ist ein von stürmischen Gitarren und großen Popentwürfen bestimmtes Album. Der Titelsong „The Next Day“ ist zum Beispiel eine zickig-zackige New-Wave-Nummer mit lustig stolpernden Gitarren, einem heftig aufstampfenden Offbeat, die es sich zwischen Becketts „Warten auf Godot“ und Shakespeares „Macbeth“ bequem macht. „Here I am, not quite dying“, hier bin ich und ich lebe noch, singt Bowie, bevor ein fieses Saxofonsolo übernimmt. „Dirty Boys“ scheint geradewegs aus der Blueshölle zu kommen, wird von einem mürrisch-spröden Shuffle angetrieben. Durch „Love Is Lost“ dröhnt zu einem ungeraden Beat eine Orgel bedrohlich, während Bowie davon erzählt, wie es sich anfühlt, 22 zu sein, wenn alles neu ist, außer der Angst, die alt wie die Welt ist.

Komplexe Breakbeats

Während „Valentine’s Day“ eine charmante poppige Glamrock-Reminiszenz ist, die auch aus der Ziggy-Stardust-Zeit stammen könnte, knüpft das störrische „If You Can See Me“ an den Alben der 1990er Jahre an, spielt mit komplexen Breakbeats, verworrenen Harmonien und kommt dem Jazzrock verdächtig nahe. Ob sich in „I’d Rather Be High“ Nabokov irgendwo am Grunewald nackt in der Wonne rekelt oder sich Bowie in „The Stars (Are Out Tonight)“ von Berühmtheiten verfolgt fühlt („They watch us from behind their shades / Brigitte, Jack and Kate and Brad“), ob er bei „Boss Of Me“ unverschämt funky wird, „Dancing Out Of Space“ zu einem Motown-Beat leichtfüßig tänzelt oder „(You Will) Set The World On Fire“ weit ausholende Rockposen erprobt – jeder dieser Songs scheint immer ein anderes Stück aus David Bowies Gesamtwerk aufzugreifen und zu verarbeiten.

Dass es unmöglich ist, der eigenen (Pop-)Vergangenheit zu entfliehen, weiß Bowie natürlich selbst. Dass er für das „The Next Day“-Albumcover die Hülle von „Heroes“ (1977) überarbeitet hat, ist daher ein weiterer Geniestreich, den die Platte bereithält. Den Originaltitel ließ er durchstreichen, sich selbst mit einem großen weißen Quadrat verdecken. Diese Coveridee eröffnet eine schier unendliche Zahl an Popdiskursen, stellt Bowie deutlicher als je zuvor als Projektionsfläche aus, indem sie David Bowie einfach zu einer riesigen Leerstelle werden lässt.