Marcia Breuer (vorn) im Ballettsaal in Stuttgart Foto: Johannes Seyerlein

In einem Alter, in dem andere in ihrem Beruf so richtig durchstarten, stehen Tänzer häufig vor dem Aus: Nach langer Ausbildung und einer intensiven, aber kurzen Bühnenkarriere müssen sie sich neu orientieren. Ehemalige Tänzer des Stuttgarter Balletts berichten aus ihrem zweiten Leben – heute: Marcia Breuer

Stuttgart - Zwei Jahre nur war Marcia Breuer beim Stuttgarter Ballett. Recht wenig Zeit also, um sich einen Namen zu machen. Dennoch dürfte dem aufmerksamen Ballettpublikum Marcia Breuer wohlbekannt sein. Viele Programmhefte aus den Jahren 2000 bis 2010 zeigen ihre ebenso einprägsamen wie eigenwilligen Aufnahmen von Proben und Aufführungen. Doch es wäre falsch, das ehemalige Corps-Mitglied als Tanzfotografin zu bezeichnen. Die flüchtigste alle Kunstformen mit der Kamera in Momentaufnahmen zu verdichten war für Breuer eher der Ausgangspunkt ihrer Wandlung: von der Ballerina zur Fotokünstlerin. Und die findet ihre Themen längst außerhalb des Theaters. Heute beleuchtet sie etwa das Spannungsfeld zwischen tatsächlicher Natur und von Menschenhand gemachten Naturbildern. Doch um das alles nachvollziehen zu können, muss man weiter ausholen.

1978 wurde Marcia Breuer in Rüdesheim geboren, wo sie mit vier Jahren ihren ersten Ballettunterricht erhielt. „Ich habe früh beschlossen, dass ich das Tanzen ernsthaft betreiben möchte und meine Eltern überredet, die Aufnahmeprüfung an der John Cranko Schule machen zu dürfen.“ Dass die damals zehnjährige Marcia in Stuttgart genommen werden würde, hatten diese nicht erwartet. Doch ihre Tochter durchlief die acht Jahre dauernde Ausbildung zur diplomierten Tänzerin und wurde im Anschluss beim Stuttgarter Ballett als Elevin engagiert. Nach einem Jahr wechselte sie ans Theater im thüringischen Meiningen, wo sie mit dem Fotografieren begann. Um die Zeit zwischen den Proben zu füllen, wie sie erzählt.

Nach einer Spielzeit kehrte sie ans Stuttgarter Ballett zurück, dieses Mal als Gruppentänzerin. „Irgendwann kam der Tag, als ich mit meiner Leistung nicht mehr zufrieden war. Ich habe damals den Glauben an mich als Tänzerin verloren“, erinnert sie sich. Ihr wurde die Diskrepanz zwischen dem eigenen Anspruch und den eigenen Möglichkeiten bewusst. Dazu kam: „Die Glücksmomente der Selbstvergessenheit, die man als Corps-Tänzerin ohnehin selten erlebt, blieben aus.“ Doch genau die sind der Lohn für das unerbittliche Training und all die kräftezehrenden Proben.

Die Tänzerin richtet sich eine Dunkelkammer ein

Dass Breuer den Gedanken, den Traum von der Bühne zu begraben, nicht als bedrohlich empfand, lag nicht nur an ihrer Offenheit für andere Themen und Tätigkeiten, sondern wohl auch an der Einstellung. „Mir war schon immer klar, dass ich nicht ewig werde tanzen können, und fand es spannend, einmal zwei Berufe zu haben.“

In Stuttgart hatte sich Marcia Breuer eine Dunkelkammer eingerichtet, um ihre Aufnahmen selbst entwickeln zu können. Dennoch betrieb sie die Fotografie weiterhin nur nebenbei. „In den letzten Monaten meiner Zeit als Tänzerin war ich bei zwei Stücken sowohl an der Aufführung beteiligt als auch als Fotografin des Programmheftes“, erzählt sie. Das waren Frederick Ashtons „La Fille mal gardée“ und „Dornröschen“ von Marcia Haydée.

Breuer bestätigt, dass ihr das Interesse an der Fotografie beim Ausstieg aus dem Tänzerinnenberuf geholfen hat, relativiert aber: „Ich war an so vielem interessiert: auch am Schreiben, an der Kunst.“ Ganz grundsätzlich hatte sie als Fotografin das Gefühl, mit der Kamera dem, was ihr am Tanz wichtig war, näher zu kommen, als ihr das durchs eigene Tanzen möglich gewesen war. Hinzu kam, dass ihr Freund und heutiger Partner zum Studium nach Hamburg ging und sie mitzog. Dort bewarb sich Breuer für einen Studienplatz im Fach Visuelle Kommunikation an der Kunstakademie. Auch wenn sie die Professoren mit ihrer Mappe überzeugte, holte die junge Frau auf der Abendschule das Abitur nach. „In erster Linie für mich selbst“, sagt sie. „Für mein Kunststudium war das nicht nötig.“

Als Fotografin ist sie weiterhin dem Tanz verbunden

Auch wenn Marcia Breuer mit dem Ballett von heute auf morgen Schluss gemacht hatte: Als Fotografin fühlte sie sich dieser Kunst weiterhin verbunden. Das zeigen nicht nur ihre Programmhefte, für deren Produktion sie bis zur Geburt ihres ersten Kindes oft nach Stuttgart zurückkehrte. Eine anschauliche Schnittstelle zwischen ihrer tänzerischen und fotokünstlerischen Karriere bildet insbesondere der Bildband „Pretty please, could you dance for me“ (erhältlich im materialverlag.de). Das nach außen hin mit poetischen Gedanken von Tänzern, Choreografen und Tanzexperten und – als trete man hinter den Bühnenvorhang –inwendig mit bezaubernd-intimen Fotos bestückte Leporello erhielt 2005 den Förderpreis der Stiftung Buchkunst für junge Buchgestalter.

Und wie prägt das Ballett ihr heutiges Leben? Wie wohl fast alle ehemaligen Tänzerinnen nennt Breuer die Selbstdisziplin, die der zweifachen Mutter hilft, die verfügbare knappe Zeit für ihre Arbeit zu nutzen. Aber auch Teamgeist, den man zumindest als Gruppentänzerin entwickle. Zudem sieht sie folgende Gemeinsamkeit zwischen der Welt des Balletts und ihrer gegenwärtigen Arbeit: „Tanzen ist für mich eine Art des Schönschreibens bei gleichzeitig emotionalem Ausbruch. Das trifft auch auf meine künstlerisch-fotografischen Projekte zu: Das Beherrschen eines Werkzeugs, das einem erlaubt, sich darüber hinaus zu artikulieren.“ Denn das Artifizielle berge doch großes Ausdruckspotenzial.