Michael Jung auf Chelsea beim Reitturnier in der Schleyerhalle im vergangenen Jahr. Foto: Baumann

Die Reiter stöhnten schwer während des Corona-Lockdowns – sie hatten kaum Einnahmen, mussten aber weiter ihre Tiere versorgen. Nun kehrt die Normalität zurück, doch auch da gibt es Kritik.

Stuttgart - Keine Chance. Reitstall-Inhaber, Turnierreiter oder Züchter – sie alle mussten in der Corona-Krise dichtmachen. Das Dumme: Beim Pferd funktioniert das mit dem Shutdown nicht, die Tiere mussten gefüttert, bewegt und gepflegt werden, sie benötigten den Hufschmied oder den Tierarzt. Die Fixkosten blieben so hoch wie vor der Pandemie, nur die Einnahmen schmolzen wie ein Eiswürfel auf einer heißen Herdplatte. Auf null. Keine Prämien bei Turnieren, kein Verkauf eines Nachwuchspferdes, kein Entgelt für erteilte Reitstunden. Rein gar nichts.

Springreiter Ludger Beerbaum, trotz seines Rücktritts aus dem Nationalteam noch immer einer der Vorreiter der Zunft hoch zu Ross, hat sein Unternehmen in Riesenbeck auf den fünf Säulen Sport, Handel, Ausbildung, Zucht und Futterverkauf aufgebaut. Turniere fanden bis vor Kurzem keine statt, Weltcup und Global Champions Tour (GCT) fielen in die Corona-Lethargie, die GCT stellte Filmchen mit bemerkenswerten Ritten ins Netz, weil aktuell nichts passierte zwischen Oxer und Wassergraben. Von Oslo und Helsinki über Madrid (in der Halle war eine Klinik aufgebaut) bis Mannheim – Reiter und Fans blieben zu Hause. Der Pferdehandel lag darnieder, und Schüler durften nicht im Training ausgebildet werden. Auf Dauer hätten Deckstation und Futterhandel selbst Beerbaums Betrieb nicht über Wasser halten können, bei dem viermaligen Olympiasieger arbeiten 44 Menschen und kümmern sich um 68 Vierbeiner. In der Corona-Pause haben sich Chef und Angestellte verstärkt um die Ausbildung der jungen Pferde gekümmert, was sich nicht zuletzt beim Verkauf in Euro und Cent positiv niederschlagen könnte. Oder man kümmerte sich um Ausrüstung und Mobiliar, wobei sich – wie zu vernehmen war – Springreit-Kollege Marcus Ehning in seinem Stall in Borken besonders beim Streichen der Hindernisstangen verdient gemacht haben soll.

„Drei, vier Monate können wir das aushalten, ohne gleich in die Insolvenz zu gehen“, sagte der 56 Jahre alte Beerbaum und bemerkt, dass er nach einem halben Jahr Shutdown hätte ernsthaft nachdenken müssen, wie es weitergehen soll.

620 Euro Siegprämie reichen nicht

Muss er nicht. So weit ist es nicht gekommen, nicht nur Beerbaum in Riesenbeck im Nordostzipfel Nordrhein-Westfalens atmet auf, auch in Baden-Württemberg sind die Reitprofis erleichtert über das Ende des Stillstandes.

Andreas Krieg, der mit seinen Kindern Niklas und Leonie in Villingen einen Stall für Sportpferde betreibt, ist froh, dass seit zwei Wochen auch in Baden-Württemberg wieder Turniere möglich sind; allerdings hat sich der 60-Jährige geärgert, weil das Land vier Wochen später als andere Bundesländer Springturniere genehmigte. Und weil hier nur maximal 100 Zuschauer zugelassen sind, in Niedersachsen dagegen bis zu 500. „Diese Unterschiede kann ich mir nicht erklären“, raunzt Krieg. Sein Sohn Niklas belegte am 20. Juni in einem S-Springen Platz zwölf in Heiligkreuztal. „Das war das erste Turnier seit Langem“, sagt Andreas Krieg, „immerhin: Es geht endlich bergauf.“

Bei den kleineren Veranstaltungen ist das Turnierkarussell in Deutschland schon in Schwung gekommen, jedoch gibt es keine Prämien, mit denen man einen Stall unterhalten könnte – für Platz eins in Heiligkreuztal erhielt Tim Hoster (Pfullendorf) 620 Euro. Die lukrativen, internationalen Wettkämpfe im Weltcup und in der GCT laufen erst seit Ende Mai langsam an. „Wir sind spät dran“, moniert Andreas Krieg, „wenigstens sind wir einigermaßen durch die Krise gekommen.“

Ein Run auf Turniere setzt ein

Für Vielseitigkeitsstar Michael Jung hat ebenfalls endlich der Alltag begonnen, der dreimalige Olympiasieger und Doppelweltmeister aus Horb am Neckar hat das Beste aus der Turnierpause gemacht – den Stall auf Vordermann gebracht, mehr Zeit als gewöhnlich mit der Ausbildung der Pferde verbracht und mit Bundestrainer Hans Melzer eine akribische Videoanalyse betrieben. Den Einnahmeausfall hat der Buschreiter, der 2010 mit dem legendären Wallach Sam ins Rampenlicht getreten ist, verkraftet, weil auch er sein Unternehmen auf mehrere Säulen gestellt hat. „Endlich bewegt sich wieder was“, sagt Jung. Die Verlegung der Olympischen Spiele in Tokio aufs kommende Jahr hat der 37-Jährige wohl oder übel hingenommen, „in der Hoffnung, dass die Spiele 2021 auch hoffentlich stattfinden“.

Für Michael Jung begann die Nach-Corona-Saison am vergangenen Wochenende beim Vielseitigkeitsturnier in Luhmühlen, bei dem keine Zuschauer zugelassen waren – dafür tummelten sich Reiter aus Belgien, Frankreich, Italien, Finnland, Schweden, Spanien, Indien, Japan und Deutschland im Landkreis Harburg. „Es sind noch wenige Turniere“, sagt Jung, „deshalb stürzen sich die Reiter darauf – manchmal werden die Meldelisten, 15 Minuten nachdem sie geöffnet wurden, schon wieder geschlossen, weil sie voll waren.“

Jung sattelte drei Pferde, er belegte mit Chipmunk Platz vier, mit Rocana Rang fünf, landete mit Go for S auf Platz 13 – und hat noch viel vor. Er betont: „Ich habe viele Termine drinstehen im zweiten Halbjahr.“