Maurizio Nannuccis Neon-Installation „ LOVE“ Foto: Museum Ritter/z

Das Jahr 2015 ist das internationale Jahr des Lichts. Eine Veranstaltung im Stuttgarter Hospitalhof gab den Anlass, dem Thema Licht in Wissenschaft, Kunst, Geschichte und Religion nachzugehen.

Stuttgart - In Dunkelheit beginnt es. Nur hinter den 39 hölzernen Kreisen an der Stirnseite des Berthold-Leibinger-Auditoriums im Stuttgarter Hospitalhof schimmern verborgene Lichtquellen. 500 Gäste lauschen in dieser fast vollständigen Finsternis den Musikern des Podium Esslingen, Florian Willeitner zunächst, der die Violine spielt, Joachim Carr dann am Flügel - dem Liebestod aus Richard Wagners Oper „Tristan und Isolde“, einer Nocturne Improvisation nach Chopin. Das erste klare Licht im Saal kommt von den Musikern, leuchtet hinter dem Flügel.

Musik spielt dann auch eine - kleinere - Rolle in der Diskussion, die folgt. Die Berthold-Leibinger-Stiftung hat Jürgen Mittelstraß, Professor für Philosophie an der Universität Konstanz, Wolfram Pyta, den Leiter der Abteilung für Neuere Geschichte am historischen Institut der Universität Stuttgart, Ulrich Raulff, den Direktor des Deutschen Literaturarchivs in Marbach, Peter Schäfer, den Direktor des Jüdischen Museums in Berlin, und Peter Weibel, den Leiter des Zentrums für Kunst und Medientheorie in Karlsruhe, eingeladen. Fünf Denker betrachten das Licht aus unterschiedlichen Blickwinkeln, sehen in ihm Gott, den Ursprung, Wissenschaft und Aufklärung - oder treten als Anwälte der Dunkelheit auf.

Denn Licht ist nur schön, wo auch Dunkel ist. „Man kann Menschen foltern und krank machen, mit zu viel Licht oder zu wenig“, erinnert Ulrich Raulff. Licht ohne Schatten ist für den Literaturhistoriker ein Bild totalitärer Utopie. Später am Abend wird die Rede auf die Durchleuchtung des Menschen im Informationszeitalter kommen, und Raulff, der das Dunkel gerne lobt, aber auch an Paris denkt, wird schwanken, zwischen der Angst vor der Überwachung - und der Hoffnung: „Dass vieles gesehen, und rechtzeitig gesehen wird.“

Peter Weibel bildet in dieser Runde den Gegenpol Ulrich Raulffs: Er bekennt sich zum Licht, zur Aufklärung, erinnert seinerseits an die konservativen Wurzeln der Romantik. Und er spricht, fast schon in Lichtgeschwindigkeit, davon, wie die technologische Entwicklung die Lokalfarbe überwand, wie abstrakte Kunst überhaupt möglich wurde durch die Entwicklung künstlicher Lichtquellen. „Das Auge“, sagt Weibel, „ist eine Antwort der Evolution auf die Sonne - aber leider keine gute Antwort.“ Mittlerweile, das weiß er natürlich, hat der Mensch bessere Antworten gefunden.

Aber besitzt das Licht so eine klare Deutung? Peter Schäfer erinnert daran, dass die Metapher auch in der Religion, nicht nur im Judentum, auf sehr unterschiedliche Art gelesen werden kann. Ist Gott das Licht, das sich selbst erschuf, oder war er zuvor schon existent? Zwischen dem Johannes-Evangelium, dem Neuplatoniker Philos und der jüdischen Philosophie des Mittelalters, in der Gott aus sich heraus eine dunkle Flamme entlässt, die sich ausdehnt und die Farben entstehen lässt, dehnt sich auch die Bedeutung, die dem Licht zugemessen wird.

Wolfram Pyta stellt das Licht, ähnlich wie Peter Weibel, deutlich in den Dienst der Aufklärung, des Fortschritts und zeigt, wie es zu Beginn des 20. Jahrhunderts verloren ging. Die große Herausforderung, an der jene Zeit scheiterte, lag für Pyta darin, Aufklärung und politische Partizipation zu verbinden: „Die totalitären Systeme des 20. Jahrhunderts haben das Volk alle mit einbezogen“, sagt er, „aber für das Licht war in ihrer politischen Symbolik kein Platz mehr.“ Wenn es auftrat, dann nicht im Namen des Fortschritts, sondern als archaischer Fackelzug der Nationalsozialisten, als Vorbote eines politischen Großbrandes.

Dass Licht vor allem Metapher ist, betont Jürgen Mittelstraß - und zeigt ihren Wandel im Laufe der Jahrhunderte. Zur Zeit des Sonnenkönigs Ludwig XIV., erklärt er, war Licht ein rares Gut, besaß eine Kerze den Wert eines Tageslohns. Längst schon sieht Mittelstraß die Welt überflutet von Licht, seine Bedeutung wandelt sich hin zu Sicherheit, auch Kontrolle. Er erinnert an die Wohltaten der Dunkelheit, die Geborgenheit, die sie auch bedeuten kann.

Gibt es noch Lichtgestalten? Mit dieser Frage schließt Moderatorin Katharina Eickhoff die Diskussion der Lichtinterpreten. Peter Weibel kann da nicht anders, als in satirischem Ton an Barack Obama zu denken, Ulrich Raulff schlägt sich auf die Seite der Dunkelheit. Wolfram Pyta verneint, auch Peter Schäfer sieht sie nicht, die Lichtgestalten. Und Jürgen Mittelstraß sagt: „Ich möchte keine sehen. Die Konnotationen sind zu unangenehm. Man muss davor warnen, mit Metaphern zu philosophieren“ - spontaner Applaus im Leibinger-Auditorium.