Beim SWR-Doku-Festival ruft „Kulenkampffs Schuhe“ die verschwimmenden Bilder alter TV-Herrlichkeit noch einmal auf: Auch Showmaster „Kuli“ wirkte einst schärfer. Foto: SWR

Mal wird untersucht, was ihre legendären TV-Shows über die Bundesrepublik von einst verraten, mal geht es um Kämpfer im Heiligen Krieg: Das SWR-Doku-Festival mischt vom 27. bis 30. Juni 2018 im Stuttgarter Kino Metropol wieder Spaß und Ernst.

Stuttgart - Wie war das noch mal mit der Bundesrepublik? Mit den fetten Jahren, als es aufwärts und aufwärts ging und viele glaubten, der Wohlstand werde sich nun immer breiter verteilen, der soziale Friede tiefer und das allgemeine Glück unerschütterlicher werden? Diese Frage kann man aus vielen Blickwinkeln beantworten. Die Dokumentarfilmerin Regina Schilling, Jahrgang 1962, wählt einen ungewohnten, der anderes zu Tage fördert als das, was man zum Thema in den todlangweiligen Premium-Talkshows geboten bekäme: In „Kulenkampffs Schuhe“ erzählt sie von ihrer eigenen Kindheit und vom bürgerlichen Leben damals anhand von Super-8-Filmen, Fotos, Briefen und Tagebucheinträgen, aber auch viel mit TV-Ausschnitten: Das Fernsehprogramm, die großen Shows vor allem, werden als Stilschule, Denkfabrik und Psychotherapiesitzung der Nachkriegswelt deutlich.

Beim SWR-Doku-Festival, das von Mittwoch, 27. Juni, bis Samstag 30. Juni, im Stuttgarter Kino Metropol läuft, ist „Kulenkampffs Schuhe“ zu sehen (Samstag, 16 Uhr), noch bevor ihn im August das Fernsehen zeigen wird. Die Konkurrenz aber ist groß. Der Festivalmacher Goggo Gensch und sein Team wollen wieder beweisen, dass der Dokumentarfilm derzeit das breitere Themenspektrum, die überraschenderen Zugänge, die witzigeren Ideen, die brisanteren Stoffe und die bedenkenswerteren Informationen zu bieten hat als der Spielfilm – und damit das größere Unterhaltungspotenzial.

Ernst, Musik und Spaß

Das soll aber nicht heißen, dass dieses Festival gezielt nach Unpolitischem sucht, ganz im Gegenteil. Ein wichtiges Element ist der Wettbewerb um den Deutschen Dokumentarfilmpreis . Erwartungsgemäß hat die Vorauswahljury vieles in die Endrunde geholt, das auf brandaktuelle Debatten zielt. „The Cleaners“ (Donnerstag, 28. Juni, 11 Uhr) etwa erzählt von den Löschkolonnen in Billiglohnländern, die große soziale Netzwerke wie Facebook von Anstößigem und Illegalem freihalten sollen. „Of Fathers and Sons“ (Samstag, 20. Juni, 20 Uhr) liefert die Nahaufnahme einer Familie von Islamisten, deren Kinder zu Kämpfern im Heiligen Krieg erzogen werden. Und „The Poetess“ stellt die vollverschleierte saudische Dichterin Hissa Hilal vor, die mit ihrem Auftritt im Finale der TV-Show „Million’s Poet“, einem Mediengroßereignis der arabischen Welt, das patriarchalische System erschüttert hat.

Aber man kann sich aus dem Angebot eben auch ein leichteres Festival zusammenstellen. Schon im zweiten Jahr wird die Eigendynamik eines solchen Ereignisses sichtbar: Angeregt vom Programm im Debütjahr 2017 hat die Stuttgarter Opus GmbH, die unter anderem das Musikfestival Jazz Open veranstaltet, einen Musikfilmpreis (5000 Euro) gestiftet. Fünf Filme gehen nun ins Rennen, die anders sind als die soliden Konzertmitschnitte und Bandporträts, mit denen eine fleißige Industrie den Fanmarkt bedient. In „You’ll never walk alone“ (Mittwoch,27. Juni, 20.15 Uhr) etwa machen sich der Regisseur André Schäfer und der Schauspieler Joachim Król auf die Suche nach Bedeutung, Geschichte und Wirkung eines beliebten Stadionliedes der Fußballwelt. Wer auch Musikfilme lieber als Einzelstücke genießt, kann sich wieder andere Angebote herausfischen: „Eskimo Limon“ (Freitag, 9. Juni, 14.30 Uhr) etwa erzählt vom Erfolg der israelischen Teenie-Kinoreihe „Eis am Stiel“ – und davon, was aus den Darstellern von einst wurde.

Bei der Fachtagung sind auch Laien willkommen

Wer möchte, kann sich beim SWR-Doku-Festival und bei der parallel stattfindenden Branchentagung Dokville aber auch über Tendenzen, Probleme und Marktbedingungen des Dokumentarfilms informieren. Im Haus des Katholischen Kirche gibt es täglich in der Doku-Lounge Gespräche mit Filmemachern über ihre Arbeit. Das ist auch als Schnupperangebot gedacht, der Eintritt ist frei.

Dokville dagegen, ausgerichtet vom Stuttgarter Haus des Dokumentarfilms, beschäftigt sich als Weiterbildungsveranstaltung für Dokumentarfilmer am Donnerstag und am Freitag im Metropol vor allem mit der Serienwelt und den Möglichkeiten, die sie für Dokumentarfilmer bietet. Man muss kein Filmemacher sein, um teilnehmen zu dürfen, auch interessierte Laien können ein Zweitagesticket oder Einzelkarten für die speziellen Themenblöcke erwerben. Am Donnerstag (28. Juni 2018) zwischen 14 und 16 Uhr etwa geht es um Angebote für junge Zielgruppen, am Freitag ab 13.45 Uhr um den True-Crime-Boom.