Robert Tewsley brachte sich nach einem Rückenproblem mit Gyrotronic wieder in Top-Form. Foto: Stuttgarter Ballett

Ob Yoga oder Pilates: viele Tänzer in Stuttgart unterstützen ihr Training mit ganzheitlichen Bewegungspraktiken. Wie wirken sich diese Erfahrungen auf die Kunst aus?

Stuttgart - Sie kräftigen sich mit Hilfe von Schlaufen und Seilen oder gleiten behände in die Position des herabschauenden Hunds: Ob Yoga oder Pilates – etliche klassische und zeitgenössische Tänzer in Stuttgart unterstützen ihr Training mit ganzheitlichen Bewegungspraktiken und Entspannungsmethoden. Konzentration, Ruhe oder gezieltes Muskeltraining – was suchen sie in den Studios, und wie wirken sich ihre Erfahrungen auf die Kunst aus? Warum haben sich einige sogar entschlossen, die Methoden zu lehren?

Nicht wenige Tänzer schwören auf Pilates, ein Körpertraining, das der Deutschamerikaner Joseph Pilates in den 20ern in New York entwickelt hat. Die ehemalige Ballerina Davorka Kulenovic-Bischoff hat 1997 in New York bei Romana Kryzanowska, der von Joseph Pilates bestimmten Nachfolgerin, ihre Ausbildung genossen. Seit 2005 leitet sie ein Pilates-Studio in der Ostendstraße, und Tänzer des Stuttgarter Balletts und Schüler der John-Cranko-Schule gehen bei ihr ein und aus. Sie bildet außerdem Trainer aus, auch Tänzer. Rücken- und Hüftprobleme waren es, die Kulenovic-Bischoff bewogen haben, mit Pilates zu beginnen: „Das Training hat sehr viel Kontrolle und Balance in mein Leben gebracht. Es hilft mir, die Hüfte und die Wirbelsäule zu entlasten und mich fit zu halten“, meint sie. Früher hat sie als Solistin unter anderem am Nationaltheater Sarajevo getanzt und dann beim Telos-Tanztheater bei Ursula Bischoff-Mußhake in Stuttgart.

Kräftige Rumpfmuskeln erleichtern die Beinarbeit

Pilates erfordert eine Menge Kraft: „Eine Entspannungstechnik ist Pilates nicht“, räumt Kulenovic-Bischoff mit einem gängigen Missverständnis auf. Als der vielseitige Sportler Joseph Pilates 1926 sein erstes Studio eröffnete, trainierte er Leistungssportler wie etwa Boxer. Seine Methoden fanden aber auch bei Tänzern Anklang, etwa bei Martha Graham, der Pionierin des Modern Dance, oder den Tänzern des legendären Choreografen George Balanchine. Was reizt die Tänzer an Pilates? „Es bringt auf eine schonende Art Kraft, Stabilität und Beweglichkeit“, meint Kulenovic-Bischoff. Die Übungen stärken Rücken, Bauch, Beckenboden und Adduktoren, das so genannte Powerhouse. Eine kräftige Rumpfmuskulatur erleichtere Tänzern die Beinarbeit. Ungleich trainierte Muskeln ließen sich ebenfalls ausgleichen. Auch bei Verletzungen sei das Training hilfreich. Da Tänzer mit den Geräten Knie, Rücken und Fußgelenke entlasten könnten, fördere Pilates die Rehabilitation. „So können sich die Tänzer sehr gut in Form halten und schneller auf die Bühne zurückkommen“, sagt Kulenovic-Bischoff. Ausüben kann man Pilates auf der Matte und an Geräten, die so dynamische Namen wie „Cadillac“ und „Reformer“ tragen. Über ihnen prangen Schwarzweiß-Bilder von Joseph Pilates mit seinen gelenkigen Schülern. Sein Markenzeichen war, dass er stets barbrüstig unterrichtete.

Eine weitere Methode des ganzheitlichen Trainings lehrt Claudia Shinn, ehemalige Halbsolistin des Stuttgarter Balletts. Seit 2001 betreibt sie ein Gyrotonic-Studio in der Hauptmannsreute. Es war ein Balletttänzer ungarisch-deutscher Herkunft, der Gyrotonic kreierte: Juliu Horvath. In den 70ern wirkte er als Solist unter anderem an der New York City Opera. Nach einem schweren Unfall entwickelte er auf der Insel St. Thomas ein Yoga für Tänzer mit Einflüssen aus dem Schwimmen und Rudern namens Gyrokinesis. Er konstruierte spezielle Maschinen und unterrichtete im New Yorker White Cloud Studio Gyrotonic, wie er die Methode nun nannte. „Die Besonderheit an Gyrotonic ist die dreidimensionale Bewegung“, erklärt Shinn. „Es ist eine Art Schwimmen im Raum“, beschreibt sie es, wenn sie mit Kurbeln und Seilschlaufen rührende Arm- und Beinbewegungen vollführt oder die Wirbelsäule in Wellenformen biegt. Gyrotonic dehne und mobilisiere, trainiere aber im Unterschied zu anderen Trainingsmethoden ganze Muskelketten.

Rehabilitation mit Gyrotonic

Marcia Haydées Ehemann Günter Schöberl war es, der Claudia Shinn erstmals für ganzheitliches Körpertraining begeisterte. Sie absolvierte bei ihm eine Yoga-Ausbildung und 1997 eine weitere in Gyrotonic bei Horvath in München. Von Annie Mayet übernahm sie dann das Studio in der Hauptmannsreute – auch sie war Solistin des Stuttgarter Balletts. Anfangs half Shinn Tänzern bei der Rehabilitation, etwa dem Ersten Solisten Robert Tewsley; heute unterstützt sie ganz unterschiedliche Klienten. Andere Stuttgarter Ehemalige haben ebenfalls Gyrotonic praktiziert, etwa die Erste Solistin Bridget Breiner. Der ehemalige Tänzer Marco Santi gibt wie Shinn Gyrokinesis-Kurse.

Die Turnenden vollführen Gyrotonic-Übungen in Kombinationen und begleiten sie mit rhythmischen Atemzügen. „Das beruhigt den Herzschlag und das Nervensystem. Wie beim Yoga ist es ein Kern der Praxis, Atmung und Bewegung zu synchronisieren“, erklärt Shinn. Auch Marcia Haydee habe sehr viel mit dem Atem gearbeitet. „Ich würde sie als yogische Tänzerin bezeichnen“, meint Shinn sogar. Was bedeutet dies?„Außergewöhnliche Tänzer haben die Qualität, in sich zu ruhen“, sagt sie. Mit ganzheitlichem Körpertraining ließe sich erlernen, „dem Körper zu folgen und ihn zu respektieren“, resümiert Shinn.

Es geht auch um innere Beweglichkeit

Von Gyrotonic ist es nicht mehr weit zur ältesten Entspannungsmethode – zum Yoga. Dabei handelt es sich um eine umfassende spirituelle Kulturpraxis. Christine Chu ist zeitgenössische Tanzchoreografin und ausgebildete Vinyasa-Yoga-Lehrerin und gibt Workshops in „Tanz und Yoga“ an der Tanz- und Theaterwerkstatt Ludwigsburg. „Vinyasa Yoga ist eine sehr fließende Technik“, erklärt sie. Somit eigne sie sich besonders für Tanz. In ihren Kursen übt sie mit den Teilnehmern erst auf der Matte und entwickelt dann kleine Tanzsequenzen. Die Yogis dehnen und lockern sich zunächst und arbeiten an der Körperwahrnehmung und Konzentration. Wie bei Pilates liegt ein besonderer Schwerpunkt auf dem Becken, der Leiste und den Bauch- und Gesäßmuskeln, dem so genannten „Zentrum“. Anders als im Tanz gehe es im Yoga aber nicht so sehr um die äußere Bewegung, sondern vielmehr um „die innere Beweglichkeit des Geistes, um die Schranken des Körpers und der Geistes zu überwinden“, so Chu. Trotz der Unterschiede unterstütze Yoga den Tanz: „Wenn ich vor der Aufführung Yoga mache, bin ich besser platziert und kann meinen Körper gezielter einsetzen“, meint sie. Sie rät den Teilnehmern, bewusst den Atem einzusetzen: „Der Atem ist essenziell wichtig, denn er zieht die Verbindung zwischen Physis, Emotionen und Geist. Über gezielte Atemtechniken kann ich den geistigen und körperlichen Zustand verändern“, erklärt sie. Der organische Atem ist auch typisch für den zeitgenössischen Tanz und Modern Dance. Mit Anheben und Fallenlassen der Beine und Wälzen über den Boden bereiten die Teilnehmer nun den Übergang zu Tanzsequenzen vor. In den Übungen sind schon die Impulse zu finden, von denen sich zeitgenössische Tänzer leiten lassen. Die Verbundenheit mit dem Boden und die fortwährende organische Bewegung ist eine weitere Parallele. So wirkt es dann ganz natürlich, wenn die Yogis schließlich zum Tanz schreiten.