Die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles und der SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil beim Debattencamp in Berlin. Foto: dpa

Auf einem Debattencamp inszeniert sich die SPD modern und zeitgeistig – und wird doch vom alten Thema Hartz IV wieder eingeholt. Ein bisschen Aufmunterung holt man sich trotzdem ab – und wirkt nach zwei Tagen Selbstvergewisserung wieder gestärkt.

Berlin - Die entscheidende Botschaft kommt nicht überall an. Nach einer Kapitalismuskritik, der Warnung vor dem US-Präsidenten Donald Trump und vor Cyber-Kriminellen ruft die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles in die Halle: „Wir werden Hartz IV hinter uns lassen“. Doch weil die Elektronik im Berliner Funkhaus nicht einwandfrei funktioniert, können nicht alle Zuhörer ihre Ankündigung einer Neuerfindung des Sozialstaats hören. Dann betritt SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil die Bühne, und fordert: Denken Sie groß!“, es läuft das Lied „Alles neu“ von Peter Fox – und obwohl die SPD-Spitzenfunktionäre in den oberen Reihen nicht zu verstehen sind, gibt es tosenden Applaus. Das haben Nahles und Klingbeil lange nicht mehr gehabt.

Nur nicht staubig wirken

Ein bisschen wild, kreativ und modern: Glich die SPD zuletzt einem Intensivpatienten, präsentiert sie sich an diesem Wochenende quicklebendig. In den alten Räumen des DDR-Staatsfunks debattieren die Sozialdemokraten über ihre Zukunft. Unter dem Motto „Lust auf morgen“ versucht die Partei während eines zweitägigen Debattencamps Wege aus dem Tief zu finden. Möglichst viele sollen dabei mitreden: die Basis, die Spitze, Experten, Genossen und Nicht-Genossen – laut SPD sind rund 3000 Teilnehmer gekommen. Von Niedergeschlagenheit und Verunsicherung ist nichts zu spüren. Einen Energieschub für die Partei, nennt SPD-Vize Ralf Stegner die Veranstaltung – der Wille, sich deutlicher von der Union abzusetzen, ist greifbar.

Um dem staubigen Image der alten SPD zu entkommen, gibt man sich nun hypermodern. Die Räume heißen „Catwalk“ und „Loggia“, die Scheinwerfer leuchten rot und lila, es gibt eine Bar. Die 60 Foren heißen „Sessions“, die 90 Referenten „Speaker“. Debattiert wird auf roten Pappockern vieles, vom Grundeinkommen bis zur Zollpolitik, von der Kohle bis zur Migration. Ausländische Staatsgäste wie António Costa, Ministerpräsident von Portugal, und der griechische Regierungschef Alexis Tsipras, sprechen über ihre Version der Kombination „links und erfolgreich“ . Begleitet wird der Selbstfindungsprozess mit durchaus selbstironischer Hintergrundmusik wie dem Abba-Song „Waterloo“.

Der Ausstieg aus Hartz IV ist einer der Wege, die zu neuem Erfolg führen sollen. Das habe nichts mit den jüngsten Wahlergebnissen zu tun, sagt zwar die stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende Malu Dreyer unserer Zeitung. „Keine Reform hat einen Ewigkeitsanspruch, Hartz IV ist heute einfach nicht mehr zeitgemäß“, so Dreyer. Doch nach den anhaltenden Wahlschlappen ist klar: die Partei muss ihr schwammiges Profil wieder schärfen.

Die SPD braucht Enthusiasmus

„Schade, wir haben die Erneuerung ein wenig verpasst“, beklagt Elisabeth Krämer, Kreisvorsitzende der Jusos Rhein-Neckar, die nach Berlin gekommen ist. Anders als die Parteispitze wagt die 25-Jährige noch keine Abkehr von Hartz IV. „Ich weiß nicht, ob wir Hartz IV komplett abschaffen können, aber wir können es verbessern, fairer gestalten“, sagt sie , freut sich aber, dass die umstrittene Agenda 2010 wieder oben bei der SPD steht. „Das Thema verfolgt uns.“

Die Debatten-Ergebnisse sollen jetzt gebündelt werden, die Ergebnisse in die Beratungen einer Klausur am 14. Dezember einfließen. Bis zum Bundesparteitag Ende 2019 soll ein Zukunftsprogramm stehen. Klingbeil kündigt weitere, regionale Debattencamps an. Die Parteispitze wirkt erleichertet – die SPD, sie lebt offenbar doch noch. „Arsch hoch!“, ruft Nahles am Ende mit rheinischer Direktheit in die Menge. Bleibt nur noch der schwierige Teil, damit neue Wähler zu gewinnen.