Das Renn-Team von „Le Mans“ mit Steve McQueen (6. v. r.), Herbert Linge (2. v. r.) und Co-Pilot Jonathan Williams (links neben McQueen). David Piper (hinter Williams) verlor beim Dreh einen Fuß. Foto: Porsche AG

Herbert Linge fährt die Rennszenen für Steve McQueen im Hollywood-Streifen „Le Mans“. Und er machte Weissach zum reichsten Dorf Deutschlands.

Weissach - Herbert Linges Leben könnte leicht ein paar Bücher füllen. Die Zeit vergeht wie im Fluge, wenn man ihm die Anekdoten entlockt – dabei ist Linge ruhigen Wesens, Typ schwäbischer Schaffer, dem Eigenlob fern ist. Auch deshalb ist es erstaunlich, was der Mann aus Weissach im Kreis Böblingen alles gemacht hat, seit er sich nach der Volksschule 1943 mit 15 Jahren entschloss, eine Mechanikerlehre bei Porsche anzutreten. Es war ein weiter Weg für den Weissacher: Eine Zeit lang musste der Auto- und Motorradbegeisterte die 22 Kilometer nach Zuffenhausen morgens und abends mit dem Fahrrad hinter sich bringen. Nicht viel später flitzte er mit einem Affentempo über die Rennkurse in aller Welt, kreuzte die Wege vieler Prominenter – und hinterließ Spuren.

Linge und Ferdinand Porsche

Herbert Linge, geboren am 11. Juni 1928 in Weissach, träumte als Jugendlicher von den Rennfahrern der Auto Union wie Geschwindigkeitsweltrekordler Bernd Rosemeyer. Er ließ Taten folgen: 1943 bewarb er sich bei Firmengründer Ferdinand Porsche erfolgreich als einer der ersten Azubis, und nach Ende des Zweiten Weltkriegs, als Ferdinand und Sohn Ferry aus Österreich zurückkehrten, stellten sie ihn als ersten Mechaniker in der Augustenstraße ein. Linge war einer jener Praktiker, die jeder Ingenieur braucht, um eine Idee umzusetzen. Als Meister, als Maschinenbautechniker: Der junge Mann, der mit Anfang 20 dem Dorfpolizisten ein paar Kisten mit einem komplett zerlegten Motorrad abkaufte, damit er nicht mehr mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren musste, durfte oft als einziger „Normalsterblicher“ (Linge) mit den Ingenieuren und Konstrukteuren am Arbeitstisch diskutieren.

Linge und Hans Hermann

Als Kapo in der Werkstatt war Linge automatisch der erste Porsche-Testfahrer beim Neustart in Stuttgart. Er stellte sich geschickt an, und weil er vorher schon kleinere Motorradrennen gefahren hatte, verfügte er über eine Rennlizenz. So wurde er eine Art Werkfahrer, obwohl er nie als Werkfahrer angestellt war. „Wenn mal einer fehlte, hieß es, der Linge kann fahren“, erinnert er sich. Er wurde im Mai 1955 Beifahrer des Profi-Piloten Hans Herrmann bei der legendären Mille Miglia in Italien. Linge revolutionierte das Bordbuch. „Davor ging es für die Beifahrer darum, den Weg zu finden“, sagt er, „ich habe auch aufgeschrieben, wie die Straße beschaffen ist oder was hinter einer Kuppe liegt.“ Bei einem Bahnübergang zwischen Pescara und Chieti hatte er „sehr gut, voll anfahren“ notiert, so dass Herrmann Tempo 160 hielt. Dumm nur, dass die Schranke unten war und anhalten nicht mehr möglich. „In dem Moment schlägt mir Hans auf den Helm, und wir fahren mit eingezogenen Köpfen unter der Schranke durch“, sagt Linge. „Wir haben noch gehört, wie der Zug kam.“ Zum Glück war der 550 Spyder flach genug. Das Duo wurde Klassensieger und als beste Nicht-Italiener Sechste im Gesamtklassement. Linge persönlich schaffte noch 89 weitere Klassensiege und holte vier Weltmeistertitel bei GT- und Sportwagenrennen.

Linge und James Dean

Linge sollte Anfang der 50er Jahre den Porsche-Kundendienst in den USA aufbauen, die schon damals als wichtigster Auslandsmarkt galten. Er ging von New York aus zu den Kunden – an der Ostküste aus Kostengründen mit dem Auto, auch wenn es Tage dauerte. An die Westküste musste er fliegen. Bis er eines Tages seinen Mitarbeiter Rolf Wütherich nach Los Angeles delegieren konnte. Wütherich sollte sich unter anderem um einen Kunden namens James Dean kümmern, der gerade von einem Porsche 356 Speedster auf einen 550 Spyder umstieg. Wütherich testete den Wagen und stellte ihn ein. Er saß auf dem Beifahrersitz, als Dean den Porsche am 30. September 1955 zu einem Autorennen nach Salinas fuhr, wo er mit ihm ein Rennen bestreiten wollte. Ein entgegenkommender Ford-Fahrer nahm dem Film-Star die Vorfahrt – Dean starb, Wütherich überlebte schwer verletzt.

Steve McQueen, Ferry Porsche, Bernie Ecclestone...und Linge

Linge und Steve McQueen

Film-Star Steve McQueen – selbst passionierter und erfolgreicher Amateur-Rennfahrer – plante Ende der 60er Jahre einen Film über die 24 Stunden von Le Mans, den er selbst finanzierte. Der Veranstalter forderte laut Linge allerdings von McQueen, dass er das ganze Rennen mit einem regelkonformen Auto absolviert. Das wiederum ließ die Versicherung des Stars nicht zu – schließlich starben damals regelmäßig Fahrer. McQueen suchte Doubles, die unter Helm und Gesichtstuch im Film nicht zu erkennen sein würden – und stieß auf Linge, den er von früheren Rennen kannte und der sich auf das neue Porsche-Geschoss 917 verstand. So fuhr Linge 1970 zusammen mit dem britischen Rennfahrer Jonathan Williams das Rennen mit drei Kameras am Wagen. Weil die Boxen-Stopps wegen der Filmrollenwechsel länger dauerten als erlaubt, wurde das Duo nicht gewertet – obwohl es Achter wurde. Anschließend machte Linge weitere sechs Wochen bei den eigentlichen Dreharbeiten mit. „Steve war zunächst sehr reserviert“, erinnert sich der Weissacher, „aber als er einen dann kannte, war er ein ganz toller Kumpel. In der Mittagspause hat er mich öfter gefragt, ob wir eine Runde mit den Motorrädern drehen. Dann sind wir durch den Wald in der Mitte des Rennkurses gebrettert.“ Der Hollywood-Star, der 1980 an Krebs sterben sollte, war Perfektionist. So sollte Linge bei Tempo 300 auf einer langen Geraden einen Ferrari überholen, verpasste aber mehrfach den Kamerapunkt. „Ich sagte, Steve, lass uns 500 Umdrehungen runtergehen, damit ich genug Spiel habe, um auf 50 Metern überholen zu können. Aber er sagte ,Nein! Die Cockpit-Kamera zeigt den Drehzahlmesser, da sieht man ja, dass wir nicht Vollgas fahren, und das auf der langen Geraden!‘ Er ließ uns die Szene 15-mal wiederholen.“ Auch wenn „Le Mans“ mit vielen Rennszenen und wenig Handlung kein Kassenknüller wurde: „Es war ein tolles Erlebnis“, sagt Herbert Linge.

Linge und Ferry Porsche

Toll war der Dreh mit McQueen auch deshalb, weil es das letzte Rennen von Linge war. Ein Jahr vorher hatte ihn bei Porsche ein gewisser Ferdinand Piëch vor die Wahl gestellt, entweder als angestellter Werkfahrer weiterzumachen oder Betriebsleiter in Weissach zu werden, wohin die erste Abteilung 1969 zog. Linge war über 40 und musste nicht überlegen. Le Mans für McQueen ließ Piëch dann noch einmal als Ausnahme zu. Ansonsten widmete sich Linge nur noch der Ideenschmiede von Porsche. Dass die im idyllischen Heckengäu gelandet war, lag auch an Herbert Linge. Bereits 1959 war Ferry Porsche auf der Suche nach einem Gelände für eine Teststrecke gewesen. An einem Freitagabend stand Porsche mit seinem Sekretär, einem Entwicklungsingenieur und Linge als Meister der Versuchswerkstatt auf wertvollem Strohgäuboden bei Münchingen, unweit der A-81-Anschlusstelle Zuffenhausen. „Plötzlich sagte Porsche: ,Meine Herren, wollen Sie wirklich diese schönen Äcker zubetonieren?‘“, erinnert sich Linge: „Dann hab’ ich mich getraut und gesagt: ,Herr Porsche, wenn Sie noch 20 Minuten weiterfahren können, wüsste ich ein Gelände, wo außer Schlehen und Disteln nichts wächst.“ Die Delegation fuhr nach Weissach, und Porsche war zufrieden. Linge machte für den darauffolgenden Montag einen Termin beim Bürgermeister aus. Weissach wurde Porsche-Standort: 1962 war der erste Rundkurs fertig, den der örtliche Schäfer als erster Mitarbeiter pflegte. Heute arbeiten rund 4000 Menschen für Porsche in der 7500-Einwohner-Gemeinde und machen sie zum wohl reichsten Dorf Deutschlands; mit Gewerbesteuereinnahmen von bis zu 223 Millionen Euro im Rekordjahr 2009. Die Weissacher hatten laut Linge lange ein gespaltenes Verhältnis zu Porsche, „da man Sportwagen für etwas Überflüssiges hielt“. 2006 machten sie Linge zum Ehrenbürger.

Linge und Bernie Ecclestone

Zuvor hatte es Herbert Linge auch schon zum Träger des Bundesverdienstkreuzes gebracht – und das hatte mit Niki Lauda zu tun. Zwar zogen die Rennfahrer Brett Lunger und Arturo Merzario den Österreicher nach seinem schweren Unfall auf dem Nürburgring 1976 aus dem brennenden Wrack. Dies gelang ihnen laut Herbert Linge aber erst, nachdem eine Sicherheitsstaffel die Flammen eingedämmt hatte. Diese Staffel der Obersten Nationalen Sportkommission für den Automobilsport (ONS) hatte Linge gegründet. Nachdem in den 60er Jahren viele Fahrer und auch Freunde Linges wie Wolfgang Graf Berghe von Trips oder Gerhard Mitter nach Unfällen gestorben waren, weil teilweise Hilfe zu spät kam, wurde der Fahrersprecher aus Weissach von Kollegen gedrängt, etwas zu unternehmen. Linge machte ein Konzept, wonach jede Stelle eines Kurses innerhalb von 60 Sekunden von Hilfskräften mit Feuerlöschern und Metallscheren erreichbar sein musste. Im Leitungsauto, heute Pace-Car genannt, sollte ein Arzt sitzen, am Steuer ein Rennfahrer. Linge konnte ein Musterauto auf Basis eines Porsche bauen und überzeugte 1972 neben der ONS auch einen Beauftragten von Bernie Ecclestone, der Sprecher der Teams war. „Der war so begeistert, dass Ecclestone zum nächsten Rennen nach Hockenheim kam und sich die Staffel vorstellen ließ“, sagt Linge. Ecclestone beauftragte ihn, der selbst nie einen Rennunfall hatte, die ONS-Staffel in der ganzen Formel 1 zum Standard zu machen. Linge kümmerte sich bis 1989 um die Sicherheit im Motorsport. Dafür bekam er 1982 das Bundesverdienstkreuz. Bei Porsche ging er 1993 endgültig in den Ruhestand.

Mit seinen Erfolgen bei der Carrera Panamericana in Mexiko und der Targa Florio auf Sizilien bereitete der heute 85-Jährige berühmten Porsche-Namen den Weg. 1965 bestritt der das Renndebüt des 911ers bei der Rallye Monte Carlo. Mit seinem eigenen 911er Targa, Baujahr 1977, war er am vergangenen Wochenende auf einem Oldtimer-Treffen von Porsche unterwegs.