Elemente der früheren Ziegelei sind auf dem Kärcher-Campus erhalten. Im Hintergrund der riesige Kamin, rechts das Auditorium, links das Kundencenter mit Cafeteria. Foto: Frank Eppler

Der Reinigungsgerätehersteller Kärcher hat auf dem Gelände einer ehemaligen Ziegelei in Winnenden nicht nur ein gut durchdachtes Ensemble errichten lassen, sondern offenkundig auch ein Stück neue Unternehmenskultur geschaffen.

Winnenden - Ihr erstes Vorstellungsgespräch bei der Firma Kärcher vor knapp drei Jahren führte für Melanie Baierschmitt über Pforte 1 in einen eher unspektakulären Besprechungsraum. Die heute 45-jährige Werbefachfrau, die für verschiedene renommierte Auftraggeber schon in München, Düsseldorf, Zürich und zuletzt wieder in der bayrischen Landeshauptstadt gearbeitet hat und beschlossen hatte, mit ihrer Familie wieder in ihre Heimat in der Region Stuttgart zurückzukehren, hat sich die Firma ganz bewusst ausgewählt. Inhaltlich und in ihrem Bereich, dem Marketing, schien von vornherein alles auf einer Wellenlänge. Das Firmengelände hinter Pforte 1, räumt sie vorsichtig ein, sei hingegen nicht absolut ausschlaggebend dafür gewesen, dass Sie dem Unternehmen unbedingt beitreten wollte.

Große Begeisterung beim zweiten Vorstellungsgespräch

Das sollte sich nach der zweiten Vorstellungsrunde radikal ändern. Die fand auf dem neuen campusähnlichen Areal an der Marbacher Straße statt. „Ich bin ein recht visueller Mensch – und war sofort begeistert“, sagt Melanie Baierschmitt.

Mehr als 600 Auszeichnungen an einer Wand

Drei miteinander verbundene Gebäudeteile hat der weltweit tätige Reinigungsgerätehersteller auf dem Gelände hinter Pforte 3 erstellen lassen, auf dem zuvor seit 1897 die Firma Pfleiderer Dachziegel produziert hatte: Büroräume für rund 500 Mitarbeiter, ein Veranstaltungs-Auditorium für bis zu 800 Gäste sowie ein Besucher- und Kundenzentrum.

Großer Wurf von Reichel und Schlairer

Zahlreiche Auszeichnungen in unterschiedlichen Kategorien sind ein deutliches Indiz dafür, dass den verantwortlichen Architekten, dem Stuttgarter Büro Reichel und Schlairer, ein großer Wurf gelungen ist. Die wohl renommierteste Würdigung ist der Hugo-Häring-Landespreis. Nicht nur die bis ins Detail durchdachte Ausgestaltung der winkelförmigen Gebäude mit großflächigen Fassaden aus Sichtmauerwerk und Glas wird allenthalben gelobt, auch die Reminiszenz an die historische Ziegelei, von der ein riesiger Schornstein erhalten und in das Ensemble integriert wurde.

Melanie Baierschmitt hat von ihrem „kleinen Großraumbüro“, in dem die Teamleiterin für Marketingprojekte im Bereich Home & Garden in wechselnder Besetzung täglich zehn Mitarbeiter um sich schart, einen guten Ausblick auf den Schornstein und den Campus. Müsste die dreifache Mutter frühmorgens nicht zuerst ihre drei Kinder versorgen, könnte sie in der Ferne über dem Winnender Teilort Bürg bisweilen sogar den Sonnenaufgang genießen. Aber auch so sei der Weg ins Büro jeden Tag aufs Neue ein Erlebnis, betont sie.

Preisgekrönter Naturgarten im Innenhof

Dieser führt nämlich zunächst durch einen ungewöhnlichen Innenhof, um den herum der Bürokomplex ringförmig gebaut ist. Die Landschaftsökologin Maria Stark hat diesen – ebenfalls preisgekrönten – „Naturgarten mit Landschaftscharakter“ so ausgestaltet, dass typische Pflanzen der Region dort gedeihen. Beim Bau der Naturlandschaft wurden unter anderem Muschelkalkblöcke verwendet, die auf einer Großbaustelle der Firma Porsche in Weissach ausgebaut werden mussten. Im Frühling und Sommer stellt die firmeneigene Kantine Tische und Stühle in den Garten, so dass auch Mitarbeiter aus anderen Bereichen gerne für die Mittagspause vorbeikämen, wie auch Sebastian Wein von der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit aus eigenem Erleben bestätigt: „Das Ambiente ist schon etwas ganz Besonderes.“

Eigentlich, sagt Melanie Baierschmitt, komme sie beruflich ja aus einer Welt, in der auf äußerliche Besonderheiten ganz bewusst viel Wert gelegt werde. „Ich habe mein halbes Leben in Agenturen verbracht, die versucht haben, stylish zu wirken. Doch meist ist das übertrieben und kühl. Das hier hingegen hat echtes Charisma.“

Mehr als 600 Auszeichnungen an einer Wand

Das gilt sicherlich auch für das Kärcher-Kundencenter. Wer einen der Seminarräume besucht, wird über ein gelbes Band an der Wand, auf dem ein Abriss der Firmengeschichte dargestellt ist, nach oben geleitet. Im Flur des ersten Stocks sind fein säuberlich alle Auszeichnungen aufgereiht, die Kärcher erhalten hat – 605 Preise sind es bisher.

Das Herzstück im Erdgeschoss ist eine 700 Quadratmeter große Halle. Riesige, umgebaute Transportkoffer, wie sie in kleinerem Format auch in Flugzeugen verwendet werden, stehen dort als unterschiedliche Themenwelten bereit – die Bandbreite reicht von Automotiven über die Bau- bis zur Landwirtschaft. Jeder „Flightcase“ enthält die jeweils themenspezifischen Produkte. In den Deckel ist ein Bildschirm eingebaut, aufgeklappt wird in der Regel nur der für die jeweilige Zielgruppe, alle anderen bleiben geschlossen. Das soll signalisieren: Heute ist unser ganzer Fokus auf dich gerichtet. Im Außenbereich sind verschiedene Bodenbeläge verbaut, auf einem Reinigungsparcours kann von der Aufsitzkehrmaschine bis zum Hochdruckreiniger alles gleich ausprobiert werden.

„Reinkommen und wohlfühlen“

„Hier hat jeder seinen Spaß“, sagt denn auch die Marketingfachfrau, die sich als Neuling bei Kärcher zwei bis drei Tage lang ausschließlich Zeit dafür nehmen durfte, den Campus und seine Besonderheiten genau kennenzulernen. Ihr Fazit: „Reinkommen und wohlfühlen.“