Kanzlerin Angela Merkel und ihr Vizekanzler Olaf Scholz: Teambildung gelungen Foto: dpa

Nach der Klausur in Meseberg haben Kanzlerin Angela Merkel und ihr Vizekanzler Olaf Scholz zwar keine konkreten Vorhaben präsentiert, verkünden aber: „Teambildung gelungen, der Rest kommt jetzt.“

D - ie Laune der Kanzlerin gleicht ganz und gar nicht dem Wetter. Das Klima in der Regierung findet nicht seine Entsprechung im Sonnenbad, in das Schloss Meseberg getaucht wird, wenn man mal vom kalten Nordostwind absieht, der einen mitunter frösteln lässt. Lustlos wirkt Angela Merkel, müde, genervt und grimmig. Was möglicherweise auch ein wenig einer Erkältung geschuldet ist, die sie bei ihrem Auftritt vor Journalisten mal schlucken, mal hüsteln lässt.

Vielleicht fragt sie sich aber auch, was all die Kinderspielchen der vergangenen Wochen sollen, die Querschüsse von Jens Spahn und Horst Seehofer, die hysterischen Reaktionen der Genossen. Wo doch jenseits des Atlantiks ein US-Präsident zeitgleich per Twitter Russland mit Raketen droht und sie sich deshalb mit ganz anderen Dossiers herumschlagen muss als mit der zum x-ten Mal aufgebrachten Frage, ob der Islam zu Deutschland gehört. Trump will einen Giftgasangriff, den er dem Assad-Regime anlastet, mit Bomben beantworten, Russland warnt, Trump droht. Und Merkel? Sieht klare Anhaltspunkte für eine Urheberschaft des syrischen Regimes. Aber zu allen anderen Fragen will sie sich nicht äußern, nicht jetzt. Man kann Merkel viel vorwerfen, doch Zündeln ist ihre Sache nicht. Aber es ist ihr anzumerken, dass sie schnell zurück ins Kanzleramt will, um in der brandgefährlichen Syrien-Frage zum Hörer zu greifen.

Merkel ermahnt ihr Kabinett, keine Zeit mit anderen Dingen zu verplempern

Keine vier Minuten nimmt sich Merkel Zeit, um über die Ergebnisse der ersten Klausur ihres neuen Kabinetts zu berichten. Man spürt, dass sie im dreizehnten Jahr ihrer Amtszeit solcher Rituale überdrüssig ist. Eine eindeutige Antwort auf Fragen nach Atmosphäre und Stimmung bleibt sie nach zwei Tagen des Abtastens ebenso schuldig wie die avisierte Prioritätenliste, die nun von den Ministern abzuarbeiten sei. Ein paar Kommissionsposten werden neu besetzt, der Haushalt soll bald vorliegen, der Familiennachzug zügig geregelt werden, aber das war ja eh klar. „Das Ziel der Klausur war nicht, eine detaillierte Vorhabenplanung zu diskutieren“, sagt Merkel, Ziel sei vielmehr gewesen, „Arbeitsfähigkeit herzustellen“ – nicht eben ein besonders ehrgeiziger Plan.

In Meseberg ist zu spüren, dass hier wohl nicht noch einmal zusammenwächst, was nicht zusammengehört. Bestenfalls werden die zur Partnerschaft Zwangsverpflichteten nicht aufeinander losgehen. Zum Streit der vergangenen Wochen sagt Angela Merkel nichts. Auf den Tisch hauen, wie dies die designierte SPD-Chefin Andrea Nahles jüngst von ihr forderte, ist ihre Sache nicht. Wohl aber ermahnt sie ihr Kabinett, sich an die Arbeit zu machen und die Zeit nicht mit anderen Dingen zu verplempern. „Die Atmosphäre war dergestalt, dass alle entschlossen sind, sich den Aufgaben, die sich aus dem Koalitionsvertrag ergeben, auch künftig zu stellen“, sagt sie. Jeder habe „genug Arbeit, da bleibt nicht viel Zeit für anderes“. Soll heißen: Klappe halten, Ärmel hochkrempeln, anständig regieren. Und das geht ihrer Meinung nach am besten dadurch, dass bei allen parteitaktischen Profilierungsdebatten der Informationsaustausch zwischen den Ministerien intern geregelt wird. Ein klarer Fingerzeig Richtung Innenminister Seehofer, dessen Ideen zum Familiennachzug auffällig zügig das Licht der Öffentlichkeit erblickten.

Das unionsintern „Spahnhofer“ getaufte Lautsprecherduo inst erstaunlich leise

Das unionsintern bereits „Spahnhofer“ getaufte Lautsprecherduo ist in Meseberg erstaunlich leise. Jens Spahn hat sich, wie Teilnehmer berichten, überhaupt nicht in großer Runde zu Wort gemeldet. Horst Seehofer hat allein zu seinen innenpolitischen Themen gesprochen und sonst nur die gute Stimmung und das große Einvernehmen gelobt. Einige spitze Bemerkungen muss er sich gleichwohl anhören. Als der Kabinettsgast Ingo Kramer für die Arbeitgeberseite über einen höheren Frauenanteil in Führungspositionen spricht, entfährt es einem der anwesenden Minister, dass man sich in dieser Frage vielleicht weniger um die deutsche Wirtschaft und mehr um das Bundesinnenministerium kümmern müsse, dessen kompletter Leitungsstab aus Männern bestehe.

Es ist dies die sechste Zusammenkunft dieser Art unter Merkels Leitung in dem hübsch hergerichteten Barockschlösschen in Brandenburg, dem Gästehaus der Bundesregierung, 70 Kilometer nördlich Berlins gelegen. Stets ging es dabei auch darum, ob man denn miteinander könne in den so unterschiedlichen Konstellationen. Mit den Vizekanzlern Franz Müntefering, Frank-Walter Steinmeier, Guido Westerwelle hat sie um ein Bild der Einigkeit hier gerungen, zuletzt mehrmals mit Sigmar Gabriel. Der ist nicht einmal mehr Zaungast, nur noch einfacher Abgeordneter. Die Welt dreht sich, alles ändert sich. Merkel bleibt. Aber sie spürt: Immer weniger in ihren eigenen Reihen setzen darauf, dass diese stattliche Serie eine Fortsetzung findet. Zugegeben, ihre Regierungsführung hatte sie noch nie zur ersten Anwärterin auf die Ruhmeshalle deutscher Politrocker vom Schlage Gerhard Schröders oder Joschka Fischers aufrücken lassen, aber so viel Ermattung wie in Meseberg war selten.

Olaf Scholz verkündet nüchtern: „Teambildung gelungen, der Rest kommt jetzt“

Was allerdings auch an Vizekanzler Olaf Scholz liegt, der wie versteinert neben ihr steht und noch weniger sagen will. Vor vier Jahren trat an seiner Stelle Sigmar Gabriel auf, bestens gelaunt, kraftstrotzend, auf dem Höhepunkt seiner politischen Schaffenskraft, der Chef einer SPD, die sich damals noch am Erfolg der Koalitionsverhandlungen berauschen konnte, weil Gabriel einen Koalitionsvertrag in der Tasche hatte, der stellenweise eine Abschrift des SPD-Wahlprogramms war. Scholz hat es hingegen mit einer SPD auf der Suche nach sich selbst zu tun, schlechte Laune inklusive. „Teambildung gelungen, der Rest kommt jetzt“, sagt Scholz mit einer Nüchternheit, die so überhaupt nichts vom „Aufbruch“ hat, der im Titel des gemeinsamen Koalitionsvertrages steht.

Und auch dieses „Teambuilding“ – vor dem geistigen Auge erscheinen Hochseilgärten, Floßfahrten und Lagerfeuerabende – passt irgendwie zu einer großen Koalition, der Lust und Leidenschaft bis jetzt abzugehen scheinen. Ein Abendessen ohne feste Sitzordnung muss genügen, damit es in Zukunft vielleicht auch menschlich einmal passt. Eine Art ministerielles Speeddating soll gegenseitiges Verständnis fördern. Mehr aber hat Meseberg nicht zu bieten. „Wirklich inspirierend war die Klausur nicht“, sagt ein Kabinettsneuling, „es ging meist sehr nüchtern um die Sachfragen.“ Die Ausführungen von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sind ohnehin todernst – und es ist dieses CDU, CSU und SPD einigende Bewusstsein, dass Deutschland und Europa in dieser besonders verworrenen Weltlage nun eine Rolle zu spielen haben, aus dem am ehesten so etwas wie „Korpsgeist“ entsteht, wie eine Ministerin resümiert.

Zum Meseberger Himbeergeist hat Merkel „keine Informationen“

Immerhin ist es dann doch spät geworden. Ein Kabinettsmitglied erzählt, um kurz nach ein Uhr die Segel gestrichen, zu diesem Zeitpunkt aber noch einen ziemlich vollen Saal erblickt zu haben. „Ich kann nur von später Stunde und Rotwein berichten“, antwortet Merkel auf eine Frage nach dem Meseberger Himbeergeist, der dank Gabriel 2014 zu größeren Ehren gekommen ist. Dazu hat die Kanzlerin dieses Mal „keine Informationen“, aber „gesellig“ und „entspannt“ lauten die Adjektive, die benutzt werden, um den für die Zukunft dieser Bundesregierung nicht ganz unwichtigen bunten Abend zu beschreiben. Einen der größten Lacher hat Merkel produziert, als sie endlich das Büfett eröffnet – ausgerechnet auf Geheiß von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, der so viel Hunger nicht unbedingt zugetraut wird. Aber ob das alles Kitt liefert für dreieinhalb Jahre? Der Ausflug nach Meseberg hat diese Frage nicht beantwortet.