Da durften die vier Rapper noch unbeschwert auftreten: Die Orsons im Oktober 2019 in der Stuttgarter Porschearena Foto: Lichtgut/Christoph Schmidt

Mal high, mal melancholisch, mal dreckig, mal albern: Das Stuttgarter Rap-Quartett Die Orsons stellt seine neue CD auf dem Kulturwasen vor. Warum das Album gerade jetzt richtig gut tut.

Stuttgart - Auf ihrer letzten Tournee haben Die Orsons einfach mal ihre neue Platte „Tourlife4Life“ geschrieben. Und wenn schon nicht bei einem normalen Konzert, stellt das Stuttgarter Rap-Quartett seine neuen Songs an diesem Freitagabend vor Autos und Liegestühlen auf dem Kulturwasen vor.

Die Orsons sind mehr als die Summe ihrer Teile. Maeckes, Bartek, Tua und Kaas, jedes Viertel dieses Quadrats tobt sich immer wieder munter solo aus. Wenn sie zusammenfinden, entsteht jedoch immer mehr als nur eine Mischung dieser vier dezidiert unterschiedlichen Künstlerwirklichkeiten. Es ist der Wahnsinn zwischen den Zeilen, der unbelehrbare Schalk sicherlich auch, der Die Orsons auszeichnet, der sie klar abhebt von anderen Rap-Crews. Es ist aber eben auch dieses ganz besondere, endlos geflochtene Band zwischen den vier Akteuren, das einen Orsons-Song – ganz gleich, ob Rap, Trap, Elektro oder Pop – sofort als einen solchen erkennbar macht. Ein bisschen wie bei John Lennon und Paul McCartney also.

Doch dieses Band schien beinahe durchtrennt. Bevor sich das auf Stuttgart und Berlin aufgeteilte Quartett erst voriges Jahr mit „Orsons Island“ stark, überbordend und philosophisch zurückmeldete, stand hinter der Zukunft der Band ein riesiges Fragezeichen. „What’s Goes“, dieses fast schon dadaistische Hip-Hop-Manifest von 2015, lag da schon lang zurück, der Schwung war raus. Das Ende? Nicht mit den Orsons! Kurzerhand fuhren Maeckes, Bartek, Tua und Kaas auf die Kanarischen Inseln, machten Urlaub und Musik, fanden wieder zusammen und kamen beseelt zurück. So beseelt sogar, dass man auf der Comeback-Tour zu „Orsons Island“ mal so eben das nächste Album schrieb – vor und nach den Konzerten, im Nightliner, in Hotelzimmern.

Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt

Es erscheint an diesem Freitag und trägt den Namen „Tourlife4Life“. Ein Loblied für das Leben auf Tour also, für diese endlose Klassenfahrt von Stadt zu Stadt. Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt: Das Hamsterrad der aktiven Musiker. Ausgerechnet in dieser Zeit der abgesagten Konzerte und Festivals erscheint es, wird dadurch fast schon zum Fanal.

Auch Bartek entgeht das nicht. „Natürlich ist es ganz besonders ironisch, doch gerade deswegen wird das Oberthema des Albums noch mal auf ein ganz anderes Level gehoben“, gibt er im Hintergarten einer Kneipe im Stuttgarter Westen zu bedenken. „Plötzlich wirkt alles, worüber wir singen, wie ein Relikt aus alten Zeiten, in denen es noch richtige Tourneen gab. Es kann sich doch schon jetzt niemand mehr vorstellen, in einem Moshpit dicht an dicht durchzudrehen. Unser Album ist da jetzt irgendwie wie ein Museum.“

„Wir verstehen uns so gut wie nie“

Ebenso wie man für „Orsons Island“ das Heil auf einer Kanarischen Insel suchte, begriff man die Tournee durch 14 Städte jetzt als Insel-Hopping der urbanen Art. „Wir müssen gar nicht weit weg auf eine Insel fliegen, um gemeinsam kreativ zu sein“, stellt Bartek fest. „Zusammen in einem Bus klappt das ebenso gut. Jeder hatte seinen Laptop dabei, wir haben uns im Tourbus ein kleines mobiles Studio eingerichtet und eigentlich in jeder freien Sekunde Musik gemacht. Teilweise haben wir bis kurz vor den Auftritten Musik gemacht. So haben wir noch nie gearbeitet. Früher haben wir eigentlich immer nur gesoffen und gefeiert.“

Das, so versichert er gleich, gebe es immer noch. Die Dosis sei einfach eine andere. „Es müssen ja auch nicht immer alle vier Musik machen“, meint er. „Wir können ja zu dritt saufen und Tua arbeitet weiter,“ sagt er, „Oder Tua säuft und wir drei arbeiten.“ So sei zum Beispiel der fiebrig-klickende Track „Energie“ entstanden.

Spontaner und unmittelbarer klangen die Orsons vielleicht nie

Dem Album tut das gut. Es ist echt, direkt, wie frisch von Fertigungsband gelaufen. Spontaner und unmittelbarer klangen die Orsons vielleicht nie. Abwechslungsreicher auch nicht, mal high, mal melancholisch, mal dreckig, mal albern. „Niemand wusste, dass da gerade ein Album entsteht“, betont Bartek. „Doch irgendwann Anfang des Jahres stellten wir fest, dass wir um die 16 Songs über die Tour, über uns und das Leben geschrieben hatten. Wir suchten uns die besten davon heraus, und die bilden den Alltag und die Stimmungen auf Tour perfekt ab. Es ist also weniger ein Konzeptalbum als ein Tagebuch unseres Lebens auf Tour.“

Und damit, betont er, auch universell zu rezipieren. „Wir sind ja alle immer irgendwie auf einer Reise hier auf diesem Ball, der durchs Universum fliegt. Wir sind alle auf Tour.“ So eine Tour, die sei bei den Orsons und ihrer getreuen zehnköpfigen Crew zwar vor allem das Eintauchen in eine Blase, in der schon nach einem Tag kein Außenstehender auch nur ein Wort verstehe.

Weltfremd und abgeschottet geht es aber nicht zu: „Oioioiropa“ ist der vielleicht politischste Song, den die vier je veröffentlicht haben. Mit einem Schopenhauer-Zitat über die Dämlichkeit des Nationalstolzes, musikalischen Versatzstücken aus der Europa-Hymne „Ode an die Freude“ und einem Bekenntnis zu den eigenen Privilegien als deutsche weiße Männer. Bartek lächelt still: „Wir wollten zeigen, dass wir auf Tour nicht nur Party machen, sondern auch mal die Zeitung lesen.“ Typisch Orsons: Einfach mal ein Understatement raushauen, wenn sowieso jeder weiß, dass sich diese vier schlauen Köpfe viel mehr Gedanken übers Weltgeschehen machen als die meisten anderen.