Hans-Christoph Rademann, Werner Güra und das JSB-Ensemble in der Stiftskirche Foto: Schneider

Johann Sebastian Bach machte bei den vier Bearbeitungen seiner Passionsmusik nach dem Johannesevangelium das Experiment zum Prinzip, und so klang zu Beginn des Musikfests auch die zweite Fassung des Stücks unter der Leitung von Hans-Christoph Rademann.

Stuttgart - Immer wieder neu denken, neu formulieren, aufhören, streichen, von vorne beginnen: Während Bach seine Matthäuspassion nach ihrer Vollendung unangetastet ließ, blieb seine Johannespassion zeitlebens eine Baustelle. Vier Fassungen des Stücks sind überliefert, und Bachs eigene Abschrift, in der man die Änderungen nachverfolgen kann, bezeugt, dass dieses Stück für den Komponisten nie ein fertiges Werk war, sondern Spielvorlage – eine ewige Herausforderung.

Als Hans-Christoph Rademann am Donnerstagabend in der Stiftskirche das Musikfest Stuttgart mit der nur selten aufgeführten zweiten Fassung der Johannespassion von 1725 eröffnete, konnte man das Experimentelle auch deshalb sehr gut hören, weil der Leiter der Internationalen Bachakademieden Gedanken des Klanglabors auf- und ernst nahm. So wie er im März am selben Ort die h-Moll-Messe mithilfe unterschiedlicher Besetzungen neu beleuchtete, hat Rademann jetzt auch die dramatischere der beiden Bach-Passionen als Experimentierstück verstanden – und so das Akademische, das seine Institution im Titel trägt und dem sie immer wieder mit Veröffentlichungen Rechnung trägt, durch eine Art praktischer Musikwissenschaft bereichert.

Im JSB-Ensemble singen Musiker aus zwanzig Nationen

Das beginnt schon beim Ensemble: Auf der Empore befindet sich jetzt nicht die mit alten Instrumenten ausgestattete und in historischer Stilistik agierende Gaechinger Cantorey, sondern eine multinationale Truppe von Nachwuchsmusikern, die sich Junges Stuttgarter Bach-Ensemble (JSB-Ensemble) nennt. Aus etwa zwanzig verschiedenen Ländern sind die Bach-Azubis nach Stuttgart gekommen, um hier zu lernen, was Bach bedeutet und wie er klingen kann. Sie sind keine Alte-Musik-Profis, und sie sind nicht fertig, sondern auf dem Weg – was die Tatsache einschließt, dass dieser zuweilen noch etwas holprig wirkt.

Die Tücken der Akustik

Immer wieder hört man das Orchester tatsächlich ein wenig straucheln. Das ist schon zu Beginn so: Da schleppen die Flöten, da kommt man nicht recht auf den Punkt, das fusselt alles etwas aus, und beim Eingangschor, der in der zweiten Fassung der Passion nicht das „Herr, unser Herrscher“ ist, sondern ein Choralsatz („O Mensch, bewein dein Sünde groß“ – später stellte Bach diesen Satz an das Ende des ersten Teils seiner Matthäuspassion), scheint sich zwischen Sängern und Instrumentalisten ein riesiger Graben aufzutun. Ähnliches gilt unter anderem für die Vorspiele zu den Arien „Von den Stricken meiner Seele“ mit den sich sprechend umeinander windenden zwei Oboen, für das Basssolo „Eilt, ihr angefochtnen Seelen“ wie für das hochvirtuose Tenor-Stück „Zerschmettert mich“.