Claus Kleber sieht die öffentlich-rechtlichen Nachrichten im Aufwind. Foto: dpa

Das „heute journal“ ist Deutschlands wichtigstes Nachrichtenmagazin. Jetzt wird auch noch die Sendezeit verlängert. Ein Redaktionsbesuch am Mainzer Lerchenberg bei einem erstaunlich legeren Claus Kleber.

Mainz - Das Herz der Erleuchtung kann ziemlich finster sein. Der Wolkenkratzer jedenfalls, den das ZDF einst in den Mainzer Lerchenberg rammen ließ, war 1974 womöglich modern. Heute ist der wuchtige Sitz von Deutschlands wichtigstem TV-Magazin architektonisches Mittelalter – äußerlich gesehen. Wer den Blick jedoch durch Wulf Schmieses Bürofenster ins Freie schweifen lässt, könnte das Betonmonster drumherum glatt vergessen.

Schon vom zweiten Stock aus schaut man tief ins Rheinhessische, wo sich zwölf Etagen höher gar Frankfurts Skyline zeigt. So hässlich das Sendezentrum auch ist: wenn der Chef des „heute journals“ von hier aus die Welt betrachtet, spürt er Bedeutung, Weite, Erhabenheit – alles Zutaten des neuen, alten Selbstbewusstseins einer unverwüstlichen Nachrichteninstitution.

Ausbau statt Krise

Gut 40 Jahre nach der Premiere erfreut sich Schmieses Format schließlich nicht nur solider, sondern steigender Beliebtheit. „Wir haben die größte Reichweite seit 1995“, jubelt der Redaktionsleiter an einem sonnigen Tag dieser finsteren Ära. Neun von zehn Deutschen sähen mindestens einmal im Jahr zu, vier Millionen seien es pro Folge. Und nun wird auch noch die Laufzeit verdoppelt, wenngleich nur sonntags. Ausgerechnet da hatte die Sendung bloß 15 statt 30 Minuten.

Ein Ausbau, während alle Welt von Medienkrise spricht – aus Sicht des Hauptverantwortlichen „ist das ein echtes Statement“. Oder, wie es sein Starmoderator Claus Kleber ausdrückt: „Mit der Entscheidung gegen den Strom belegen wir, dass das Gerede vom absteigenden Ast, auf dem sich öffentlich-rechtliche Medien angeblich befinden, nicht stimmt.“

Loben und streiten

Wie Kleber das im Gespräch sagt, wirkt er noch ein wenig entspannter als gewohnt. Am Nachmittag vorm Live-Einsatz hockt er mit schiefem Scheitel überm legeren Pulli unter 15 Kollegen der finalen Teamsitzung und lacht. Und streitet. Und scherzt. Und hadert. Und lobt. Und ist damit offenbar ganz in seinem Element. Weil engagierte Debatten besser zeigen als ruhige, „wo der interessante Kern einer Geschichte liegt“, erklärt er später in seinem verblüffend schlichten Kabuff, „provoziere ich in der Konferenz gern Widerspruch“. Gesittet streiten, um gut zu informieren: ein Nachmittag im lichtdurchfluteten Herz informationeller Grundversorgung verdeutlicht gut, wie öffentlich-rechtlich Wissen vermittelt wird.

Macron, Merkel und Ungarn, China, Autos oder Fußball – die Themen des Tages sind seit langem nachrichtlicher Mainstream. Trotzdem herrscht bei den Herolden mitunter angespannte Stimmung. Denn bevor in exakt paritätischer Runde mal wieder selbstgebackener Geburtstagskuchen verteilt wird, geht es um Gewichtung, Platzierung, Betonung, aus Sicht von Außenstehenden also um Kleinigkeiten. Der 1955 in Reutlingen geboreneClaus Kleber meint: es geht ums Ganze. „Wir sind das Schaufenster der Nachrichtenrelevanz“, bügelt er ein Politikthema ab und fordert stattdessen mehr Gewicht auf einen Beitrag zur Computerspielsucht. Elektromobilität sieht Kleber am Beginn der Sendung, Macrons Europa-Rede, falls überhaupt, weit dahinter, eine schlecht belegte HIV-Heilung gar nirgends.

Kein Vetorecht

Um 21.45 Uhr steigt er – sorgsam frisiert – dann doch mit Frankreichs Präsident ein, gefolgt von postfossiler Mobilität. Immerhin fehlt die Aids-Story. Er habe halt kein Vetorecht, erklärt Kleber: „Aber ich hab noch keinen Beitrag moderiert, den ich nicht wollte“. Streitbar eben, nie zerstritten.

Wie zum Beweis der guten Atmosphäre platzt Gundula Gause nach der Konferenz auf den öden Gang und kommt so heiter ins Plaudern, als sei ihr Fernsehgesicht animiert. „Ich freue mich total über die Mehrarbeit“, schwärmt sie vom doppelten Newsblock, den sie fortan auch sonntags zwischen fünf Berichten plus Interview liest. Letzteres dürfe „auch mal mit George Clooney sein“, betont ihr Chef Schmiese. „Wer langweilt, kann nicht informieren“, ergänzt sein Star Kleber. Dann bereitet er sich weiter vor, uns die Welt zu erklären. Und das ausgerechnet an einem Ort, wo sie besonders hässlich ist.