.„Wer vor der Welt flüchten will, gehört nicht hierher“, sagt Schwester Kornelia. Foto: /Andreas Reiner

Tief im Herzen von Oberschwaben steht seit acht Jahrhunderten das Frauenkloster Habsthal. Heute leben dort noch zwei Benediktiner-Nonnen.

Die Holzdielen knarzen schon seit hundert Jahren so laut. Ein Kachelofen. Ein Bett wie aus dem Bauernmuseum. Von einem Winkel der Stuckdecke aus schaut sich ein Engelsfigürchen den Gast an. Die Gemeinschaftstoilette liegt am Ende des lang gestreckten Ganges. Kein Fernseher, kein Handyempfang. Dafür stehen ein paar Bücher zur Auswahl: „Ich höre auf die Stille“, „Ruf und Regel“, „Menschsein in Freude“.

 

Ein Willkommenszettel auf der Kommode: „Das ist hier ein Ort der Ruhe. Ein Berg zum Beten. Kein Hotel oder Pension.“ Um den achtsamen Umgang mit Licht, Wärme, Wasser wird gebeten. Wer möchte, finde hier eine geistliche Begleitung: „Suche aber nicht das zufällige Gespräch zwischen den Türen, respektiere die Zeit und die Stille der Nonnen. Du darfst dir sicher sein, dass die klösterliche Gemeinschaft dich in ihr Gebet einschließt und du auch nach deiner Abreise unter uns gegenwärtig bleibst.“

Das stattliche Kloster Habsthal hockt auf einem Buckel über dem gleichnamigen Weiler. Eine mannshohe Mauer zieht sich um das weiträumige Gelände. Die im Ort unten leben in uralten Gebäuden, teils noch aus dem 13. Jahrhundert, die früher zum Kloster gehörten und als Schmiede, Schlosserei, Schenke dienten. Oben leben zwei Nonnen: Die 87-jährige Schwester Walburga und die 57-jährige Schwester Kornelia.

Zeit der Stille

Schwester Kornelia ist Priorin und Cellerarin, Novizinnenmeisterin und Mesnerin in einem. Sie führt die Geschäfte, kümmert sich um den Haushalt, das Essen, den Einkauf – und tauscht im Alltag die steife Nonnentracht auch mal gegen eine dunkle Hose und eine Wolljacke. Sie nimmt repräsentative Aufgaben wahr, schaut nach den sieben Zimmern, führt geistliche Gespräche mit Gästen und Pilgern, wenn sie das wollen. Die meisten wollen es. „Über die Schwelle zu treten, ist oft eine kleine Überwindung. Aber dann merken sie schnell, dass hier alles ganz normal ist und sie sich öffnen können.“

Menschen, die draußen im Hamsterrad laufen, könnten hier sehen, was gesund ist und was nicht, sagt Schwester Kornelia. Durch die strenge Ausrichtung des Tages geschehe eine innere Ausrichtung. Um 6.30 Uhr ist gemeinsame Zeit der Stille, um 7 Uhr das Morgenlob. Schwester Kornelia sitzt auf einem warmen Lammfell, Schwester Walburga hat ihren Gehwagen neben sich stehen und liest mit fester Stimme aus der Bibel. Und während draußen der Raureif über den oberschwäbischen Herrgottsackern liegt, beginnt in dem kleinen Andachtsraum mit den hypnotischen Gebetsmelodien der beiden Schwestern ein neuer Tag.

Bach vom Kassettenrekorder

Die Hausglocke läutet zum Frühstück. Es gibt Brot mit Käse, selbst gemachte Marmelade, selbst gemachten Joghurt und runzelige Äpfel. Gesprochen wird nicht beim Essen, dafür läuft nebenher Bachs Johannes-Passion vom Kassettenrekorder.

Um 11.45 Uhr ist stille Zeit, 12.15 Uhr Mittagessen, 17 Uhr stille Zeit, 17.30 Uhr das Abendlob. Manchmal schauen die Schwestern danach noch einen schönen Film – neulich über einen Kletterer. Manchmal spielen sie Domino oder Memory. Meistens nutzt Schwester Kornelia die Zeit, um aufzuarbeiten, was am Tage liegen blieb. 19.30 Uhr: Nachtgebet. Danach legt sich wieder das große Schweigen über die Gänge, die Gästezimmer, die den Nonnen vorbehaltene Clausura.

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Für Schwester Kornelia ist es nicht einfach, ihr Haus am Leben zu halten. Sie erhält keine finanzielle Unterstützung von Staat, Diözese oder Orden. Jedes Kloster muss sich selber tragen. Und die Zeiten, als die Schwestern die Aussicht auf ein ansehnliches Erbe mitbringen mussten, sind lange vorbei. Die Benediktiner-Erzabtei im 30 Kilometer entfernten Beuron – als tourische Attraktion im Donautal und Wallfahrtsstätte mit Priestern, die Seelsorge anbieten – wird da großzügiger bedacht von Kirche und Land.

Kloster Habstahl firmiert als Verein. Die Schwestern leben von Pachteinnahmen, sie haben noch Schafe und Bienen, verkaufen Heilwolle und Honigprodukte im Klosterladen, um den sich Ehrenamtliche kümmern. Als es um die Sanierung des Gebäudes ging – Dachstuhl, Fassade, Fenster – kam finanzielle Hilfe vom Landesdenkmalamt. Dafür wurde eigens ein Förderverein gegründet.

Mit den Beginen fing alles an

Zurzeit wird die Mauer gerichtet, leider steht sie nicht unter Denkmalschutz. Und Schwester Kornelia würde auch gerne „energetisch eigenständig“ werden. Mal sehen, wie sie das mit der Solaranlage finanziert kriegt. Noch befeuert die alte Ölheizung das Kloster – „mit riesengroßen Leitungen aus den 20er Jahren, da geht schon auf dem Weg durchs Haus so viel verloren“. Die Boiler fressen auch viel Energie. Aber sparsam leben können die Frauen ja. „Bei aller Arbeit, das Wichtigste hier ist das Gebet.“

Im Anfang war eine Burg. Im benachbarten Mengen gab es Beginen – Frauen, die ein religiöses Leben führten ohne Ordensregeln, ohne bindende Gelübde, ohne kirchliche Aufsicht. Vielleicht mit ein Grund, warum Beginen später gern als Hexen verbrannt wurden. Mitte des 13. Jahrhunderts wurden die Mengener Beginen zu Dominikanerinnen. Sie zogen nach Habsthal und machten die Burg zu ihrem Kloster. Ein Geschenk des Grafen von Tübingen.

Überfallen von den protestantischen Schweden

„Es gab Höhen und Tiefen“, sagt Schwester Kornelia. Im Dreißigjährigen Krieg wurden sie von den protestantischen Schweden überfallen und vertrieben. Eine Zeit lang, so ist überliefert, pflegten die Frauen hier auch kein besonders sittsames Dasein. Nonnen sollen häufiger unten im Gasthaus gesehen worden sein und in der Clausura Männer empfangen haben. Aber auch davon erholte sich die Gemeinschaft wieder.

1806, im Zuge der Säkularisierung, wurde das Kloster vom Haus Hohenzollern-Sigmaringen enteignet – „man kann auch sagen ausgeplündert“, sagt Schwester Kornelia. Ein Lehrerseminar war hier untergebracht. Eine Straf- und Korrekturanstalt für Frauen und Männer – deswegen noch die Fenstergitter. Von 1870 an stand das Gebäude leer und wurde schon zum Abbruch ausgeschrieben. Am Ende siegte die geistliche Nutzung. 1891 zogen Benediktinerinnen aus Hermetschwil ein. Heute noch zählen die beiden Schwestern zur Schweizer Nonnenföderation.

1944 suchten ein paar Dutzend Offiziere vom Luftgaukommando München die ehrwürdigen Mauern heim. Die Schwestern mussten ihre Zimmer räumen und die Herren versorgen. Offenbar herrschte kein allzu vertrauensvolles Miteinander. Aus Angst, vergiftet zu werden, befahlen die Nazis: Eine Nonne muss immer mit ihnen am Tisch essen. Neulich ist wieder irgendwo eine alte Tasse mit Hakenkreuz aufgetaucht.

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Zwischen den Weltkriegen lebten hier mehr als 60 Schwestern, und die Clausura streckte sich bis in den Dachstuhl. In den 70er Jahren waren es noch 30 Schwestern. Jetzt ist das Nonnen-Duo übrig. Schwester Kornelia und Walburga sind noch immer per Sie.

Früher fertigten die Nonnen Messgewänder, Altarstickerei und allerlei Kirchengewebe. Heute bügelt Schwester Walburga noch für eine Kirchengemeinde und näht die Sachen fürs Haus. All die Nähmaschinen sind mit Leintüchern verhangen, nur die alte Singer wird noch in Schwung gehalten.

Schwester Kornelia kommt aus dem Nordschwarzwald. Aufgewachsen im katholischen Donaueschingen, religiös erzogen, als Kind und Jugendliche heimisch in der Stephanusgemeinschaft. Nonne zu werden, daran hatte sie damals nie gedacht. Irgendwie kamen ihr die Benediktiner aber immer wieder nahe. Beim Studium der Sonderschulpädagogik lernte sie eine junge Frau kennen, die ins Kloster ging. Neben dem Wohnheim war ein Ordenskolleg, wo sie die Messen feierte. 1993, nach ihrem Referendariat, wurde sie selbst Benediktinerin. Das Kloster konnte sie sich aussuchen. Sie wollte nicht so weit weg von der Heimat. Und von Habstahl ging eine Kraft aus, sagt sie.

Ein Spiegel dieser Welt

Es war keine leichte Entscheidung. Lange hatte sie sich ein Familienleben gewünscht. Ehefrau und Mutter sein. „Zunächst mal vor der Berufung davonzurennen, ist normal“, sagt sie. Wenn eine mit wehenden Fahnen ankommt und ihr entgegen schmettert, dass sie berufen sei, ist Schwester Kornelia schon mal sehr skeptisch. Wer berufen sein könnte, dafür habe sie inzwischen ein Auge, sagt sie.

Viele schaffen es nicht, sich in die Gemeinschaft einzuleben. Manche halten die Gebete nicht aus. „Im Gebet werden wunde Punkte sichtbar“, sagt Schwester Kornelia. „Ein Kloster braucht Frauen, die geistig gesund und verantwortungsbewusst sind. Wer vor der Welt flüchten will, gehört nicht hierher, die Probleme draußen gibt es auch im Kloster. Wir sind ein Spiegel dieser Welt.“ Bei Männerklostern gebe es heute wieder einen ganz leichten Trend nach oben. „Die Frauen müssen vielleicht erst noch einiges gesellschaftlich nachholen und sich selbst verwirklichen – bis sie es dann auch irgendwann wieder tiefer versuchen wollen.“

Früher war sogar ein Spaziergang außerhalb des Klosters verboten

Schon als junge Nonne stieß sie Veränderungen an. Die riesengroße Küche – viel zu unwirtschaftlich. So wurde die kleine Teeküche zur neuen Küche. Natürlich sahen die alten Ordensdamen in jedem kleinen Wandel zunächst ein großes Problem.

Früher war nicht mal ein Spaziergang außerhalb der Klostermauern erlaubt. Schwester Kornelia erkämpfte sich mehr Freiheiten. Sie braucht ihren Auslauf. „Frische Luft tut mir gut und erdet.“ Oder mal nach Hause fahren zu den Eltern. Oder mal schwimmen gehen in Pfullendorf.

Sie übernahm vor zwölf Jahren, als Schwester Walburga aus Altersgründen ihr Amt als Priorin abgab, die Klosterleitung. Es war keine große Überraschung, dass die geheime Wahl auf sie fiel. Von den noch verbliebenen fünf Schwestern war sie die einzige unter 70. In den vergangenen Jahren starben sie fast alle weg, jetzt muss Priorin Kornelia die Benedikt-Regeln nur noch für sich und Schwester Walburga auslegen.

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Manchmal wäre es schön, wenn es jemanden gäbe, mit dem sie alles besprechen könnte. So ist sie halt allein mit ihren Entscheidungen. Was sie braucht, das kommt – diese Erfahrung hat sie gemacht. „Die Sanierung traute uns keiner zu, aber dann half uns das Denkmalamt.“ Für sie auch ein Zeichen, dass sie die Stellung halten soll. Ob sich vielleicht doch noch eine Novizin findet, die bleibt und das Haus in die Zukunft führt?

Eine Benediktinerin ist lebenslang an ihr Kloster gebunden. Schwester Kornelia hat in Rom zwei Jahre Logotherapie und monastische Theologie studiert. Für kurze Zeit war sie auch mal in einem französischen Kloster: „Aber das Innerste kann man nicht so gut in einer Fremdsprache ausdrücken, und im geistlichen Leben geht es nun mal oft um das Innerste.“ Sie gehört hierher. Noch sei es kein allzu großer Kampf – „es passt schon“. Noch merkt sie nicht, dass ihr die Arbeit ernsthaft an die Gesundheit geht. „Und die Schulkameradinnen draußen haben es in ihren Jobs ja auch nicht einfacher.“

„Mein Sinn im Leben“

Wenn es zu Ende gehen sollte mit dem Kloster, will sie alles daransetzen, dass nicht ein Hotel oder ähnliches daraus wird. „Das ist ein geistlicher Ort. Die Leute brauchen solche Orte. Leider machen immer mehr Kirchen zu. Und mit jeder Kirche gibt es einen Ort weniger, um zu heilen.“ Sie schaue nicht groß voraus: „Wenn ich hier wirklich fortgehen muss, wird sich ein Weg auftun.“

Was ist ihr der Glaube? „Mein Herkommen und Hingehen. Mein Sinn im Leben. Die Richtlinien, die mir an die Hand gegeben werden“, sagt Schwester Kornelia. Draußen in der Welt spiele diese Gewissheit eine immer unbedeutendere Rolle. „Die Menschen entfernen sich von Gott. Sie denken, sie brauchen ihn nicht mehr.“ Die Kirche sei auch in keiner guten Verfassung: „Sie wird immer mehr zum Verwaltungsapparat, der Geld und Einfluss vor die Inhalte stellt. Kirche muss aber zeigen, wie man eine Gottesbeziehung aufbaut. Wie man betet.“