Michael van Gerwen nennt sich „Mighty Mike“ – und ist der WM-Topfavorit. Foto: Getty Images Europe

Die fünfte Jahreszeit des Sports beginnt: In London startet am Donnerstag die Darts-WM – mit dem Niederländer Michael van Gerwen als dem Topfavoriten. Aber auch die deutsche Hoffnung Max Hopp ist am Start.

Stuttgart - Wenn es um Ausnahmesportler geht, fragt man doch am besten einen Ausnahmesportler – zum Beispiel Ronnie O’Sullivan, den größten Snooker-Spieler der Geschichte. Also, Mister O’Sullivan: wer ist der beste Sportler der Welt? „Es ist sehr eng zwischen van Gerwen und Bolt. Michael und Usain sind zwei der besten Jungs im weltweiten Sport. Aber van Gerwen ist unglaublich, ich glaube er ist der beste Sportler“, antwortete er.

Michael van Gerwen, 27, Darts-Profi.

Ein Bolt mit Pfeilen. Am Donnerstag beginnt in London die WM (bis 2. Januar). Es ist die fünfte Jahreszeit des Sports. Ein von Jahr zu Jahr beliebter werdendes Event von Präzisionskünstlern in Bierzeltatmosphäre. Michael van Gerwen ist der König dieser Künste. Der Niederländer sagt: „Manchmal fühle ich mich unschlagbar.“

Michael van Gerwen hat in diesem Jahr 25 Turniere gewonnen, darunter neun Major-Veranstaltungen, er hat 1,5 Millionen Pfund an Preisgeld verdient (1,8 Millionen Euro), und wer bei den Buchmachern 10 Euro auf einen WM-Sieg von Michael van Gerwen setzt, bekommt im Erfolgsfall nur 17 Euro zurück. Hinter dem Niederländer rangiert bei den Wettanbietern der Titelverteidiger Gary Anderson – für den gibt es bei 10 Euro Einsatz 75 Euro raus. Welten trennen die beiden, selten gab es bei der WM einen so eindeutigen Favoriten im „Ally Pally“. „Er war ein Monster über die vergangenen Jahre“, sagt Gary Anderson.

Michael van Gerwen ist nicht unbedingt der beliebteste Spieler bei den Fans. Viele Zuschauer mögen sein extrovertiertes Auftreten nicht. Nach guten Würfen erinnert er ein bisschen an die Comic-Figur Hulk, aber es ist seine Art, mit dem Druck auf der kochend heißen Bühne bei Temperaturen von mehr als 50 Grad (wegen der Scheinwerfer) umzugehen. Er lässt Dampf ab.

Ein Mix aus Tempo, Präzision und Emotion

MvG steht für Tempo. Er verkörpert das, was die Zuschauer (auch in Deutschland) so fasziniert. Das Tempo. Die Präzision. Die Emotion. Der Niederländer steht für brachiales Heavy-Metal-Darts. Er hämmert die drei Darts in sechs Sekunden Richtung Scheibe. Tak-Tak-Tak. Darts-Stakkato. Anders als die im Feld (und bei den Zuschauern) nicht gerade beliebten Tempo-30-Werfer wie etwa der sehr starke Österreicher Mensur Suljovic oder ein Justin Pipe mit ihrem Slowmotion-Stil – die auf die Darts-Party im „Ally Pally“ deeskalierend wirken. Taaaak-Pause-Taaak-Pause-Taaak. Darts-Legato.

Aber zurück zu „Mighty Mike“, wie sein Kampfname lautet. Seine Leistungen haben dazu geführt, dass diskutiert wird, inwieweit seine Dominanz dem Sport guttut: Wenn ohnehin klar ist, wer gewinnt, wer will das dann noch sehen? Dem von der PDC mit dem Marketing-Guru Barry Hearn an der Spitze perfekt präsentierten Produkt Darts schadet das – oder zumindest könnte es schaden, wenn es auf Dauer so sein sollte, befürchten manche Beobachter. Andererseits: in den oftmals auch eher einseitigen Jahren unter der Ein-Mann-Supermacht Phil Taylor ist Darts erst zum Multi-Millionen-Pfund-Spiel geworden. Und: van Gerwen dominiert die Tour schon seit einigen Jahren, bisher hat es aber „nur“ zu einem WM-Sieg gereicht (2014).

Als Kind wurde van Gerwen gemobbt

Der Niederländer kommt aus einfachen Verhältnissen, der Vater LKW-Fahrer, die Mutter arbeitet in einer Kantine. Geld, so hat er mal erzählt, hatten sie nicht viel. In jungen Jahren kickte van Gerwen, „aufgrund meines Körperumfangs wurde ich als Abwehrspieler eingesetzt. Ich war grottenschlecht“. Auch abseits des Platzes hatte er zu kämpfen (und kämpfte auch wortwörtlich): „Ich wurde gemobbt, weil ich dick war. Das hat mich schwer getroffen, und ich wusste mir damals nicht besser zu helfen, als zuzuschlagen und mir so vermeintlich Respekt zu verschaffen. Heute weiß ich natürlich, dass körperliche Gewalt keine Lösung ist. Aber damals ging es nicht anders. Irgendwann wurde ich in Ruhe gelassen“, sagte er „Spiegel Online“.

Mit zwölf warf er die ersten Pfeile, das Talent war unübersehbar, er wurde immer besser – und er wurde respektiert. Nach der Schule machte er noch eine Ausbildung zum Fliesenleger. Über van Gerwen kursiert aus dieser Zeit die Geschichte, dass er einst bei der niederländischen Fußball-Ikone Dennis Bergkamp im Haus die Fliesen verlegte, damals, als van Gerwen noch kein Geld mit Darts verdiente. Die Geschichte hält sich – stimmt aber nicht. „Es war nur das Nachbarhaus, und ich habe ihn nicht mal gesehen.“ Heute ist van Gerwen in den Niederlanden selbst ein Star.