Der Abgang einer Legende: Phil Taylor Foto: Getty

Goodbye, Phil Taylor. Der legendäre Darts-Star hat mit einer Niederlage im WM-Finale seine große Karriere beendet. Drei Jahrzehnte hat der Engländer diesen Sport geprägt und groß gemacht. Eine Würdigung.

London - So also endet es. Mit einem erfolgreichen Wurf auf die Doppel-16. Es war der letzte Wurf des Abends im Finale der Darts-WM, er kam von Rob Cross, einem 27-jährigen Engländer. Das Spiel ist aus. 7:2. Ein Schuss mitten ins Herz. Sieg über Phil Taylor, 57. Manchem Fan im Alexandra Palace zu London, muss es vorgekommen sein, als habe soeben einer Bambi erschossen.

Der König ist tot. Es lebe der König.

Wenig später stehen sie gemeinsam um die WM-Trophäe. Der ewige Weltmeister Taylor und sein designierter Nachfolger Cross, der sich größte Mühe gab, Phil Taylor an dessen letzten Abend den gebührenden Respekt für dessen Lebenswerk zu erweisen. Taylors Karriere ist zu Ende. Die von Cross beginnt. Welch symbolträchtiges Finale. „Es war eine fantastische Karriere. Barry Hearn hat mich gefragt, ob ich noch weitermache, aber es reicht“, bekräftigte „The Power“.

Phil Taylor ist dann mal weg.

Niemand hatte ihn ja hier auf der Bühne erwartet, nicht mehr am 1. Januar 2018, dem Tag des Endspiels. Natürlich musste man ihn auf der Rechnung haben, aber doch nicht fürs Finale, da waren sich die meisten einig, dafür würde es zum Abschluss nicht mehr reichen. Denkste. Favorit um Favorit ging Runde um Runde verloren, Taylor startete mäßig, war dann aber da, als es darauf ankam. Ganz der Darts-Kannibale der er immer war, nutze er die Chancen, die sich im boten.

Gegen Rob Cross hatte er keine. Ein „mismatch“, sei das gewesen, gestand er danach selber. Er war beileibe nicht schlecht, aber der 27-Jährige war bei seiner ersten (!) WM atemberaubend gut. „Rob ist wie ich vor 25 Jahren“, gab sich Taylor als fairer Verlierer.

Es war Phil Taylor nicht vergönnt, mit dem größten denkbaren Triumph abzutreten. Als Sieger. Der ewige Gewinner geht mit einer Niederlage. Ein bisschen wie Usain Bolt, der in seinem letzten Rennen, der WM-Staffel in London in diesem Sommer, auf der Ziellinie lag, verletzt, traurig, enttäuscht. Ein Ende, wie es die Großen eigentlich nicht verdient haben. Phil Taylor geht mit einer Niederlage, aber nicht als Verlierer – zumal er ja auch noch besser abschnitt als die Experten prognostizierten. „Es wird nie wieder einen wie ihn geben“, sagte Weltmeister Cross.

In Erinnerung behalten wird man den 57-Jährigen als jenen Mann, der Darts groß gemacht hat und diesen Sport geprägt hat wie kein anderer – und wie keiner nach ihm, das kann man so festhalten.

Barry Hearn, der im Zusammenspiel mit Taylor aus einem versifften Kneipensport eine Multi-Millionen-Dollar-Hochglanzprodukt gemacht hat, das trotzdem nicht steril wirkt, sagt: „Ich kann mich an keine Legende des Sports erinnern, die über drei Jahrzehnte dominiert hat. Tiger Woods war für eine gewisse Zeit unbesiegt. Roger Federer war für eine gewisse Zeit unschlagbar, Steve Davis und Stephen Hendry im Snooker ebenfalls. Große Boxer wie Chris Eubank mit seinen 19 Titelverteidigungen. Aber das war zwischen fünf und zehn Jahren. Das sind Legenden – und Taylor hat das dreimal so lange geschafft. Man muss vor ihm den Hut ziehen. Er ist ein einzigartiger Sportsmann.“

Wobei letzteres eventuell nicht jeder unterschreibt. Aber dazu später mehr.

Den Abgesang auf ihn gibt es ja schon länger – und Phil Taylor hat sich den Song für seinen Abgang im Alexandra Palace gewünscht. So also erklingen diese Töne an Montagabend im „Ally Pally“, die für ihn gedichtet scheinen. Die britische Rockband Coldplay hat ihn bereits 2008 geschrieben, diesen Ohrwurm „Viva la Vida“, der so gut passt zu der Geschichte, die dem größten Sportler der Dartshistorie in jenen Jahren widerfahren ist. Der Song ist das Requiem auf einen König, der die Welt das Fürchten gelehrt hat, der die Angst in den Augen seiner Widersacher sehen konnte, wie Chris Martin von Coldplay singt. Nie ist Phil Taylors Gefühlslage besser beschrieben worden, diese Götterdämmerung des 16-maligen Darts-Weltmeisters, als mit der simplen Textzeile „I used to rule the World“. Es klingt wie der Soundtrack zum Abgang. „Das ist mein Song“, sagte Phil Taylor damals: „Ich war es gewohnt, die Welt zu beherrschen.“

Der Mann, der Niederlagen hasste

Nun ist das Jahr 2017, und jener König, der damals bereits totgesagt wurde, sich aber eindrucksvoll zurück kämpfte und Darts-Weltmeister 2009, 2010 und noch einmal sensationell 2013 wurde sowie bei seinem letzten Turnier das WM-Finale, tritt wirklich ab. Nach 16 WM-Titeln. Mehr als 200 Turniersiegen. Mehr als neun Millionen Euro Preisgeld. Weil die Darts-Welt ihm nicht mehr Untertan ist. Der 1. Januar 2018 ist also sein letzter Arbeitstag gewesen – auch wenn Taylor, ganz der Geschäftsmann, der er immer war, seine Würfe weiter vergolden wird und zahllose so genannte Exhibitions spielen will, angeblich fast 200 im Jahr 2018. Aber er wird eben nicht mehr an Turnieren teilnehmen. „Es ist mittlerweile einfach zu viel Aufwand, mich auf die vielen Turniere vorzubereiten. Heutzutage muss man sieben Tage die Woche arbeiten. Ich bin immer weg von zu Hause in irgendwelchen Hotels. Nein, für mich ist jetzt Schluss. Ich möchte dieses Leben nicht mehr.“

Jahrelang hatten Gegner Angst gegen ihn zu spielen. Er hatte die Aura des Unschlagbaren, und Kontrahenten zeigten oftmals auf der großen Bühne gegen ihn nicht das, was sie eigentlich spielen konnten. Zuletzt flößte er noch immer Respekt, aber keine Furcht mehr ein. Es kam eins zum anderen, die Doppel machten Probleme, die Sehkraft, die Pfeile, und alles zusammen führte zu schmerzhaften Pleiten. Und zu seinem Entschluss. Bevor er zuviel verliert, wollte er gehen. Er erkannte, dass es an der Zeit sei, ihm die Kraft fehlen würde, der jungen Generation alles entgegenzuwerfen. Man wacht auf, so hat er es erzählt, und erkennt, dass der Tag gekommen ist. Anfang des Jahres 2017 verkündete er seinen Entschluss.

Wenn der Brite etwas hasst, dann Niederlagen – im Gefühl des Sieges knuddelt er alle um sich herum auf der Bühne, inklusive Gegner. Pleiten goutiert er dagegen auch im hohen Alter noch im John-McEnroe-Stil. Angefressen. Wütend. Jahrelang ließ er nach Siegen die Verlierer das Darts-Board unterschreiben, als Raymond van Barneveld nach dem WM-Viertelfinale 2016 das gleiche mit dem Unterlegenen Taylor machte, war der stinksauer. „Er macht das schließlich immer. Jetzt kriegt er es mal zurück“, meinte der Holländer.

Allein von 1995 bis 2006 gewann er elf von zwölf Titeln

Dieser Umgang sorgte dafür, dass Taylor nicht unbedingt der beliebteste Spieler auf der Tour war, er hat sich seinen Legendenstatus und die Ovationen des Publikums mit seinen Erfolgen erarbeitet, nicht mit seinem Auftreten. Vielleicht war es ja genau dieser Hass auf Niederlagen, der ihn zu dem gemacht hat, was er ist. Dem Besten aller Zeiten. Wie er es immer wollte – das Beste oder Nichts. Nicht einmal die herauslaufenden Sauce seines Sandwiches würde Phil Taylor anderen gönnen, behauptete der legendäre BBC- und Sky-Sports-Kommentator Sid Waddell. Waddel war die britische Stimme des Darts, er verstarb 2012 – und nach ihm ist übrigens die WM-Trophäe benannt.

Phil Taylor war immer auch ein Getriebener. Darts war seine Obsession, er hat trainiert wie ein Besessener. Er war ein Profi durch und durch, sogar mit einer Ernährungsberaterin hat der Kumpel von Popstar Robbie Williams, der wie Taylor aus Stoke-on-Trent kommt, zusammengearbeitet. Phil Taylor ist für Darts letztlich wohl das, was Michael Jordan für Basketball oder Wayne Gretzky für Eishockey sind. Er hat seinen Sport auf ein neues Niveau gehoben. Seine Besessenheit hat alle anderen auch besser gemacht, wer mithalten wollte, musste mehr und härter trainieren. Und dass viele Spieler heute viel Geld verdienen, haben sie Phil Taylor zu verdanken. Erst wollte ihn alle siegen sehen, dann vielleicht viele verlieren sehen – so oder so aber hat er das Interesse hoch gehalten. Allein von 1995 bis 2006 gewann er elf von zwölf Titeln. Die Professional Darts Corporation (PDC) wurde scherzhaft auch schon als „Phils-Dart-Club“ bezeichnet. Taylor war in seinen besten Zeiten derart dominant, dass es manchem zu viel war. Es mag Leute geben, die gelangweilt waren von dem „Mozart der Pfeile“, aber die Mehrheit ist es bis heute nicht. Taylor hat den Sport mit seinen Erfolgen nicht sediert, sondern belebt. Er ist ein Jahrhundertsportler. Ein Muhammad Ali, ein Pelé, ein Jesse Owens seiner Sportart. „Er hat diesen Sport auf ein neues Niveau gehoben“, konstatiert die seriöse „Times“.

Die größte Cinderella-Geschichte des Sports

Manch Purist mag bei diesem Vergleich mit der Stirn runzeln. Ein Darts-Spieler in einem Atemzug mit Ikonen wie Ali oder Owens, welch Frevel, und natürlich ist das alles auch nur sehr schwer zu vergleichen, Boxen oder Laufen oder Pfeile werfen, aber unterm Strich lässt sich auf jeden Fall zweifelsfrei festhalten: noch nie gab es einen derart dominanten Mann in der Geschichte des Sports (und die Debatte ob das Sport ist noch nicht, die führen wir an anderer Stelle).

Als Figur war er größer als das Darts und lange ein unersetzlicher Werbeträger. „Phil ist für uns das, was Tiger Woods für Golf ist“, sagte Barry Hearn. Aber Darts ist heute groß genug, dass es auch ohne einen Phil Taylor auskommen kann. Es gibt frisches Blut, neue Typen.

Neue Zeiten.

Taylor hat damals die PDC 1992 mitgegründet, er hält heute 8,2 Prozent an der PDC und war der Wegbereiteter dieser mirakulösen Wandlung des Darts. Jahrzehntelang hatte Darts das Image eines Kneipensports, heute ist es ein karnevaleskes Event, das in Großbritannien die größten Hallen spielend füllt. Darts gilt heute als die größte Cinderella-Geschichte des Sports.

So wie die Geschichte des Phil Taylor ein modernes Märchen ist. Die Geschichte eines Mannes, der Klohalterungen montierte, Autos reparierte und später vor den Augen britischer Royals Pfeile warf und seinen Stoke-on-Trent-Kollegen Robbie Williams zu seinen Kumpels zählt. Der verabschiedete sich auf Twitter so: „Absolute Legende. Mach’s gut, mein Kumpel.“

Präzision war nicht immer die Stärke von Männern aus Stoke-on-Trent. Der berühmteste Sohn der englischen Stadt scheiterte zum Beispiel an der Umschiffung eines 20 Meter aus dem Wasser ragenden und 300 000 Tonnen schweren Eisbergs. Der Mann hieß Edward John Smith und war Kapitän der Titanic.

Eric Bristow brachte ihn zum Darts

Geschichte. Dank Phil Taylor wurde Stoke zur Präzisionshauptstadt des Empires, in seinem Sog holte sich auch Adrian Lewis zwei WM-Titel. Taylor stammt aus einer Arbeiterfamilie. Pfeile auf eine Scheibe zu werfen und damit Geld zu verdienen war Taylors Chance, aus diesem Leben zu entfliehen. „Meine Familie war arm, wir hatten nichts“, sagte Taylor. Er wurde in einem Pub entdeckt, von Eric Bistow, dem besten Spieler der 1980er Jahre. Bistow, von der Queen ausgezeichnet, erkannte das Talent und gab ihm einen finanziellen Vorschuss, den Taylor später zurückzahlen musste. Es war der Beginn einer großen Karriere, in deren Verlauf der kleine, etwas untersetzte Rechtshänder 1990 seinen Lehrmeister im WM-Finale bezwang.

27 Jahre später geht Phil Taylor von der Bühne.

Nun ist Schluss.

Phil Taylor ist Geschichte.

Goodbye, Phil Taylor.

Darts geht weiter.

Game on.