„To Beef or not to beef“ – das ist für Dario Cecchini die Frage. Foto: 25Hours Hotel Piazza San Paolino

Der italienische Kult-Metzger Dario Cecchini zelebriert in der Toskana die pure Fleischeslust. Gegessen wird gemeinsam – alle Gäste an einer großen Tafel.

Dario Cecchini setzt seine Tröte an den Mund und erschreckt alle mit lautstarkem Getute. „Benvenuto a tutti! A tavola!“ Die Gäste, die da zu Tisch gebeten oder besser gebrüllt werden, erwartet ein klassisches Cecchini-Menü: Es gibt Fleisch mit Fleisch und Fleisch. Erst roh, dann auf offener Flamme gegrillt.

 

In Italien ist der Hüne aus den sanften Hügeln der Toskana bekannt wie ein bunter Hund. Der Streamingdienst Netflix hat ihm in der Reihe „Chef’s Table“ sogar eine eigene Folge gewidmet. Dabei ist der Mann mit dem charakteristischen Zwirbelbart, Jahrgang 1955, gar kein „Chef“, also Koch, sondern ein Metzger. Laut der „New York Times“ soll er sogar der beste der Welt sein, die „Zeit“ nennt ihn den „Michelangelo des Fleisches“.

Das ganze Sein dreht sich ums Rind

Seit mehr als 250 Jahren betreibt die Familie Cecchini eine Fleischerei in dem kleinen Ort Panzano in der Toskana. 2006 wurde zusätzlich ein Restaurant eröffnet. Alle sitzen an einer einzigen langen Tafel, Dario Cecchini tischt auf, trötet, zitiert mal aus Dantes „Göttlicher Komödie“ oder aus Shakespeares „Hamlet“. Allerdings etwas modifiziert: „To beef or not to beef, that is the question.“ Hier dreht sich das ganze Sein also ums Rind, bevorzugt der Rasse Chianina.

Eine ordentliche Bistecca alla fiorentina muss groß sein Foto: Hamann

Wer das Spektakel erleben möchte, muss nicht mehr unbedingt ins ländliche Nirgendwo der Chianti-Region pilgern. Seit Ende September gibt es ein Lokal in Florenz: Cecchini in Città, Cecchini in der Stadt. Auch hier: ein großer Tisch, an dem völlig fremde Menschen gemeinsam essen und ins Gespräch kommen sollen. Am Ende des Abends fühlt man sich nicht nur pappsatt, sondern wie eine einzige große Familie.

Dario Cecchini, Metzger in der achten Generation, ist immer im Dienst – erkennbar am Outfit. Weißes Hemd, rote Hose, wollene Weste in den italienischen Farben und eine weiße Schürze. In der Netflix-Dokumentation sieht man, dass in seinem Kleiderschrank gar keine anderen Klamotten hängen. Il Maestro ist seit Jahren mit der Amerikanerin Kim Wicks verheiratet und spricht dennoch kaum Englisch (bis auf den Satz aus „Hamlet“), daher übersetzt seine Stieftochter Martina Bartolozzi. Eigentlich, erzählt Cecchini, wollte er Tierarzt werden. Also ging er nach der Schule an die Universität nach Pisa. 1976 brach er das Studium ab, weil sein Vater schwer krank wurde und starb. Die Mutter war schon Jahre zuvor einem Krebsleiden erlegen.

Achtung vor dem Tier

Der Sohn fühlte sich verpflichtet, die Metzgerei mit ihrer jahrhundertealten Tradition weiterzuführen. Die Familie ist Dario Cecchini heilig. Tiere auch. Der Italiener hat Respekt vor der Schöpfung. Für ihn sind es nicht einfach Fleischlieferanten, sondern Lebewesen. „Ich möchte, dass die Tiere ein gutes Leben und einen würdigen Tod haben. Ich habe große Achtung vor dem Tier und daher die Pflicht, alles von ihm gut zu nutzen“, sagt er. Dafür erntet er Respekt für sich selbst und für seine Zunft. Der Metzgerberuf nach dem Verständnis Cecchinis ist ein ehrbares Handwerk, kein grausamer Industriejob.

Carne diem ist Cecchinis Wahlspruch. Foto: 25Hours Hotel Piazza San Paolino

Massenproduktion lehnt er ab, kein einziger Knochen darf verschwendet werden. Man müsse sich bewusst sein: Es ist ein Privileg, Fleisch zu essen. In seinem Restaurant Solociccia wird so gekocht, wie es schon seine „Nonna“ und die Urgroßmutter getan haben. Alles kommt auf den Teller: Knie, Eingeweide, Schwanz, Pansen. Heute nennt man das Prinzip neudeutsch „from nose to tail“ und tut so, als hätten nachhaltige Hipster eine moderne Idee gehabt. Dabei ist es eigentlich ein ganz alter Hut. Entgegen anderslautenden Gerüchten habe er übrigens nichts gegen Leute, die kein Fleisch essen. „Wir bieten auch Gerichte für Vegetarier.“ Die Menü-Alternative ist allerdings einseitig: alles mit Tomaten.

Während der Rinderwahnkrise 2001 trug Cecchini das von der italienischen Regierung damals verbotene Steak mit Fleisch am Knochen symbolisch zu Grabe. Die Aktion wurde werbewirksam im Fernsehen übertragen. Seither kennt ihn in Italien jedes Kind. Eine Gedenktafel an der Fassade der Metzgerei erinnert an diese düstere Zeit, als man den Toskanern ihr Allerheiligstes weggenommen hat. Er weiß sich zu inszenieren. Ein einfaches Abendessen wird mit ihm zur Dinnershow.

Wer braucht schon Beilagen und Soßen?

Höhepunkt des Abends sind – natürlich – Florentiner Steaks. Mindestens vier Finger dick muss eine anständige Bistecca alla fiorentina sein, gegrillt am Knochen auf offenem Feuer. „Ein Holzkohlegrill ist wichtig, keine Gasflamme.“ Das Fleisch muss temperiert sein, also Stunden vorher raus aus dem Kühlschrank. Acht Minuten anbraten von jeder Seite, ruhen lassen, fertig. In Scheiben geschnitten macht so ein Tennisschläger-großer, kiloschwerer Prügel den halben Tisch satt. Es ist eine blutige Angelegenheit, innen noch fast roh. Und ganz pur serviert: Dazu gibt es nur etwas Salz und Olivenöl. Beilagen? Soßen? Pah, wer braucht das, wenn er ein sehr hochwertiges Fleisch haben kann? Ganz simpel und ursprünglich. Carne diem.

Info

Essen und Trinken
Im kleinen Ort Panzano in Chianti steht die Metzgerei Antica Macelleria Cecchini, außerdem gibt es einen Foodtruck und die Restaurants Solociccia und Officina della Bistecca, www.dariocecchini.com.Seit September 2024 betreibt der Metzger auch ein Lokal in Florenz: Cecchini in Città, https://cecchini-firenze.com