Daniil Trifonov Foto: dpa

Beim „Meisterpianisten“-Zyklus hat der 24-jährige Russe Daniil Trifonov für einen vollen Beethovensaal gesorgt – mit flotten Fingern, vor allem aber mit wachem Geist

Stuttgart - Was hat er bloß, das so viele andere nicht haben? Was macht Daniil Trifonov, den erst 24-jährigen Drittplatzierten beim Warschauer Chopin-Wettbewerb 2010 (hinter den weit weniger erfolgreichen Yulianna Avdeeva und Ingolf Wunder) zu einem Mann, der endlich wieder einmal bei den „Meisterpianisten“ den Beethovensaal fast zur Gänze füllt? Der das Publikum zu lautem Jubel hinreißt und den in der Liederhalle so beliebten Jetzt-schnell-als-Erster-zur-Garderobe-laufen-Reflex trotz eines schon überlangen Konzertprogramms mit drei Zugaben wirkungsvoll unterdrückt?

Das Auftreten des ewig jungenhaft wirkenden Russen kann es jedenfalls nicht sein: Nüchtern schreitet Trifonov am Dienstagabend zum Flügel, eine kurze Verbeugung, dann sitzt er mit nur kurzer Unterbrechung eineinviertel Stunden lang dort und hört und hört nicht auf, und die Zuhörer schenken dem Gast im Gegenzug das Schönste, was sie ihm schenken können: Stille und Konzentration.

Klare Fokussierung, Reduktion und Freiheitsdrang

Dabei ist der Anfang harte Kost. Johannes Brahms hat Bachs berühmte d-Moll-Chaconne für Violine solo fast notengetreu für Klavier bearbeitet – und es, um auch hier die Mühe des Interpreten und den Widerstand des Stücks spürbar zu machen, ausschließlich für die linke Hand gesetzt. Das sorgt für eine klare Fokussierung – auch beim Publikum, das wach miterlebt, wie sich das Ausdrückenwollen hier abarbeitet an den künstlich vorgegebenen Grenzen. Trifonov, meist tief gebeugt über der Tastatur sitzend, wirkt hier wie ein Panther, der an Gittern entlang schleicht: innerlich immer auf dem Sprung. Die nächste Gelegenheit zur Flucht wird er nutzen.

Sie ergibt sich bei Schuberts Fantasie-Sonate (Nr. 18 op. 78), beim ersten Heft von Brahms’ Paganini-Variationen und (ganz besonders) bei Rachmaninows erster Klaviersonate (op. 28). Bei Schubert wie zuvor bei Bach/Brahms gibt es Passagen, die zwingender wirkten, wenn er sie strenger nähme. Sonst aber erscheint nichts überkünstelt. Schuberts Singen, das zwischen dramatisch aufgerauten Momenten wirkt wie ein ferner Traum von Schönheit, hat der Pianist verinnerlicht wie nur wenige. Jeden Ton behandelt er als Individuum. Manches scheint er gleichsam heranzuzoomen, anderes rückt er mithilfe einer fein differenzierten Dynamik und Farbgebung in weitere Ferne; so entstehen klingende Landschaften. Zuweilen scheint Trifonov die Tasten zu streicheln. Gerade in den hohen Regionen gelingen in leisen Momenten Klänge von ätherischer Zartheit.

Und der Schweiß spritzt

Das gilt auch für die Paganini-Variationen, in denen er zwischen der virtuosen Rasanz des Beginns und der Melancholie der zwölften Variation eine maximale Entfernung etabliert. Der meistzitierte Satz aus Wagners „Parsifal“ hätte alle Chancen, sich auch unter dem Namen Trifonov-Gesetz zu etablieren: Zum Raum wird hier die Zeit. Dass die Weitung der musikalischen Dimensionen anstrengt, kann man bei Trifonov sogar sehen: Gegen Ende der Programmteile scheint der Schweiß geradezu zu spritzen.

Dennoch gibt der eigentlich so unscheinbare Mann am Klavier nach einem Parforce-Ritt mit ins Unendliche hineingeträumtem Lento (bei Rachmaninow) drei Zugaben. Eine davon ist Skrjabins Präludium für die linke Hand, das den Weg zurück weist in die Konzentration. Trifonov hat nicht nur schnelle Finger, sondern auch einen schnellen Geist. Schon davon können andere nur träumen.