Die EUV Lithografie ist ähnlich komplex wie das Nasa-Raumfahrtprogramm, sagt Zeiss-Chef Michael Kaschke. Foto: Zeiss

Ob autonomes Fahren, Robotik oder Industrie 4.0 – all diese Technologien der Zukunft funktionieren nur mit energiesparenden und leistungsstarken Chips. Der Optikkonzern Zeiss von der Ostalb sieht sich dabei auf gutem Weg.

Stuttgart - Michael Kaschke schaut gerne in die Sterne. Die Zukunft sucht er dort nicht, sagt der Chef des Optikherstellers Zeiss. „Physikalisch korrekt gesprochen schaut man ja in die Vergangenheit“, erläutert der promovierte Physiker. „Wenn das Licht hier ankommt, ist es oft schon Tausende oder gar Millionen Jahre unterwegs. Man weiß nicht, ob der Stern oder der Nebel, den man wahrnimmt, überhaupt noch existiert.“ Er nimmt sich mit seinem Teleskop – natürlich der Marke Zeiss – die Zeit für Astroreisen. Im vergangenen Jahr war er in den USA, um die Sonnenfinsternis zu beobachten. Zuvor war er in Libyen (2006) und in Ungarn (1999). „Auf der Ostalb kann man bei gutem Wetter die Milchstraße klar und deutlich sehen“, schwärmt er – und lobt zugleich Oberkochen, den Firmensitz von Zeiss. „In Deutschland gibt es nicht mehr viele Orte, an denen man dies sehen kann.“ Astronomie hat für ihn etwas entspannendes, meditatives. „In meinem Job ist es schwierig, ein Hobby für den Tag zu finden. Deshalb habe ich mich auf die Nacht verlegt", erzählt er schmunzelnd. Die Zeit des Zeiss- Chefs ist knapp, der nicht nur für weltweit 27 000 Beschäftigte verantwortlich ist, sondern auch für die strategische Weiterentwicklung sowie die Vertriebsregion Asien-Pazifik.

Derzeit treibt ihn etwa der Handelsstreit um, der insbesondere zwischen China und den USA tobt. Der Konzern, der 90 Prozent seines Umsatzes im Ausland erzielt und häufig vor Ort produziert, sei derzeit nur in geringem Umfang betroffen, „es tut noch nicht weh“, sagt Kaschke im Gespräch mit unserer Zeitung. Nach seinen Angaben ist eine Verunsicherung in den Unternehmen zu spüren – und eine Investitionszurückhaltung. Das bremst den Welthandel und kann „im schlimmsten Fall in einer Rezession münden“. Auch ohne diesen Konflikt gebe es genügend Unsicherheiten hierzulande, sagt er und denkt an die Zukunft der Automobilindustrie, an den Bereitbandausbau und an die Herausforderungen der digital vernetzten Produktion, von der Produktivitätsfortschritte erwartet werden. „Ein Handelskonflikt bringt langfristig für alle Seiten nur Nachteile“, so Kaschke.

Zeiss erwartet ein starkes Wachstum

Trotz der Unsicherheiten wird Zeiss im laufenden Geschäftsjahr – es endet am 30. September – ein „gutes Ergebnis und ein starkes organisches Wachstum ausweisen können“, sagt Kaschke. Die negativen Effekte durch den Handelsstreit würden durch das Wachstum deutlich überkompensiert. Dazu beitragen werden die Bereiche Medizintechnik und industrielle Messtechnik. Aber die höchsten Zuwächse dürften wieder im Halbleitergeschäft erzielt werden. Im ersten Halbjahr des laufenden Geschäftsjahres wuchs dieser Bereich um sagenhafte 35 Prozent. Dafür gibt es einen Grund: die EUV-Lithografie. Die drei Buchstaben stehen für extrem ultraviolette Strahlung.

Dank dieser Technologie können kleinere und leistungsfähigere Chips hergestellt werden. Viele Jahre lang war diese Technologie, die für einen Leistungssprung in der Chipherstellung sorgen soll, das technologische Sorgenkinder des Traditionsunternehmens. „Unser EUV-System ist mit Sicherheit in der Komplexität mit jedem Nasa-Raumfahrtprogramm vergleichbar“, beschreibt Kaschke die Herausforderung. Teuer war sie obendrein. In den vergangenen 15 Jahren hat Zeiss eine halbe Milliarde Euro in die Technologie investiert. Die Investitionen der Partner Trumpf in Ditzingen (Laser) und den niederländischen ASML-Konzern (Chipmaschinen-Ausrüster) sind nicht berücksichtigt. Doch jetzt kann Zeiss die Ernte einfahren: die Chiphersteller wie Samsung und Intel stehen Schlange; allesamt wollen sie diese Technologie kennenlernen. Die EUV-Lithografie, die 2017 eingeführt wurde, trägt zu einem Drittel zum Halbleiterumsatz bei, etwa 400 Millionen Euro.

Zeiss sorgt für Fortschritt in der Digitalisierung

„Wir leisten da – gemeinsam mit ASML und Trumpf – einen enormen Beitrag, dass der Fortschritt in der Digitalisierung weiter gehen kann“, so Kaschke. „Das würde ich in aller schwäbischen Bescheidenheit schon so sagen“, fügt der 61-Jährige, der im thüringischen Greiz geboren ist, hinzu. Denn diese Chiptechnik ermöglicht erst Anwendungen, die in aller Munde sind: autonomes Fahren, Robotik, Industrie 4.0 oder Künstliche Intelligenz. Dafür müssen gigantische Datenmengen verarbeitet werden. „Da braucht man eine Technologie, um den Stromverbrauch zu reduzieren“, so Kaschke. „Ansonsten sind die Batterien sehr schnell leer“.

Wie bedeutend der Markt für Halbleiter ist, zeigt eine Zahl: in diesem Jahr wird die Branche weltweit mehr als 100 Milliarden Dollar (85 Milliarden Euro) investieren, das erwarten zumindest die Marktforscher von IC Insights. Zwar sei das Wachstum nicht mehr so rasant wie in früheren Jahren. Aber: „Die Investitionen für EUV werden weiter laufen, davon bin ich überzeugt“, sagt Kaschke. „Keiner will die Chancen, die die neue Technologie bietet, verpassen.“ Reduziert werden seiner Ansicht nach Investitionen in Standardtechnologien. Zeiss fertigt die EUV-Optiken in Oberkochen.

600 offene Stellen

Die positive Entwicklung des Konzerns spiegelt sich in der Belegschaft wider. 1000 Mitarbeiter wurden in den vergangenen zwei Jahren eingestellt, ein Großteil davon im Bereich Halbleiter. Der Konzern hat mehr als 600 offene Stellen. „Wir haben einen enormen Personalbedarf“, so Kaschke. Der Aufwand Fachkräfte zu finden, sei gestiegen. Doch „gerade im technischen Bereich beobachten wir, dass unser gute Namen viele Technikbegeisterte anzieht“, sagt er. Wohl auch, weil Zeiss bereits an der EUV-Folgetechnologie arbeitet. Mitte der 20er Jahre soll sie auf den Markt kommen, schätzt Kaschke. Die Kosten für die Entwicklung dürften noch um den Faktor zwei bis drei höher liegen als bei EUV. Diese Summe wollten die Oberkochener nicht mehr alleine stemmen – 2016 ist der Partner ASML mit einem Anteil von 24,9 Prozent im Halbleiterbereich, der Carl Zeiss SMT, eingestiegen. Eine Milliarde Euro haben sich die Niederländer den Anteil kosten lassen. Zusätzlich wollen sie 220 Millionen Euro in die Forschung und Entwicklung sowie 540 Millionen Euro in die Ausrüstung und Prozesskette von Carl Zeiss SMT investieren. Zeiss kann das Geld wohl gut brauchen – erst vor kurzem wurde der Bau für zwei weitere Produktionshallen, einschließlich Reinräumen, in Oberkochen beantragt.