Am 6. Juli 1935 wurde der 14. Dalai Lama als Bauersohn Lhamo Dhondup in einem klei Foto:  

Seit seiner Flucht im Jahr 1959 verbringt der 14. Dalai Lama sein Leben im nordwestindischen Exil . Im Westen hat er es zu Starruhm und Kultstatus gebracht

Dharamsala/Stuttgart - Die weinrote Robe, die zeitlose, fast schon kultige Brille, die gelbe Schärpe und das markante Lächeln mit dem glucksenden Lachen sind seine Markenzeichen. Seinen Geburtsnamen Lhamo Dhondup kennen dagegen nur Insider. Doch den Dalai Lama, den „Ozean der Weisheit“ – wie die deutsche Übersetzung lautet – , den 14. Würdenträger, der die Linie der Gelbmützen-Schule des tibetischen Buddhismus fortführt, den kennt fast jeder. An diesem Montag feiert das Religionsoberhaupt, das nichts weiter sein will als ein einfacher Mönch, seinen 80. Geburtstag.

1935 als Sohn einfacher Bauern geboren

Tenzin Gyatso, wie er auch heißt, wurde er am 6. Juli 1935 in Taktser als Sohn einfacher Bauern geboren. Zusammen mit 13 anderen Dörfern bildet der Weiler die Gemeinde Shihuiyao im äußersten Westen Tibets. Damals war das riesige Hochland in Zentralasien seit 22 Jahren ein unabhängiger Staat, mit eigener Regierung, Verwaltung und Armee. Der Dalai Lama war geistliches und weltliches Oberhaupt. Als der Junge als Herrscher in den Potala-Palast in Lhasa einzog, war er gerade vier Jahre alt.

Im Oktober 1950 marschierten die Truppen der Volksrepublik China in Tibet ein. Einen Monat später, nachdem die tibetischen Streitkräfte kapituliert hatten, übernahm Tenzin Gyatso mit 15 Jahren als 14. Dalai Lama die Regierung Tibets. Während des Aufstands der Tibeter gegen die Besatzer flüchtete er am 17. März 1959 mit einigen wenigen Getreuen über den Himalaya in die nordwestindische Provinz Himachal Pradesh nach Dharamsala, wo er seither im Dalai-Lama-Palast am Rande der 19 000-Einwohner-Stadt residiert.

Terminplan wie ein Staatsoberhaupt

Seitdem jettet der Mönch mit den kurzrasierten Haaren durch die Metropolen der Welt. Japan, Australien, Indien, USA, Europa – was sich wie die Weltreise eines Rucksacktouristen oder Spitzendiplomaten liest, ist der Terminplan des Dalai Lama. Seine Botschaft, stets mit einem Lächeln vorgetragen, ist das immer gleiche Mantra. „Meine Brüder und Schwestern“, sagt er dann. „Was wir heutzutage wirklich brauchen, ist ein Gefühl der Einheit aller sieben Milliarden Menschen“.

Harmonie stiften, Frieden und Toleranz verkündigen hat er zu seiner Lebensaufgabe gemacht. Von seinen Anhängern als Inkarnation des Bodhisattva Avalokiteshvara, des Buddhas des Mitgefühl und als lebender Gott verehrt, tritt er bei offiziellen Anlässen außerhalb Dharamsalas s gerne als Befürworter einer globalen Ethik auf, die auf Gewaltfreiheit und interreligiösen Dialog basiert. Er stellt Mitgefühl, Vergebung, Zufriedenheit und Selbstdisziplin als menschliche Grundwerte in das Zentrum seiner Lehre. Das kommt an, besonders bei sinnsuchenden Westlern.

Pilger aus aller Welt zieht es nach Dharamsala

Besucher aus aller Welt strömen nach Upper Dharamsala, den höher gelegenen Teil der Stadt am Fuße des Himalaya. Nur wenige Straßen krallen sich auf 1800 Meter an den Hang. „Little Lhasa“ wird der Ort auch genannt, seit die tibetische Exilregierung hier ihre Zelte aufgeschlagen hat. Wenn der Dalai Lama mal nicht auf Reisen ist, kann man ihn Sonntags in seinem Palast live erleben. Dann ist der tibetische Haupttempel bis auf den letzten Platz gefüllt. Der Tempelboden ist mit Matratzen ausgelegt, die Gläubigen, die meisten von ihnen Tibeter, hocken im Schneidersitz.

Wenn Tenzin Gyatso eines seiner seltenen öffentlichen „Teachings“ hält, eine Art Vorlesung zu einem bestimmten Thema aus der Lehre Buddhas, dann herrscht Ausnahmezustand in dem kleinen verwinkelten Städtchen. Manchmal unterweist er die Gläubigen auch in einem der Klöster im Umland. Pilger aus allen Ecken der Welt – von Südamerika über die USA, Russland, Europa, die Mongolei, Korea und Indonesien bis aus Australien – strömen dann nach Dharamsala. Geläufig ist der Ort auch als McLeod Ganj. So hieß ein britischer Gouverneur, der hier oben zu Kolonialzeiten für die unter der Hitze Indiens stöhnenden Briten eine beliebte Sommerresidenz etablierte.

2011 hat er die politische Verantwortung abgegeben

Wenn der Dalai Lama und die Tibeter unter sich sind, fernab der religiösen Folklore und des diplomatischen Small-Talk mit Staatsmännern, Politikern, Prominenten und Filmstars, erlebt man einen ganz anderen Tenzin Gyatso. Er rezitiert alte buddhistische Schriften und stimmt ein in den kehligen Gesang der Guyto-Mönche, von denen ihm 1959 viele ins Exil folgten. Seit mehr als 500 Jahren pflegen die Mönche des tibetischen Gyuto-Ordens die Tradition des Obertongesangs. Das Singen ist eine spirituelle Übung, eine Art Gottesdienst, der sich über Stunden hinziehen kann.

Die politische Verantwortung für sein Volk hat der Dalai Lama längst abgegeben. Seit 2011 ist er im politischen Ruhestand, seitdem wird die Verwaltung der knapp 130 000 Exil-Tibeter von einem Sikyong, einem Premierminister, geführt. Der Jurist und Völkerrechtler Lobsang Sangay trägt nun die Verantwortung für den Kampf um eine „echte Autonomie“, also kulturelle und religiöse Freiheiten für die Tibeter innerhalb der Volksrepublik China.

Traum von einem unabhängigen Tibet hat er aufgegeben

1989 erhielt der Dalai Lama den Friedensnobelpreis. Das amerikanische „Time“-Magazin zählte ihn drei Mal zu den 100 einflussreichsten Menschen der Welt. Er kommuniziert über Facebook und den Kurznachrichtendienst Twitter, wo er elf Millionen „Follower“ hat – fast doppelt so viel wie der Papst. Von der Vorstellung eines von China unabhängigen Tibet hat er sich längst distanziert, was vielen Tibetern missfällt. Stattdessen propagiert er einen „mittleren Weg“: Gewaltfreiheit und Autonomie, aber keine staatliche Unabhängigkeit für alle tibetischen Gebiete innerhalb Chinas. Doch die chinesische Regierung lehnt jegliche territorialen Ansprüche kategorisch ab.

Vielleicht hat die Institution des Dalai Lama bald ausgedient. Die Oberhäupter der Tibeter werden von hohen buddhistischen Gelehrten ausgesucht – so wurde auch der jetzige Dalai Lama 1937 als Zweijähriger gefunden. Doch diese fast fünf Jahrhunderte währende Tradition könne mit seinem Tod enden, hat der Dalai Lama immer wieder in Interviews erklärt.

Dalai Lama gilt Tibetern als erleuchtetes Wesen

Obwohl ein Dalai Lama im tibetischen Buddhismus als erleuchtetes Wesen verstanden wird, das den Kreislauf der Wiedergeburt verlassen könnte, nimmt er doch immer wieder menschliche Gestalt an. Freiwillig, um das Leid anderer fühlender Wesen zu mindern. Er wolle solange es Leid gebe auf der Welt bleiben, wenn auch nicht im gleichen Körper, sondern als der gleiche Geist, hat der Dalai Lama angekündigt. Er hofft, dass die Welt bei seiner nächsten Reinkarnation friedlicher ist.

Wann das sein wird? „Laut den Ärzten, die meine körperliche Konstitution geprüft haben, werde ich 100 Jahre alt“, sagte er in einem Interview. „Laut meinen Träumen werde ich 113 Jahre alt. Aber 100 sind, glaube ich, sicher.“

Info: Der Buddhismus

Gründer: Der Buddhismus hat seinen Ursprung in Indien. Seine Anhänger berufen sich auf das Leben und die Lehren von Siddhartha Gautama, einem Königssohn, der im fünften oder frühen vierten Jahrhundert v. Chr. in Nordindien lebte.

Heilige Schriften: Die Kenntnis von Budd-has Lehren beruht auf den drei Pitakas (wörtlich: Körbe), Sammlungen heiliger Schriften. Sie sind am vollständigsten in der Pali-Sprache erhalten, einem dem Sanskrit verwandten indischen Dialekt.

Grundidee: Der Buddhismus ist eine Religion ohne Gott, einzige große Ethik der Selbsterlösung, eine Lebensregel und Empfehlung für den Weg der Erleuchtung. Der Mensch erlöst sich selbst durch Entsagung, Meditation und gute Werke. Kern der Lehre (Dharma) sind die Vier Edlen Wahrheiten. Alles Leben ist Leiden. Erst mit der Beseitigung seiner Ursachen erlischt das Rad des Lebens.

Krieg und Frieden: Buddha hat sich stets gegen Fanatismus und blinden Glaubensgehorsam ausgesprochen. Auf den Weg kommt es an und nicht welcher Religion man angehört. Militanz und Intoleranz sind dem Buddhismus wesensfremd. In 2500 Jahren hat er sich weitgehend als eine Religion des Friedens erwiesen.

Anhänger: Der Buddhismus ist mit 350 bis 500 Millionen Anhängern die viertgrößte Weltreligion und hauptsächlich in Süd- und Ostasien verbreitet. Das Mahayana (Großes Fahrzeug), Theravada (Kleines Fahrzeug) und Vajrayana (Diamant-Fahrzeug) sind die wichtigsten Schulen. Daneben üben der tibetische Buddhismus und Zen-Buddhismus großen Einfluss aus.