Im Fokus der Medien: Daimler-Chef Dieter Zetsche auf der Jahrespressekonferenz. Foto: dpa

Daimler fährt der Konkurrenz davon, doch der Ruf leidet unter den ungeklärten Vorwürfen kommentiert unser Autor Klaus Köster.

Stuttgart - Der Stuttgarter Daimler-Konzern ist derzeit in zwei ganz unterschiedlichen Welten unterwegs. Zum einen gibt es die der Geschäftszahlen, der Produktion und der Beschäftigung, die besser gar nicht sein könnte. Der Konzern ist auf Rekordkurs, bei den Verkaufszahlen ebenso wie bei den Gewinnen – die wiederum den Beschäftigten zugutekommen, auch in Form einer steigenden Zahl von Arbeitsplätzen. Konzernchef Dieter Zetsche hat Daimler so nachhaltig gedreht, dass er der Konkurrenz, die er lange nur von hinten betrachten konnte, weiter davonfährt. Und das globale Produktionsnetzwerk, bei dem Fabriken weltweit wie kommunizierende Röhren eingesetzt werden, macht Daimler zu dem Weltunternehmen, das es schon immer sein wollte.

Wozu dienten die lebenden Probanden?

Doch es gibt auch eine andere Welt, und sie dominiert derzeit das öffentliche Erscheinungsbild von Daimler wie auch das der anderen deutschen Autobauer. Von den großen Herstellern gemeinsam bezahlte Versuche an Affen und sogar an menschlichen Probanden zeigen, wie sehr maßgeblichen Mitarbeitern offenbar der moralische Kompass zumindest zeitweise abhandengekommen ist. Es mag sein, dass die Menschenversuche tatsächlich nicht darauf angelegt waren, Dieselabgase zu testen, sondern die Wirkung von Stickstoffdioxid (NO2) auf den Menschen am Arbeitsplatz zu erproben. Schließlich entsteht dieses Gas nicht nur in Dieselmotoren, sondern fast überall, wo sehr hohe Temperaturen auftreten, etwa beim Schweißen.

Tests, die ausloten sollen, ob arbeitende Menschen schon auf moderate Mengen NO2 reagieren, sind im Sinne des Arbeitsschutzes durchaus legitim und wurden in diesem Fall auch durch eine Ethikkommission gebilligt. Doch die Zweifel, ob dies wirklich der Zweck der Studie war, bleiben. Der Leiter der Studie hat gute Gründe, sich heute für Zwecke instrumentalisiert zu sehen, die mit dem Forschungsauftrag nichts zu tun hatten.

Grelles Licht hilft gegen Grauzonen

Daimler-Chef Dieter Zetsche erklärte bei der Präsentation der Rekordzahlen, die Vorwürfe sollten durch eine Untersuchung aufgeklärt werden – wobei aber unklar ist, ob das Ergebnis jemals das Licht der Öffentlichkeit erblicken wird. Warum eigentlich? Der Versachlichung der Diskussion, die die Autoindustrie anmahnt, können Fakten nur guttun.

Wie viele Mitarbeiter welcher Führungsebene haben Fehlentwicklungen mitbekommen, aber nicht gewagt, den Finger zu heben? Und warum nicht? Waren Mitarbeiter der Meinung, der Zweck der Rehabilitierung des Diesel heilige das Mittel der Versuche mit lebenden Probanden? Oder bedeutete die geteilte Verantwortung der drei Autohersteller für die merkwürdige Organisation EUGT, dass sich gar niemand verantwortlich fühlte? Angenehm für die Hersteller wird keine der Antworten sein. Aber Antworten sind zur Erklärung allemal besser geeignet als ein Vakuum, das jeder, der sich dazu berufen fühlt, mit seinen Theorien füllen kann.

Kein Firmenchef der Welt, der für Hunderttausende Mitarbeiter in aller Welt verantwortlich ist, kann ausschließen, dass sich Beschäftigte auf fragwürdige Praktiken einlassen. Dass in Unternehmen auch schwere Fehler vorkommen, lässt sich Teilen der Öffentlichkeit durchaus vermitteln. Doch dazu gehört die Bereitschaft, die Fakten zu benennen. Das bedeutet nicht, dass fehlbare Mitarbeiter an den Pranger gestellt werden müssen. Die Fehler selbst und die daraus gezogenen Konsequenzen jedoch sollten im Sinne der Glaubwürdigkeit nach innen und nach außen nicht als Betriebsgeheimnis behandelt werden. Grelles Licht ist das beste Mittel gegen Grauzonen.  

klaus.koester@stuttgarter-nachrichten.de