Noch bis Ende 2019 ist Dieter Zetsche Chef bei Daimler. Wird er diese Zeit uneschadet überstehen? Foto: AP

Das Dieselproblem kann dem Daimler-Chef auf den letzten Metern die Bilanz verhageln, kommentiert Anne Guhlich

Stuttgart - Als Dieter Zetsche am 5. Mai seinen 65. Geburtstag feierte, gab es für den Chef des Autobauers Daimler nur schmeichelnde Worte. Er habe den Konzern gerettet und aus Daimler eine Perle gemacht, lobten die Experten. Und in der Tat: Seit Zetsche 2006 bei Daimler die Führung übernommen hat, hat der Konzern eine atemberaubende Entwicklung hingelegt. Und das war längst kein Selbstläufer.

Zur Erinnerung: Geschwächt von der Chrysler-Liaison, rasselte Daimler zu Beginn von Zetsches Amtszeit erst einmal völlig unvorbereitet in die Finanzkrise. Die Modellpalette war verstaubt, und auf dem wichtigen Markt China fuhr die Konkurrenz den Stuttgartern davon. Doch Zetsche hatte die richtigen Antworten parat: Er startete eine Verjüngungskur der Kompaktklasse, baute in China einen eigenen Vorstand und einen neuen Vertrieb auf, startete eine Offensive bei den immer beliebter werdenden sportlichen Geländewagen und leitete einen radikalen Kulturwandel ein. Das Ergebnis von Zetsches Arbeit: 2017 verbuchte der Daimler-Konzern sein siebtes Rekordjahr in Folge und schaffte es vier Jahre früher als zunächst gehofft, die Rivalen Audi und BMW abzuhängen.

Eigentlich wäre nun die Zeit gekommen, den Erfolg zu genießen

Nun wäre für Zetsche eigentlich die Zeit gekommen, seine ganze Kraft in die Zukunftsthemen Elektromobilität und autonomes Fahren zu stecken – und ansonsten den Erfolg der vergangenen Jahre zu genießen. Bis Ende 2019 läuft Zetsches Vertrag noch, er befindet sich also beim Endspurt einer fulminanten Karriere mit Ausblick auf den Posten als Aufsichtsratsvorsitzender nach einer Abkühlungsphase von zwei Jahren. Doch das Dieselproblem könnte ihn auf den letzten Metern noch zum Stolpern bringen.

Wenn sich die Vorwürfe der Behörden erhärten, dass auch bei Daimler systematisch getrickst wurde, wäre die Bilderbuchkarriere abrupt zu Ende. Zetsche könnte dann nicht mehr Aufsichtsratschef werden und wäre als Vorstandsvorsitzender nicht mehr zu halten. Obwohl er Daimler für immer geprägt hat, stünde seine Erfolgsgeschichte in der öffentlichen Wahrnehmung dann im Schatten eines Betrugs.

Beispiele dafür gibt es genug. Wer redet denn heute noch davon, was Wendelin Wiedeking bei Porsche erreicht hat? Wer denkt noch daran, dass er es war, der bei dem Stuttgarter Sportwagenbauer eine profitable und schlanke Produktion aufgebaut und zum ersten Mal eine wirkliche Modellstrategie entwickelt hat? Niemand. Wiedekings Errungenschaften liegen heute im Schatten der Vorwürfe, die ihm im Zusammenhang mit der gescheiterten VW-Übernahme gemacht wurden.

Der Diesel ist für Zetsche ein Schicksalsthema geworden

So gesehen geht es für Zetsche also gerade um alles, was er in den vergangenen Jahren aufgebaut hat. Eine Rolle spielen dabei längst nicht nur die Auseinandersetzung mit dem Kraftfahrtbundesamt und die Rückrufe durch den Bundesverkehrsminister. Ermittelt wird auch bei der Stuttgarter Staatsanwaltschaft und dem US-Justizministerium. Längst haben sich in den USA Anwälte mit Sammelklagen in Stellung gebracht. Sie warten nur darauf, dass Daimler ein Fehlverhalten nachgewiesen werden kann, um in die Schlacht um Entschädigungszahlungen für US-Kunden zu ziehen. Und so ist es für Zetsche zu einer Schicksalsfrage geworden, wann die Ermittlungsbehörden zu einem Ergebnis kommen.

Klar ist dabei aber auch: Dass Zetsche ein zunehmendes Glaubwürdigkeitsproblem bekommt, ist eine Entwicklung, mit der er sich nicht irgendwann, sondern schon heute auseinandersetzen muss. Nicht nur der Verkehrsminister hat Fragen. Das gilt auch für seine Mannschaft, seine Kunden, seine Aktionäre. Eine Möglichkeit, dem Vertrauensverlust zu begegnen, wäre, dass er seine Führungsqualitäten jetzt auch bei der Aufarbeitung des Abgasproblems beweist – und endlich zum Chefaufklärer wird.