Daimlers Belegschaft lehnt harte Einsparungen ab, den Börsianern gehen sie nicht weit genug. Konzernchef Ola Källenius steht von allen Seiten unter massivem Druck. Seine Aufgabe ist extrem anspruchsvoll, meint StN-Autor Klaus Köster.
Stuttgart - Hat Michael Häberle nicht recht? „Wir wollen das Herz des Unternehmens bleiben, egal, ob durch unsere Adern Blut oder Strom fließt“, sagt der Betriebsratschef des Daimler-Werks Untertürkheim, der gerade darum kämpft, dass seine Leute auch für das Elektroauto arbeiten dürfen. Es könne doch nicht sein, dass das Unternehmen langfristige Entscheidungen über die Zukunft von der aktuellen Finanzlage abhängig macht.
Für Arbeitnehmervertreter muss der Kapitalmarkttag, auf dem Daimler-Chef Ola Källenius Analysten in London seine Strategie präsentierte, eine herbe Enttäuschung gewesen sein. Nicht nur wegen der Strategie, von der ja einiges zum Umgang mit dem Personal bereits zuvor bekannt geworden war. Vielmehr gaben die Börsianer den Beschäftigten einen Einblick in ihre eigene Denkweise: Manch einer hält das Unternehmen ebenfalls für kurzsichtig, aber nicht wegen eines zu harten, sondern eher wegen eines zu nachsichtigen Umgangs mit den Beschäftigten. Warum lässt Daimler im Vergleich zur Konkurrenz so vieles durch die eigenen Mitarbeiter erledigen? Wie kann es sein, dass ein Konzern seine eigenen Ziele so weit verfehlt und trotzdem dabei so wenig verändert? Wohl selten wurde so offenkundig, welch einen Druck die Börse auf Daimler ausübt.
Kapitalmarkt als Risikofaktor
Schon jetzt ist die Daimler-Aktie mit einem Kurs von etwa über 50 Euro nur noch ein Schatten ihrer selbst. Ein Euro, der vor drei Jahren in die Aktie des dieselgebeutelten VW-Konzerns gesteckt wurde, ist heute fast doppelt so viel wert als einer, der während dieser Zeit in einer Daimler-Aktie vor sich hinschmolz. Was es bedeutet, wenn Investoren den Eindruck haben, der Aktienkurs spiele für das Management keine Rolle mehr, ließ sich bereits bei Unternehmen wie Thyssenkrupp besichtigen. Dann steigen aktivistische Aktionäre ein, die sich eine schnelle Wertsteigerung versprechen und ihre Interessen mit brachialen Mitteln durchsetzen. Ein solches Experiment würde sich für den Daimler-Konzern von vornherein verbieten.
Der Druck auf Källenius ist enorm. Trotz seiner massiven Sparpläne fiel die Präsentation erst einmal durch, gemessen an der Entwicklung des Aktienkurses. Um die Geschäftszahlen zu stabilisieren, die unter der schwachen Konjunktur ebenso leiden wie unter Dieselstrafen, Handelskonflikten und hohen Investitionen, muss er drastisch auf die Bremse treten. Gleichzeitig aber liegt Daimler mit seinem CO2-Ausstoß noch meilenweit oberhalb der Werte, die man Ende kommenden Jahres erreichen und dann zügig weiter unterschreiten muss. Das erzwingt immens teure Investitionen in E-Autos, bezahlt mit Geld, das man im Grunde gar nicht hat.
Kommt es zum Unterbietungswettlauf?
Dieser Druck mag erklären, wie brachial Daimler schon jetzt gegenüber der Belegschaft auftritt, wozu nicht nur die Streichung von 1100 Managementpositionen gehört, sondern auch die Forderung, auf die nächste Tariferhöhung zu verzichten. Dies würden dann freilich auch andere Firmenchefs von ihren Mitarbeitern verlangen, die ebenfalls händeringend nach E-Jobs suchen und in ihrer Not liebend gern auch Daimlers Stammbelegschaft ausstechen würden; von Anbietern aus Osteuropa oder Asien ganz zu schweigen. Das Risiko eines Unterbietungswettlaufs, den die IG Metall vermeiden will, ist nicht von der Hand zu weisen. Doch wenn selbst der ansonsten äußerst zurückhaltende Bosch-Betriebsrat vor einer Deindustrialisierung Deutschlands warnt und die Befürchtung äußert, die Belegschaften könnten „in zehn Jahren ohne Fertigung dastehen“, geht es ums Ganze. Für die Firmen und auch für ihre deutschen Belegschaften.
klaus.koester@stuttgarter-nachrichten.de