Bürgerinitiative will Daimler kein grünes Licht für Prüfzenturm in Sulz geben. Foto: dpa

Sulz am Neckar gilt als Favorit für das Prüfzentrum, das Daimler im Land bauen will.

Sulz am Neckar - Daimler will eine Teststrecke im Land bauen. Als Favorit unter den Standorten gilt Sulz am Neckar. Dort regt sich immer mehr Widerstand aus der Bevölkerung. "Die Politiker müssen nicht geradestehen für das, was sie heute entscheiden", sagen sie.

Es war ein düsterer Tag im November, als sich das Leben auf dem Lärchenhof verändert hat. Damals kamen zwei Männer in Anzug und Krawatte auf Klaus Hezels Hof bei Sulz am Neckar. Die Männer waren unsicher - so wie Klaus Hezel. Der Landwirt wusste nicht, was die Männer vom Daimler ihm sagen würden. Die Männer wussten nicht, ob ihnen jemand zuhören würde.

Dann breiteten sie Karten und Pläne auf dem Esstisch der Familie aus. Klaus Hezel sah, dass dort, wo sein Haus steht, eine Teststrecke eingezeichnet ist. Bis 2017 will der Stuttgarter Autobauer ein Prüfzentrum bauen, das von Sindelfingen aus in einer Stunde zu erreichen ist. Merklingen/Nellingen und Sulz stehen in der engeren Auswahl. Klaus Hezel erschrak, als er die Pläne sah. Er sagte wenig und dachte viel. Was wird aus dem Hof? Aus der Familie?

Weder Gewerbegebiet noch Prüfzentrum

Ein Gewitter zieht auf. Der Wind zerrt an den Sträuchern auf dem Hof, trägt ein paar Blätter mit sich fort. Für Klaus Hezel sind das Erinnerungen. "In jedem Busch sehe ich Erinnerung." Einmal war Klaus Hezel einen ganzen Tag lang weg. An diesem Tag machte der Landwirt einen Ausflug an den Bodensee. So lange hat er seinen Hof seither nie wieder verlassen, ist nie in den Urlaub gefahren. Nicht mal am Tag seiner Geburt war er fort. Die Mutter war nicht im Krankenhaus deswegen. Klaus Hezel ist in dem kleinen weißen Haus auf dem Lärchenhof zur Welt gekommen - und wollte auch dort sterben. Seit dem regnerischen Tag im November gelten die alten Pläne nicht mehr.

Ein paar Kilometer weiter hat Ernst Schmid seinen Betrieb. Schweinezucht. Ganz oben im Wohnhaus gibt es eine Art Konferenzraum. "Unser Headquarter", sagt Herbert Schmid. Sie sind Mitglieder der Initiative Pro Mühlbachebene. So heißt das Gebiet, auf dem das 200 Hektar große Zentrum gebaut werden soll - falls sich Daimler für Sulz entscheidet. Es liegt zwischen den Sulzer Stadtteilen Bergfelden, Holzhausen, Mühlheim und Renfrizhausen.

"Es gibt verschiedene Kriterien, die das Gelände erfüllen muss, auf dem das Prüfzentrum gebaut werden soll", sagt ein Sprecher von Daimler. Sulz erfüllt sie. Genauso das Gelände zwischen Nellingen und Merklingen. Offenbar prüft der Konzern fünf weitere Standorte. Außerdem will Daimler die Bundesreform abwarten. Danach könnten ehemalige Truppenübungsplätze frei werden. Jedoch: In den Gebieten herrschen strengere Naturschutzrichtlinien als in Sulz - dort soll auf einem Teil der Fläche ohnehin ein Gewerbegebiet entstehen.

Die Menschen von der Initiative wollen weder Gewerbegebiet noch Prüfzentrum auf der Mühlbachebene. Ernst Schmid bewirtschaftet eine 22 Hektar große Fläche dort. Falls Daimler kommt, kriegt er anderswo Ersatz für seine Felder. Aber das ist nicht das Gleiche. Die Felder auf der Mühlbachebene sind gut. Selbst in Monaten wie diesen, in denen die Trockenheit die Ernte vermasselt, ist auf die Mühlbachebene Verlass. Die anderen Landwirte beneiden ihn um den Boden. Ernst Schmid sagt, dass er dort 5,5 Tonnen Raps pro Hektar erwirtschaftet. "Anderswo sind es nur 2,5." Die Mitglieder der Initiative haben nichts gegen Daimler, sagen sie. Aber sie fühlen sich unverstanden. "Die Politiker müssen nicht geradestehen für das, was sie heute entscheiden", sagt Schmid und: "Nach meiner Existenz fragt niemand."

Landwirt will Grundstück nicht verkaufen

Mit einem Beamer wirft Wilhelm König, Landwirt aus Renfrizhausen, Satellitenaufnahmen von Deutschland auf die Leinwand im Headquarter, zeigt die unterschiedlichen Standorte, nennt Argumente, warum das Zentrum an einem anderen Ort gebaut werden soll. Die Männer von Daimler haben den Sulzern 300 Arbeitsplätze versprochen. Im Headquarter glaubt niemand daran. Da werden Testfahrer aus Sindelfingen beschäftigt, Ingenieure aus Stuttgart, denken sie sich - keine Sulzer. Sie glauben auch nicht, dass mehr Steuerzahler in die Region ziehen werden. "Die Teststrecke ist nicht gerade ein Magnet." Die Gegner hoffen auf die Menschen, die ihr Grundstück nicht verkaufen. "Eine Zwangsenteignung gibt es nicht." Bei einer Befragung unter den Grundstücksbesitzern haben 15 Prozent angegeben, dass sie ihr Land nicht hergeben werden. "Also ist das Projekt eigentlich schon gestorben", sagt Wilhelm König. "Wir müssten nicht weiterverhandeln." Auf einer Informationsveranstaltung jedoch hat ein Daimler-Projektleiter gesagt: "Am Ende hat noch jeder verkauft. Auf den Preis kommt es an."

Der Kollege Hezel wäre so einer, der die Geschicke der Mühlbachebene beeinflussen könnte. Die Menschen im Ort schätzen ihn. "Ein guter Mann, er ist in allen Vereinen." Doch seit November ist die Stimmung nicht mehr wie früher. Manche kaufen ihre Milch jetzt woanders. Wenn Hezel sich weigern würde, sein Grundstück an Daimler zu verkaufen, hätte sich das Projekt erledigt. "Und wenn er dafür ist, dann soll er dazu stehen", sagt Wilhelm König.

Klaus Hezel aber bezieht keine Position. Er hat Angst. Wegen des geplanten Gewerbegebiets, das entstehen soll, wenn Daimler nicht kommt. Ursprünglich war von rund 75 Hektar die Rede. Im Planungsbericht stehen jedoch auf einmal 140. Hezel glaubt, dass sich das Gewerbegebiet immer weiter ausdehnen und seinen Hof irgendwann verdrängen wird - "ein schleichender Prozess". Das Gewerbegebiet ist ein Gemeinschaftsprojekt der Region Schwarzwald-Baar-Heuberg. "Da kann jeder mitreden", sagt Hezel. Wenn Daimler kommt, dann hat Hezel einen Verhandlungspartner. Er will, dass sein Betrieb nicht stirbt. "Wirtschaftlich läuft es gut." Die Töchter haben Interesse, den Hof zu übernehmen. "Das ist das Schönste", sagt Hezel. "Dass die ganze Familie mitarbeitet."

"Auf einem Hektar so viele Arbeitsplätze wie Daimler auf 200"

Auf den Plänen, die Erwin Stocker im Bergfeldener Rathaus ausbreitet, ist der Lärchenhof ein schwarzer Punkt. Stocker ist seit 25 Jahren Ortsvorsteher. Wenn er seine Aufgabe beschreibt, zitiert er aus der Bibel: "Suchet der Stadt Bestes." Darum will Stocker den Dialog mit Daimler, will noch mehr über das Prüfzentrum wissen. An jeder Wand hängt ein Bild von Bergfelden. Stocker ist stolz auf den Ort, auf die Gemeinschaft, die zusammenhielt, als 1987 der Kirchturm restauriert werden musste, und die jedes Jahr Geld sammelt für Menschen in Not. Den Zusammenhalt sieht er jetzt in Gefahr. Unter einem Luftbild von Bergfelden stapelt sich Papier. Es sind Zeichnungen, Briefe, Mails. Die meisten von Gegnern des Prüfzentrums. "Protest, Protest, Protest." Stocker kann sich nicht vorstellen, wie Politik in Zukunft noch funktionieren soll. Er weiß nicht, wie man Pläne noch umsetzen kann, wenn alles blockiert wird.

Stocker zeigt die Ahnentafel mit gefallenen Soldaten aus dem Zweiten Weltkrieg, zeigt das Neubaugebiet von Bergfelden mit den schmucken Einfamilienhäusern, zeigt die Mühlbachebene. Von einem Aussichtspunkt in der Nähe seines Hauses kann er sie überblicken. Jeden Morgen um sieben geht er mit seiner Hündin Anka hier vorbei. Dann lauscht er der A81. Manchmal hört er sie mehr, manchmal nur ein leichtes Rauschen. Die Gegner fürchten sich vor dem Lärm, der durch die Strecke entstehen könnte. "Das Prüfzentrum darf nicht lauter sein als die A81", sagt Stocker. Er glaubt, dass andere Betriebe Daimler nachfolgen - so dass um die 1000 neue Arbeitsplätze entstehen könnten.

"Es gibt hier mittelständische Unternehmen, die schaffen auf einem Hektar so viele Arbeitsplätze wie Daimler auf 200", sagt die Sulzer Stadträtin Heidi Kuhring (GAL).

Bergfelden hat wie die anderen drei ans Grundstück angrenzenden Orte am Ende lediglich ein Empfehlungsrecht. Das letzte Wort dagegen hat der Gemeinderat von Sulz. Im Landkreis gelte die Fläche zwar als gut, sagt Gerd Hieber, Bürgermeister von Sulz. Im bundesweiten Vergleich sei sie aber nur durchschnittlich. Hieber hat sich ausgerechnet, was an Grunderwerbsteuer reinkommen würde, wenn Daimler sich für Sulz entscheiden würde. Das Ergebnis will er nicht in der Zeitung lesen, "das sind enorme Zahlen". Sulz hat die Finanzspritze offenbar nötig. Die Stadt hat laut Hieber nur halb so viel sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse wie Oberndorf - nämlich 3300. Auch das Gewerbesteueraufkommen sei unterdurchschnittlich.

Falls Sulz das Standort-Casting gewinnt, hält er eine Bürgerbeteiligung als Entscheidungshilfe für möglich. "Der Souverän jedoch ist der Gemeinderat." Er sagt, dass es ihm Sorgen bereitet, wie die Gesellschaft auf Veränderungen reagiert. "Stillstand bedeutet Rückschritt". Auf seiner Homepage wirbt er für Stimmen. Es geht um die Bürgermeisterwahl am 11. März 2007.