Wolfgang Bernhard ist Nutzfahrzeugchef Foto: Leif Piechowski

Die EU plant für das Transportwesen neue Auflagen beim CO2-Ausstoß. Ein Weg zur Reduzierung wären längere Lkw. Doch das Land ist  gegen den laufenden Feldversuch des Bundes. Daimlers LKW-Chef Bernhard hält das für falsch.

Stuttgart - Manchmal ist Wolfgang Bernhard der Respekt vor seiner Aufgabe noch anzumerken. Dann sagt der 54-Jährige mit ganz leichtem Allgäuer Zungenschlag Sätze wie: „Ein Lkw ist nicht bloß ein großes Auto.“ Während etwa die neue C-Klasse von Mercedes baugleich in vier Kontinenten anläuft, richtet sich der Lkw-Markt viel stärker nach lokalen Gegebenheiten. Ein amerikanischer Truck sieht anders aus als ein brasilianischer, ein indischer anders als ein chinesischer. Von Mercedes über Freightliner bis zu Fuso oder Bharat Benz versammelt Daimler viele Lkw-Marken unter einem Dach. Hinzu kommen etliche Partnerschaften, etwa in China und Russland. Ganz zu schweigen vom ebenfalls komplexen Geschäft mit Bussen und Transportern.

Vor gut einem Jahr hat Bernhard seinen Job angetreten, nachdem er zuvor für Einkauf und Produktion bei Mercedes-Benz zuständig war. Die Geschichte ist oft erzählt. Auf Druck des Betriebsrats musste Bernhard, der als gewerkschaftsfeindlich galt, seinen Job räumen. Die Arbeitnehmerseite wollte dort den vermeintlich umgänglicheren Andreas Renschler installieren. Ein Dreivierteljahr später verkündete der seinen Weggang von Daimler. Zum Februar 2015 übernimmt Renschler die Nutzfahrzeugsparte bei VW und soll die beiden Marken Scania und MAN integrieren und VW, die bisherige Nummer drei, nach vorne bringen. Damit kommt der schärfste Konkurrent für Daimler in Zukunft quasi aus dem eigenen Haus – eine hübsche Konstellation. Bernhard, der als Vertrauter von Daimler-Chef Dieter Zetsche gilt, lässt sich nicht zu einem bissigen Kommentar hinreißen. Stattdessen spricht er ganz diplomatisch davon, dass man jeden Konkurrenten ernst nehme und der Umgang mit Andreas Renschler auch in Zukunft ganz normal sein werde.

Hickhack ums Chlor-Huhn dürfe nicht Blick aufs Ganze versperren

Gemeinsam profitieren könnten die beiden Wettbewerber aus Deutschland von einem Abbau der Barrieren für den Handel. Im Gespräch mit unserer Redaktion gibt sich Bernhard als glühender Verfechter eines Freihandelsabkommens mit den USA zu erkennen. „Wenn wir das nicht hinbekommen, bestimmen vielleicht bald andere Länder und Wertesysteme die Regeln, die uns weniger nahestehen als die USA.“ Für Konzerne wie Daimler geht es dabei um die Einsparung von Milliarden. So müsse etwa der Transporter Sprinter vor einem Verkauf in die USA in Einzelteile zerlegt und dort wieder zusammengebaut werden. Grund dafür sei ein noch gültiges Gesetz aus dem Jahr 1963, welches die US-Autoindustrie vor dem beliebten VW Bully schützen sollte und daher die Einfuhr von kompletten Transportern verbot. Ebenso könnten angeglichene Abgasregeln die Entwicklungs- und Prüfverfahren vereinfachen. „Bei dem ganzen Hickhack etwa ums Chlor-Huhn dürfen wir den Blick aufs Große nicht vergessen“, sagt Bernhard.

Um 0,5 Prozent könnte das sogenannte TTIP-Abkommen das Bruttoinlandsprodukt in Europa wachsen lassen, glaubt Bernhard. Das wäre gut fürs Lkw-Geschäft, das stärker als das Pkw-Geschäft an die Konjunktur gebunden ist. Wenn die Wirtschaft brummt, werden Güter transportiert. Wenn Güter transportiert werden, verkauft Daimler Lkw. Bernhard hat daher die Märkte stets im Blick. Zwar kann er nach dem ersten Quartal 2014 ordentliche Zuwächse vermelden. Doch Unsicherheiten bleiben. So schwächeln derzeit Schwellenländer wie Russland. Aber auch Lateinamerika steckt in der Krise. „Während die Leute die WM feiern, bricht dort die Lkw-Nachfrage um 20 Prozent ein“, sagt Bernhard. Obwohl Daimler in Brasilien in diesem Jahr bereits 1600 Stellen über Fluktuation abgebaut hat, könnte dies nicht reichen. „Am Ende des Jahres müssen wir die Situation neu bewerten.“

Große Probleme könnten den Herstellern von Nutzfahrzeugen in Zukunft drohende neue EU-Vorschriften zum CO2-Ausstoß bereiten. So will Brüssel die Transportbranche offenbar dazu verpflichten, bis 2030 gegenüber der Basis von 2005 noch einmal 20 bis 30 Prozent Treibstoff einzusparen.

Doch große Sprünge sind laut Bernhard nach der Einführung der Euro-VI-Norm zu Beginn des Jahres nur noch schwer zu erreichen. „Allein mit Optimierungen am Diesel-motor wird das nicht erreichbar sein.“ Über die Aerodynamik des Aufliegers, bisher meist in schnöder Würfelform, lassen sich ein paar Prozent Einsparung erreichen. Auch die Vermeidung von Staus könnte den Spritverbrauch senken, wenn die Infrastruktur entsprechend ausgebaut wird. Die Hybridtechnik, die beim Auto Erfolge feiert und hilft, den Flottenverbrauch zu senken, ist für die Nutzfahrzeuge schlicht zu teuer.

Verfechter für den Gigaliner

Eine hohe Hürde also – dabei rollt die Lösung aus Sicht von Wolfgang Bernhard längst auf der Straße. Es handelt sich um den Lang-Lkw oder Gigaliner. Der ist bis zu 25 Meter lang, darf wie ein herkömmlicher Lkw maximal 44 Tonnen wiegen. So lassen sich mehr Güter mit weniger Zugmaschinen bewegen. „Damit lassen sich 20 bis 30 Prozent Treibstoff einsparen“, sagt Bernhard. Doch der Super-Truck ist umstritten, wird vom Bundesverkehrsministerium in einem Feldversuch seit Anfang 2012 auf bestimmten Strecken erprobt. Obwohl auch in Baden-Württemberg auf einigen Autobahnabschnitten Gigaliner rollen, ist das Land gegen diese Art des Transports. Das führe zu absurden Situationen, klagt Bernhard. „Wir fahren derzeit mit Lang-Lkw in Thüringen los, müssen diese aber an der Grenze zu Baden-Württemberg umladen in mehrere kleine Lkw“, sagt Bernhard.

Er plädiert dafür, die Emotionen wegzulassen. „Wir müssen das Thema vorurteilsfrei und sachlich nochmals neu diskutieren“, sagt Bernhard an die Adresse von Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne), der als strikter Gegner der Gigaliner gilt. Er hatte vor dem Bundesverfassungsgericht gegen den Feldversuch geklagt und verloren. Als Gründe für die Ablehnung nennt Hermann Wettbewerbsverzerrungen zulasten von Bahn und Schiff, Verkehrssicherheitsprobleme im nachgeordneten Netz und die Überlastung der Park- und Rastinfrastruktur durch überlange Lkw.

Bernhard wünscht sich eine generelle Freigabe des Lang-Lkw zumindest für Autobahnen. Je nach örtlicher Strecke und verkehrstechnischen Voraussetzungen könnten dann die Kommunen die Sondererlaubnis für die letzten Abschnitte zum Zielort erteilen. Ende 2016 soll der Pilotversuch in Deutschland abgeschlossen sein. In Schweden etwa dürfen die Langlaster schon seit Jahren mit einem Gewicht von bis zu 60 Tonnen fahren.

Langlaster sind anstrengende Politik. Spaß dagegen hat Bernhard, wenn er am Steuer des schweren Baustellenwühlers Arocs sitzt. „Den zu fahren ist schon ein tolles Gefühl“, sagt Wolfgang Bernhard, der für seinen neuen Job gleich den Lkw-Führerschein gemacht hat. Keine Frage, längst ist er vom Auto- zum Nutzfahrzeugmann geworden. Das merkt man auch an einer Geschichte, die er mit geradezu diebischer Freude erzählt. So ist es den Marketingstrategen des Konzerns gelungen, das neue Topmodell der amerikanischen Daimler-Tochter Western Star im kommenden Hollywoodstreifen „Transformers 4“ zu platzieren. Dort spielte bisher der Konkurrent von Navistar die Hauptrolle. Jetzt aber wird dieser nach seiner Verwandlung in einen Roboter vom Navistar zum Westernstar und sagt: „Look, I got an upgrade“ – schau, ich bin aufgemotzt worden.