Szene aus der umstrittenen SWR-Reportage „Hungerlohn am Fließband“ Foto: SWR

Der Autobauer Daimler hat im Streit mit dem Südwestrundfunk (SWR) um eine Reportage über Niedriglöhne vor Gericht erneut verloren. Das letzte Wort ist aber noch nicht gesprochen.

Stuttgart - Das Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart fiel eindeutig aus. Zwar habe in dem Film kein Rechtsbruch von Daimler nachgewiesen werden können, und der SWR-Reporter habe das Hausrecht verletzt. Die Ausstrahlung der Sendung sei jedoch nicht rechtswidrig gewesen, weil ein gesellschaftlich relevanter Missstand aufgedeckt worden sei, sagte Richter Matthias Haag in der Urteilsbegründung am Mittwoch. Er folgte in der Argumentation damit dem Urteil des Landgerichts vom Oktober 2014, gegen das der Daimler-Konzern in Berufung gegangen war. Dieser hatte den Beitrag stets als „manipulativ“ bezeichnet und eine wiederholte Sendung zu unterbinden versucht. Ein Gütetermin vor knapp zwei Wochen war am SWR gescheitert, der auf einer grundsätzlichen Klärung beharrte.

In der im Mai 2013 in der ARD gezeigten Sendung „Hungerlohn am Fließband“ hatte der SWR-Reporter Jürgen Rose sich, als Arbeiter getarnt, bei einer Leihfirma beschäftigen lassen. Diese wiederum entlieh ihn an ein weiteres Unternehmen, das einen Werkvertrag mit Daimler über Logistik-Dienstleistungen abgeschlossen hatte. So kam es zum Einsatz in einer Betriebshalle des Werks Untertürkheim, wo der Reporter zu einem Stundenlohn von 8,19 Euro Zylinderköpfe verpacken musste – während Leiharbeitnehmer im für sie geltenden Metalltarif dafür mindestens 17,78 Euro bekommen hätten. In dem Beitrag wurde außerdem vorgerechnet, dass der Arbeiter sogar Hartz IV beziehen könnte, wenn er eine Familie ohne weiteres Einkommen zu versorgen hätte. Der Sender garnierte die Reportage mit einer anschließenden Talksendung mit Moderator Frank Plasberg, in der es um die umstrittene Praxis der Werkverträge ging und wiederholt auf die Reportage Bezug genommen wurde.

Der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart stärkte mit seinem Urteil die Meinungs- und Rundfunkfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 des Grundgesetzes. Normalerweise liegt die Messlatte hier zwar höher, und das rechtfertigende öffentliche Interesse für den Rechtsbruch des Reporters muss dadurch begründet sein, dass dieser einen Gesetzesverstoß aufdeckt. Doch in diesem Fall reichte den Richtern, dass es sich um einen „Missstand von erheblichem Gewicht“ handelt. Daimler habe zwar legal gehandelt, durch die trickreiche Zerteilung von Arbeitsabläufen und deren Fremdvergabe aber erreicht, dass eigene Kosten zulasten der Allgemeinheit vermieden worden seien.

Der SWR sah sich nach dem Urteil in seiner Haltung bestätigt. „Wir haben vor Ausstrahlung der Sendung schließlich genau abgewogen“, sagte ein Sprecher. Ob man jedoch wieder so entscheiden würde, ließ er offen. „Jede Situation ist anders.“ Eine Daimler-Sprecherin dagegen konterte: „Das Gericht hat eindeutig einen Rechtsbruch des SWR festgestellt.“ Man sei für einen fairen Umgang miteinander. Dies setze aber die Wahrung journalistischer Sorgfaltspflichten voraus. „Diese sehen wir hier verletzt.“

Das Gericht ließ eine Revision beim Bundesgerichtshof (BGH) nicht zu, da mit dem Wallraff-Urteil des Bundesverfassungsgerichts bereits ein ähnlicher Fall höchstrichterlich entschieden worden sei. Aus diesem hätten sich auch im Streit zwischen Daimler und SWR die „maßgeblichen Abwägungsgrundsätze“ ergeben. Trotzdem ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Die Daimler-Sprecherin kündigte eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung beim BGH an. Bis darüber entschieden wird, vergehen laut Experten jedoch in der Regel ein bis eineinhalb Jahre. Außerdem werden rund 85 Prozent der Beschwerden gegen Nichtzulassung abgewiesen.