Das Forschungszentrum in Ulm soll geschlossen werden. Die IG Metall warnt Daimler vor einem drohenden Aderlass an hoch qualifizierten Forschern. Foto: MediaPortal Daimler AG

Die Beschäftigten des Daimler-Forschungszentrums Ulm wollen die Schließung ihres Standortes nicht einfach so hinnehmen. Am Donnerstag wollen sie in Untertürkheim vors Vorstandsgebäude ziehen und ihrem Unmut Luft machen.

Ulm - Der Schock vom Ende des vergangenen Jahres ist verwunden, an seine Stelle ist eine beharrliche Kampfeslust getreten. Erneut wollen an diesem Donnerstag Beschäftigte des Daimler-Forschungszentrums Ulm gegen die geplante Schließung ihres Standorts protestieren. Ihnen wurde im November bei einer Betriebsversammlung die Verlagerung sämtlicher Arbeitsplätze auf die Standorte Sindelfingen, Untertürkheim sowie das Prüf- und Technologiezentrun in Immendingen (Kreis Tuttlingen) zum Ende dieses Jahres angekündigt. Die Entscheidung, hieß es damals, beruhe auf einer Überprüfung des konzerneigenen „Forschungsnetzwerks“ – auch im Hinblick auf Kosten.

Laut Petra Wassermann, der Ersten Bevollmächtigten der IG Metall Ulm, startet um 8 Uhr im Werksinnern in Untertürkheim ein Demonstrationszug vom Hauptwerkstor zum Vorstandsgebäude. Dort solle an den Vorstandsvorsitzenden Dieter Zetsche eine Einladung nach Ulm übergeben werden. Zetsche könne vor Ort „die genauen Gründe für die Schließung darlegen, was immer noch nicht passiert ist“.

Urbestandteil der sogenannten Wissenschaftsstadt Ulm

Nach Angaben der IG Metall sowie des Betriebsrats arbeiten rund 500 Beschäftigte in der Ulmer Pkw-Forschung, darunter 250 festangestellte Ingenieure, Physiker, Informatiker und Naturwissenschaftler. Sie werden traditionell verstärkt von rund 200 wissenschaftlichen Doktoranden und Studenten. Das Daimler-Forschungszentrum ist 1993 eröffnet worden und Urbestandteil der sogenannten Wissenschaftsstadt Ulm in Nachbarschaft zum Universitätsgelände. Schwerpunkte der Forschung sind Entwicklungen in den Bereichen Fahrassistenz und Tribologie. Dabei geht es um die Verminderung der Reibungsverluste innerhalb von Motoren und Getrieben mit dem Ziel der Spritersparnis.

Schon Anfang März waren 230 Mitarbeiter mit Transparenten vors Werkstor in Ulm gezogen. Unter den betroffenen Beschäftigten, sagte bei diesem Anlass der Betriebsratsvorsitzende Frank Niebling, seien auch Alleinerziehende, Rollstuhlfahrer oder Kollegen, die Angehörige pflegen müssten. Von ihnen zu verlangen, täglich mehrere Stunden zur Arbeit zu fahren, sei nicht möglich. Sollte sich die Schließung nicht doch noch abwenden lassen, wollen die Ulmer zumindest ein Konzept zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf mit der Konzernleitung aushandeln.

Erste Beschäftigte haben bereits gekündigt

Die IG Metall in Ulm warnt vor einem drohenden Aderlass an hoch qualifizierten Forschern für Daimler. Die geplante Auflösung falle in eine Zeit, in der Weiterentwicklungen auf den Feldern autonomes Fahren, CO2-Verbrauchsminimierung oder Elektromobilität keinen Aufschub duldeten, heißt es. Nach Information aus dem Betriebsrat haben erste Beschäftigte bereits Kündigungen eingereicht und sich anderen Arbeitnehmern angeschlossen. Der Ulmer Oberbürgermeister Gunter Czisch (CDU) unterschrieb im Frühsommer zusammen mit mehreren Bürgermeistern, Landräten und Wissenschaftlern der Region einen offenen Brief an die Konzernleitung, ebenfalls mit dem Ziel, das Aus abzuwenden. Dem Vernehmen nach soll es darauf lediglich eine „floskelhafte“ Antwort der Konzernspitze gegeben haben.

Die Schließung des Ulmer Nokia-Forschungszentrums 2012 habe gezeigt, heißt es aus dem Ulmer Rathaus, dass die fähigsten Köpfe schnell neue Jobs in der Stadt finden. Damals waren 730 Mitarbeiter betroffen, viele entwickelten, nachdem sie ihre Abfindung genommen hatten, direkt im Anschluss Fahrassistenzsysteme in neu gegründeten Ulmer Büros von BMW und Continental. Die nächste Protestaktion haben die Ulmer Daimler-Forscher am 23. Juli in Ulm geplant.