Brigitte Dahlbender Foto: Piechowski

Brigitte Dahlbender legt Sprecheramt nieder - Am 4. Dezember Beratung im Rathaus.  

Stuttgart - Angesichts der Niederlage bei der Volksabstimmung zu Stuttgart 21 legt das Aktionsbündnis der Gegner einen kleineren Gang ein. Vor weiteren Protestaktionen gegen den Tiefbahnhof sollen am kommenden Samstag alle, die den Widerstand befürworten, über die nächsten Schritte beraten. "Wir laden alle zum großen Ratschlag ins Rathaus ein, wir entscheiden das weitere Vorgehen nicht allein", informierte der Bündnissprecher Hannes Rockenbauch am Montag.

Fix sind auf dem Terminplan noch die Kundgebung am 5.Dezember - die dann 102. Montagsdemonstration - und Demonstrationen gegen den Abbruch des Bahnhof-Südflügels sowie gegen Fällarbeiten im Schlossgarten. Diese Arbeiten wird die Bahn aber nicht vor dem 7. Januar 2012 beginnen. Der Protest könnte sich also einen Tag vor Nikolaus in eine kurze Winterpause verabschieden.

Zwei Stunden beratschlagten die Gegner-Gruppierungen am Montag im Rathaus über ihr weiteres Vorgehen. Dann war klar, dass die im Land deutlich, in Stuttgart dagegen milde ausgefallene Niederlage das Bündnis einen ihrer fähigsten Köpfe kostet: Brigitte Dahlbender gibt ihr Sprecheramt im Aktionsbündnis auf. Als Landesvorsitzende sei sie vom Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) für die Kampagne nur "ausgeliehen" gewesen, spielte Dahlbender ihren Einsatz herunter. Seit den Schlichtungsgesprächen zu Stuttgart 21 im Herbst 2010 mit Heiner Geißler war der Bahn mit ihr eine hartnäckige Widersacherin erwachsen. Die 56-jährige promovierte Naturwissenschaftlerin zeigte sich kundig und der Riege von Ministern und Bahnexperten und -Vorständen gewachsen. "Jetzt gehe ich aus der vordersten Front des politischen Widerstandes heraus", sagt Dahlbender.

Der BUND werde seine "sachliche und fachliche Arbeit" zu Stuttgart 21 nicht aufgeben, so die Vorsitzende. Er sei aber mit der Stuttgarter Regionalgruppe im Aktionsbündnis künftig gut vertreten.

Aus der Niederlage im Volksentscheid leitet Dahlbender einen Auftrag der Projektbefürworter auch an die Gegner ab. Wer den Tiefbahnhof wolle, wolle Stuttgart 21 zu dem von der Bahn versprochenen Preis. Die 4,5 Milliarden Euro würden aber nicht zu halten sein, prognostiziert Dahlbender. Die Überschreitung des Limits werde sich bereits bei der Planung des Flughafenanschlusses zeigen. Dann werde der jetzige Sieg der Bahn "zum Pyrrhussieg, und wir reden beim Projekt ganz schnell nicht über die Frage des Wie, sondern des Ob", so die BUND-Chefin.

Den Optimismus des SPD-Landesvorsitzenden und Finanzministers Nils Schmid teile sie nicht, sagt Dahlbender, die seit 20 Jahren ein SPD-Parteibuch hat. "Die Bahn hat kurz vor der Abstimmung den Lenkungskreis zur Projektfinanzierung nicht einberufen, weil sie Schwierigkeiten hat, im Kostenrahmen zu bleiben", wirft Dahlbender dem Konzern mit Rüdiger Grube an der Spitze Taktieren vor. Dahlbender befürchtet, "dass die Bahn das Land bei Mehrkosten in die Knie zwingt", der Finanzdeckel also gehoben wird und das Land mehr als die festgeschriebenen 930 Millionen Euro wird zahlen müssen.

"Kein weiteres Steuergeld für Stuttgart21" sei ein Thema, an das das Bündnis erinnern werde, so Rockenbauch. Weil für zwei Abschnitte, den Flughafen und den Abstellbahnhof, kein Baurecht existiere, fordere er erneut einen Bau- und Vergabestopp - ein Zeichen, dass das Aktionsbündnis eine Verschnaufpause dringend nötig hat. "Wir brauchen jetzt Zeit, um darüber nachzudenken, was wir aus der Abstimmung lernen", räumt Rockenbauch denn auch eine gewisse Ermattung ein. Die "fachliche Arbeit" solle jedenfalls fortgesetzt werden.

Dahlbender plädiert dafür, das Thema Volksabstimmung jenseits von Stuttgart 21 zu befördern. "Die Bürger sind sehr wohl in der Lage, auch komplexe Projekte zu verstehen", sagt sie. Sowohl in der Landesverfassung als auch in der Gemeindeordnung sollten die Hürden für eine direkte Entscheidung der Bürger daher gesenkt werden.

Hannes Rockenbauch, 30-jähriger Fraktionsvorsitzender von SÖS/Linke im Stuttgarter Gemeinderat, will das Bündnis nicht auf Dauer allein führen. Auch über die Struktur an der Spitze des aus zehn Gruppen und Parteien gebildeten Widerstands soll daher am 4. Dezember eine Lösung gefunden werden.

Die heterogene Gruppe war sich in den letzten Monaten im Vorgehen nicht immer einig, der Umgang war zuweilen ruppig. Ein Grund, warum Gangolf Stocker, die langjährige Leitfigur des Protests, sich am Tag nach der Landtagswahl aus dem Bündnis zurückzog. Damals sah es so aus, als könnte die Gemeinschaft der Gegner trotz des Wahlerfolgs der Grünen zerbrechen. Die Volksabstimmung band die Gegner-Truppe letztlich wieder zusammen.